Wachsen durch Zukauf

Wie eine gezielte M&A-Strategie den Mittelstand voranbringt

© Faizan - stock.adobe.com

Wenn mittelständische Unternehmer heute über ihre Zukunft nachdenken, stoßen sie früher oder später auf eine Abkürzung, die längst mehr ist als ein Finanzinstrument: M&A. Fusionen, Übernahmen, Verkäufe, Nachfolge und Carveouts sind zu Schlüsselfragen geworden – und das nicht nur für Konzerne. Immer mehr Experten betonen, dass gerade der Mittelstand im derzeit schwierigen Marktumfeld ohne eine durchdachte M&A-Strategie ins Hintertreffen geraten könnte. Doch wie sieht eine gute Strategie aus, welche Fallstricke lauern, und wie sollten Unternehmer den Weg in ein Geschäftsfeld gehen, das für viele Neuland ist?

Gute Beispiele in Form von gleich zwei gelungenen M&A-Transaktionen bietet die Zimmer & Hälbig GmbH mit Hauptsitz in Bielefeld. Sie zählt zu den führenden Unternehmen für Kälte-, Klima- und Lüftungstechnik im Nichtwohnungsbau. Der 1974 gegründete Spezialist für technische Gebäudeausrüstung (TGA) ist auf Planung, Installation und Wartung anspruchsvoller Anlagenlösungen fokussiert. Zum Kundenspektrum gehören insbesondere Krankenhäuser, Labor- und Reinraumanwendungen, Industrieunternehmen sowie Betreiber von Rechenzentren. Das Unternehmen bietet dabei nicht nur die technische Umsetzung, sondern inzwischen auch Beratungsleistungen zur Technikauswahl und Bauplanung. Zimmer & Hälbig beschäftigt inzwischen über 320 Mitarbeiter und ist mit sieben Standorten und neun Servicestützpunkten bundesweit vertreten. Neben dem Kerngeschäft investiert das Unternehmen in neue Geschäftsfelder wie Mess-, Steuer- und Regelungstechnik (MSR).

Erste Transaktion: Management-Buy-out mit VR Equitypartner

Im Jahr 2022 übernahm die Geschäftsführung gemeinsam mit VR Equitypartner (VREP) die Anteile an Zimmer & Hälbig im Rahmen eines Management-Buy-outs (MBO). Der bisherige Eigentümer gab die Mehrheit seiner Anteile ab, VREP stieg als Minderheitsgesellschafter ein. Die Entscheidung für einen Finanzinvestor wurde laut Geschäftsführer Achim Henseler bewusst getroffen. „Wir waren zu dem Zeitpunkt noch nicht reif für einen strategischen Investor. Ein Finanzinvestor hat zu diesem Zeitpunkt besser zu uns gepasst“, so Henseler. Gemeinsam mit VREP erarbeitete das Management in der Folge eine Planung, die unter anderem die Professionalisierung zentraler Unternehmensbereiche und eine gezielte Buy-and-Build-Strategie vorsah. Sodann übernahm Zimmer & Hälbig im Oktober 2023 den Lüftungsspezialisten Airtech GmbH aus Tuttlingen und eröffnete neue Standorte in Hanau, Hannover und Osnabrück. Die Entwicklung verlief deutlich schneller als erwartet. Nach Angaben des Unternehmens konnte die Leistung innerhalb kurzer Zeit um 35 % gesteigert werden, das EBITDA sogar um mehr als 50 %.

Zweite Transaktion: Strategischer Verkauf an Vinci Energies

Zum Vergrößern bitte hier anklicken!

Angesichts der positiven Geschäftsentwicklung sprach sich das Management frühzeitig für den Einstieg eines strategischen Partners aus. Laut Henseler habe man sich gemeinsam mit VREP „schneller als ursprünglich geplant mit dem Gedanken befasst, einen neuen Investor zu suchen“. Die Voraussetzungen für einen Wechsel seien nun gegeben gewesen. Dank des Netzwerks und der Expertise von VREP sowie der Erfahrungen aus dem MBO-Prozess konnte sich die Geschäftsführung gezielter und professioneller auf die nächste Transaktion vorbereiten. Bereits im Vorfeld wurden externe Berater hinzugezogen, die umfangreiche Factbooks zu verschiedenen Unternehmensbereichen erstellten. „Das war eine Menge

Arbeit – die hat sich aber ausgezahlt“, so Henseler. Der Geschäftsführer zeigte sich überrascht vom großen Interesse potenzieller Investoren: „Wir hatten ein solch großes Interesse auf der Investorenseite nicht erwartet. Das ist eine Bestätigung für unsere gute Arbeit in den Jahren davor.“

Im Sommer 2025 wurde Zimmer & Hälbig schließlich zu 100 % an Vinci Energies verkauft. Die operative Geschäftsführung bleibt seitdem weiterhin im Amt, lediglich die Anteile wurden veräußert. Der französische Konzern Vinci, zu dem Vinci Energies gehört, zählt weltweit zu den führenden Unternehmen in den Bereichen Bau, Infrastruktur und Konzessionen. Zimmer & Hälbig wird künftig Teil des Netzwerks Building Solutions von Vinci Energies, das in Deutschland 150 Geschäftseinheiten umfasst. Nach Einschätzung von VR Equitypartner war das Unternehmen sehr gut aufgestellt: Die Marktposition sei ebenso überzeugend gewesen wie die Qualität des Managements. Geschäftsführer Christian Futterlieb betonte das „starke unternehmerische Engagement“ sowie das „tiefgehende Know-how des Teams“. Henseler erklärt: „VREP war für uns seit 2022 der richtige Partner, um zentrale Wachstumsschritte erfolgreich umzusetzen – mit strategischem Know-how, einem guten Sparring bei Wachstumsherausforderungen und einem klaren Blick für das Wesentliche.“

Wie funktioniert erfolgreicher Unternehmensverkauf

Im Rückblick auf die beiden Eigentümerwechsel nennt Henseler mehrere Faktoren, die aus seiner Sicht entscheidend für einen gelungenen Verkaufsprozess für mittelständische Unternehmen sind. Insbesondere sei es wichtig, das Unternehmen frühzeitig so aufzustellen, dass es unabhängig vom Inhaber funktioniert. Dazu gehörten der Aufbau einer starken zweiten Führungsebene sowie die Etablierung klarer, übergreifender Prozesse. Zudem sei eine durchgängige wirtschaftliche Performance über mindestens drei Jahre notwendig, um potenziellen Investoren eine gute Geschäftsentwicklung darstellen zu können.

Nach Henseler ist eine frühzeitige Vorbereitung essenziell. Idealerweise beginne diese drei bis fünf Jahre vor dem geplanten Verkauf. In dieser Zeit sollten gezielt strukturelle und operative Schwächen behoben werden. Ein weiterer zentraler Punkt ist seiner Meinung nach die Wahl des richtigen Beraterteams. Externe Spezialisten mit Expertise in der Branche hätten den Verkaufsprozess durch ihre Erfahrung wesentlich erleichtert. Wichtig sei zudem, intern klare Kommunikationslinien zu definieren, Leistungsträger zu entwickeln und langfristig an das Unternehmen zu binden. Abschließend betonte Henseler: „Vorbereitung ist alles.“

Tipps der Experten: Ohne Vorbereitung kein Erfolg

In der Praxis zeigt sich nach Ansicht von Kai Hesselmann, Geschäftsführer bei DealCircle, immer wieder: Eine gute Vorbereitung ist das A und O: „Wer erst dann anfängt, wenn ein Verkauf konkret im Raum steht, verschenkt Zeit und Wert. Ich kenne Fälle, in denen Unternehmer drei Jahre vor dem Exit begonnen haben, ihr Reporting zu professionalisieren und eine zweite Führungsebene aufzubauen – das Ergebnis war ein deutlich höherer Kaufpreis und eine reibungslose Due Diligence.“ Umgekehrt habe er auch Transaktionen erlebt, die ins Stocken gerieten, weil der Inhaber noch allein über alle Kundendaten verfügte oder Verträge nur in Papierordnern existierten. Ebenso wichtig sei ein realistischer Blick: Nicht jede Option passe automatisch zum eigenen Unternehmen. „Ein Maschinenbauer aus Süddeutschland konnte durch einen Zukauf in Polen seine Wertschöpfungskette sinnvoll erweitern – das war strategisch stimmig. Ein anderer Unternehmer wollte hingegen unbedingt zukaufen, obwohl sein Kerngeschäft schwächelte. Hier haben wir geraten, sich zunächst zu fokussieren und einen nicht profitablen Geschäftsbereich abzugeben“, fährt Hesselmann fort.

„Man muss sich vor einem Verkauf oder Zukauf darüber im Klaren sein, was man wirklich will“, sagt Futterlieb. Er warnt davor, Transaktionen unüberlegt zu starten. Entscheidend sei die Klarheit über Ziele, Chancen und die eigene Resilienz. Gerade im Mittelstand fehle es oft an internen Ressourcen, um eine Übernahme professionell zu begleiten. Futterlieb betont: „Ohne ein Integrationsteam droht der Prozess zu scheitern.“ Kommunikation mit den Mitarbeitern und ein strukturiertes Vorgehen seien ebenso wichtig wie die strategische Optionalität – also die Fähigkeit, nicht nur auf einen einzigen Kurs festgelegt zu sein. Ähnlich sieht es Thomas Weber, Managing Director, Deutsche Beteiligungs AG (DBAG). Er empfiehlt Unternehmern, sich unabhängig vom konkreten Transaktionszeitpunkt vorzubereiten. „Dazu gehören belastbare Zahlenwerke, eine klare Wachstumsstory und eine realistische Einschätzung der Chancen und Risiken.“ Wer interne Strukturen rechtzeitig professionalisiere, steigere nicht nur den Unternehmenswert, sondern bleibe auch in schwierigen Marktphasen handlungsfähig. Gerade im Mittelstand könne dieser Vorsprung entscheidend sein, da dort ein professionelles Reporting oder eine saubere Datenraumstruktur nicht selbstverständlich sind.

Dr. Michael Drill, Managing Director und CEO Germany von Lincoln International, ergänzt die Perspektive aus Sicht von Familienunternehmen: Viele Eigentümer hätten durch Krisen wie Corona, den Ukrainekrieg oder den Handelskonflikt mit den USA erkannt, wie riskant es ist, das gesamte Vermögen in der eigenen Firma gebunden zu haben. „Vor diesem Hintergrund ist es sinnvoll, in diskreten Gesprächen mit einer renommierten Investmentbank die Möglichkeiten eines Verkaufs besser zu verstehen“, sagt Dr. Drill. Auch wenn ein sofortiger Verkauf nicht gewollt ist, könne eine solche Vorbereitung entscheidend sein, um im richtigen Moment schnell und professionell reagieren zu können.

Keine Standardstrategie für alle

Einig sind sich die Experten darin, dass es keine Standardstrategie für alle gibt. Uli Lorenz, Managing Partner der ECCO Group, spricht klar aus: „Es gibt keinen One-size-fits-all-Ansatz.“ Er verweist auf die Attraktivität von Carve-outs, mit denen Konzerne Kapital freisetzen und das Management entlasten können. Carve-outs würden nicht länger nur als Notmaßnahme gesehen, sondern zunehmend als aktiver Werthebel, um sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Uli Lorenz, Partner bei Aequita, sieht die Bewegung in dieselbe Richtung: „Zurück zum Kern“ sei in turbulenten Zeiten immer eine valide Strategie. Randbereiche könnten abgestoßen werden, um die Organisation zu verschlanken, während man parallel gezielt neue Märkte erschließe. Gerade internationale Konzerne hätten diesen Trend längst erkannt. Hier beobachtet er vor allem, dass sich große Konzerne von ihrem Europageschäft lösen. Im Mittelstand und bei inhabergeführten Unternehmen stünden Carve-outs noch am Anfang.

Auch Wilhelm Mickerts, Partner Head of Deal Advisory Services bei Grant Thornton, rät zu aktivem Portfoliomanagement. Geschäftsbereiche sollten klar in Buy, Sell und Hold kategorisiert werden. Wachstumsarme Einheiten müssten konsequent abgestoßen werden, während profitable Sparten durch Zukäufe gestärkt werden könnten. Mickerts betont: „Wichtig ist, dass die Geschäftseinheiten jederzeit Post-Merger-Integration-(PMI-)fähig – und exit-ready sind, um bei einer Änderung der Rahmenbedingungen schnell agieren zu können.“

Daniel Jürgenschellert, Geschäftsführer und Partner von Helbling Business Advisors, ergänzt die Perspektive internationaler Strategien, zum Beispiel Derisking. Viele Mandanten zögen sich aus Krisenregionen wie Russland zurück oder prüften Verlagerungen von China nach Südostasien. Großes Interesse bestehe aus seiner Sicht aktuell an Indien als Zukunftsmarkt. „In Branchen wie Rüstung, Automatisierungstechnik oder Life Sciences sehen wir derzeit verstärkte Investitionen“, sagt Jürgenschellert. Wer dort nicht mitdenke, laufe Gefahr, den Anschluss zu verlieren.

Finanzierung: Flexibilität ist gefragt

Eine gute Story allein reicht nicht. Ohne solide Finanzierung droht jede Transaktion zu scheitern. Dr. Florian von Alten, Vorstand und Managing Partner bei Oaklins, weist darauf hin, dass klassische Banken spätestens ab einem EBITDA-Multiple von mehr als drei zurückhaltend werden. „Dann werden zusätzlich auch Debt Funds oder alternative Finanzierungsquellen angefragt“, erklärt er. Earn-outs, Verkäuferdarlehen oder Rückbeteiligungen seien inzwischen gängige Instrumente, um Deals zu ermöglichen. Auch Weber sieht mehr Flexibilität in den Strukturen. Minderheitsbeteiligungen oder Co-Investments mit Finanzinvestoren seien wichtige Mittel, um Projekte umzusetzen. Klassische Kredite würden mehr und mehr an Bedeutung verlieren. Mickerts ergänzt: „Wir sehen zunehmend innovative Finanzierungsmodelle – Co-Investments, Debt Funds, adaptive Strukturen –, die dem Mittelstand neue Handlungsspielräume eröffnen.“

Für Dr. Drill ist auch die Perspektive eines Unternehmensinhabers wichtig: Ein Finanzinvestor könne Eigentümern nicht nur Liquidität verschaffen, sondern auch Akquisitionsstrategien mit Geld und Know-how begleiten. Gleichzeitig könne er helfen, ein Unternehmen für einen späteren Verkauf an einen Strategen „schön zu machen“. Für viele Mittelständler sei dies ein Zwischenschritt, um langfristig im Konzert der Großen bestehen zu können. „Für jedes Unternehmen lässt sich ein Käufer finden, wenn der Preis stimmt. Die Ermittlung des richtigen Werts übernehmen spezialisierte Berater. Dabei gilt: Geld sollte man sich sichern, wenn man es bekommen kann – nicht erst dann, wenn es dringend gebraucht wird“, rät André Knöll, Gründer, Inhaber und Geschäftsführer der Knöll Finanzierungsberatung den Unternehmern. Ziel unternehmerischen Handelns sollte sein, ein kapitalmarktfähiges Unternehmen zu schaffen, das jederzeit bereit für den Kapitalmarkt ist, ohne darauf angewiesen zu sein. Substanz und Kapitalausstattung sind dafür Voraussetzung.

Branchen im Fokus: Gewinner und Verlierer

Nicht jede Branche hat im aktuellen Markt dieselben Karten. Futterlieb beobachtet, dass die Automobilindustrie derzeit überproportional abgestraft wird. „Teilweise werden Unternehmen dort überdimensional bestraft, obwohl sie im Kern solide sind.“ Gleichzeitig gebe es Sektoren, in denen Käufer trotz aller Unsicherheit bereit seien, hohe Preise zu zahlen. Einen „regelrechten Boom“ in Bereichen wie Life Sciences, Automatisierungstechnik und Tech-enabled-Services hat Jürgenschellert festgestellt. Auch Geschäftsmodelle um Energieeffizienz, Rechenzentren oder Gesundheitskonzepte seien stark gefragt. „In diesen Nischen ist die Stimmung gut – hier herrscht Wachstumsoptimismus, während in klassischen Industrien wie Automobilzulieferer und Maschinenbau Ernüchterung dominiert.“

Für Unternehmer bedeutet das: Die Branche bestimmt die Chancen. Während ein IT- oder Healthcare-Player derzeit kaum Preisabschläge hinnehmen muss, müssen traditionelle Industrieunternehmen realistischere Erwartungen ansetzen – oder überlegen, wie sie ihr Geschäftsmodell mit Zukäufen transformieren können. „Das Marktumfeld ist derzeit klar ein Käufermarkt“, fasst Dr. von Alten zusammen. Käufer seien vorsichtig, verlangten mehr Sicherheit und drückten teilweise auch auf den Preis – aber für gut vorbereitete Unternehmen gebe es weiterhin attraktive Bewertungen. Besonders positiv entwickelten sich nach seiner Ansicht die Bereiche IT, Business Services und Healthcare. Auch Sebastian Schirl, Managing Director bei Stifel Investment Banking, sieht Rückenwind: Das Transaktionsvolumen in Europa sei im ersten Halbjahr 2025 um über 40 % gestiegen. „Ein klares Signal, dass Käufer weniger zögerlich als im Vorjahr agieren“, sagt er. Besonders aktiv seien Private-Equity-Fonds, die fragmentierte Branchen konsolidierten. „Wer gut vorbereitet ist, kann gezielt Opportunitäten nutzen, bevor sie in hitzige Bieterschlachten kippen.“

Geopolitik und Währungsrisiken: Der Faktor USA

„Die USA sind weiterhin mega interessant – wer dort aktiv sein will, braucht aber auch einen Standort vor Ort.“ Die Globalisierung stellt den Mittelstand vor widersprüchliche Herausforderungen. Einerseits locken die USA mit einer robusten Konjunktur. „Die Konjunktur läuft dort nach wie vor robust“, erklärt Futterlieb. Doch wer im US-Markt ernsthaft mitspielen wolle, müsse unabhängig von Zollüberlegungen auch dort produzieren – was Standorte, Investitionen und Personal erfordere. „Das ist nicht leicht“, räumt er ein, „aber ohne lokalen Fußabdruck bleibt der Zugang schwierig.“ Ähnlich sieht das auch Benedikt Ibing, Managing Partner bei Pegasus Partners: „Jeder, der hier noch keine Strategie hatte, arbeitet jetzt daran. Nur in ganz wenigen Fällen funktioniert der Direktvertrieb mit Export. Immer dann, wenn ein Artikel vor Ort gefertigt oder zumindest zusammengebaut werden kann, streben Mittelständler diesen Weg an.“ Beim wichtigen Markt USA komme es auch schlicht auf den Faktor Zeit an, denn man müsse als Unternehmer nun schnell handeln. Ein roter Faden zieht sich durch viele Expertengespräche: die Unsicherheit in der US-Handelspolitik. Zölle, neue Regularien und der schwache Dollar belasten Exporteure. „Wir nehmen das Zollthema sehr ernst, und es kann für einzelne Branchen und Unternehmen einen erheblichen Belastungsfaktor darstellen“, fährt Futterlieb fort. Jede Transaktion müsse individuell auf ihre Abhängigkeit von diesem Thema geprüft werden.

Dr. Drill sieht ebenfalls, dass größere Familiengesellschaften und Mittelständler vermehrt nach Targets in den USA suchen, um Zollnachteile zu umgehen. Zugleich würden Aktivitäten in Russland abgestoßen, da Gewinne kaum noch zurückgeholt werden könnten. Jürgenschellert berichtet aus seinen Beratungsgesprächen und Mandaten von einer „Derisking-Welle“: Unternehmen verlagerten Produktion von Krisenregionen weg und suchten neue Chancen in Indien oder Südostasien. Dr. von Alten mahnt Unternehmer und Investoren zur Vorsicht: Solange keine Klarheit über die US-Zollpolitik herrsche, würden manche Transaktionen auf Eis gelegt. Gleichzeitig habe der Standort Deutschland an Attraktivität verloren. „Der deutsche Bonus ist praktisch verschwunden“, warnt er – Bürokratie, gescheiterte Großprojekte und ein insgesamt schlechter Ruf seien Hindernisse.

Besonders interessant sei Indien, erklärt Jürgenschellert: Der Subkontinent rücke zunehmend in den Fokus internationaler Expansionsstrategien. „Wir sehen starkes Interesse, dort Produktionskapazitäten aufzubauen oder Joint Ventures zu gründen.“ Auch Südostasien biete Chancen, gerade für Unternehmen, die Abhängigkeiten von China reduzieren wollten. „Internationale Carve-outs sind nicht nur geografisch, sondern auch kulturell herausfordernd“, sagt Lorenz. „Entscheidend ist, lokale Strukturen und Erwartungen ernst zu nehmen – wer das ignoriert, riskiert teure Reibungsverluste.“

Nachfolge und Transformation: Druck wächst

Kaum ein Thema treibt den Mittelstand so sehr um wie die Frage der Unternehmensnachfolge. Dr. von Alten beschreibt die Stimmung offen: „Viele Unternehmer sind schlicht müde geworden.“ Acht Quartale Rezession, eine Flut an Bürokratie und geopolitische Krisen hätten die Belastung so stark erhöht, dass selbst passionierte Inhaber nach Jahrzehnten die Verantwortung abgeben wollten. Manche hätten „die Faxen dicke“, wie er es pointiert formuliert. Eine historische Verschiebung hat Weber in den vergangenen Jahren festgestellt: Immer mehr Inhaber seien bereit, externe Partner ins Boot zu holen, weil sie erkannt hätten, dass Kapital und Know-how von außen nicht nur Lücken schließen, sondern neue Horizonte eröffnen können. Wer den Nachfolgeprozess frühzeitig strukturiere, erhöhe die Chancen, einen passenden Käufer zu finden. „Eine Transaktion darf nicht als Notlösung in letzter Minute gesehen werden, sondern sollte strategisch geplant sein“, betont Weber. Dr. Drill ergänzt, dass die Eigentümerfamilien durch die Krisenjahre stärker sensibilisiert seien: Der Gedanke, einen Teil des

Vermögens „hinter die Brandschutzmauer“ zu bringen, gewinne an Attraktivität. Private-Equity-Investoren könnten dabei eine Brückenfunktion einnehmen, indem sie Kapital sichern und zugleich den Übergang zu einem späteren Verkauf an einen Strategen vorbereiten.

Für Hesselmann ist auch die Wahl des richtigen Partners entscheidend: „Ein Käufer mit der vermeintlich höchsten Bewertung ist nicht immer die beste Lösung. Ein Beispiel: Ein IT-Dienstleister hatte zwei Angebote, eines von einem internationalen Strategen mit hohem Preis, eines von einem Finanzinvestor mit klarer Wachstumsstory und operativer Unterstützung“, erinnert sich Hesselmann. Am Ende sei dann die Wahl auf den Investor gefallen – und das Unternehmen konnte innerhalb weniger Jahre Umsatz und Mitarbeiterzahl verdoppeln. Als eine Art „Geheimtipp“ sieht Ibing die Ansprache von Unternehmen, die offiziell nicht zum Verkauf stehen: „Listen schrubben kann jeder. Firmen finden und mit viel Geschick die Inhaber davon überzeugen, dass ein strategischer, mittelständischer Investor aus Deutschland das Beste für die Zukunft ist, das ist eine Kunst.“ So würden vielmals die Preise realistisch bleiben und Deals könnten sehr schnell gehen. Auf der Käuferseite ist es laut Knöll entscheidend, die Finanzierung bereits gesichert zu haben, bevor ein Marktauftritt erfolgt: „Be ready with the money“ lautet die Devise. Zudem brauche es ein klares Projektteam und ein vorbereitetes Konzept für die Post-Merger-Integration, denn die ersten 100 Tage nach dem Zusammenschluss seien entscheidend.

Umsetzung: Tempo, Realismus, Kommunikation

So unterschiedlich die Perspektiven sind, in einem Punkt sind sich alle Experten einig: Entscheidend ist die Umsetzung. „M&A ist ein aktives Gestaltungsinstrument“, erklärt Schirl. Verkäufer erzielten Spitzenbewertungen, wenn sie belastbare Zahlen, eine überzeugende Equity Story und direkten Zugang zu den passenden Käufern hätten. Käufer setzten sich durch, wenn sie mit klarer Investmentthese, flexiblen Strukturen und schneller Umsetzung aufträten. Am Ende zählten Tempo und Realismus beim Preis. Dr. von Alten empfiehlt Unternehmern, den Prozess nicht allein auf den Schultern des Inhabers ruhen zu lassen. Ein enger Kreis an Führungskräften müsse eingebunden sein. Auch das Timing spiele eine Rolle: Due-Diligence-Teams seien oft nur für wenige Wochen gebucht. Wer dann nicht vorbereitet sei, riskiere, den Deal in die Länge zu ziehen oder gar zu verlieren. Und: „Cash is King“, bringt er es auf den Punkt – Liquidität und Transaktionssicherheit seien entscheidend für erfolgreiche und schnelle Transaktionen.

Lorenz hebt die Bedeutung der Kommunikation hervor: „In allen Phasen des Prozesses ist eine präzise und konsistente Kommunikation entscheidend, um das Vertrauen innerhalb des Unternehmens und bei externen Stakeholdern zu sichern.“ Nur so könne ein Carve-out oder eine Akquisition erfolgreich integriert werden. Futterlieb ergänzt, dass es auch Fälle gibt, in denen man einen Gesellschafterwechsel vermeiden möchte. In diesen Fällen sei Mezzaninekapital die geeignete Lösung, um zum Beispiel weitere Wachstumsschritte einzuleiten oder eine Transformation umzusetzen.

Ein Markt in Bewegung

Der deutsche Mittelstand befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Getrieben von geopolitischen Risiken, Transformationsdruck und Nachfolgefragen wird M&A mehr und mehr zum Instrument, das über die Zukunft entscheidet. Wer frühzeitig klare Ziele definiert, Strukturen professionalisiert und flexibel agiert, hat die besten Chancen, gestärkt aus dieser Phase hervorzugehen. „Die Zeiten, in denen man mal eben etwas kaufte, weil die Finanzierung günstig war, sind vorbei“, sagt Jürgenschellert. Heute gehe es um klare Strategien, belastbare Pläne und saubere Umsetzung. Oder wie es Schirl formuliert: „Am Ende gewinnen Tempo und Realismus – nicht das Ausharren am Spielfeldrand.“

FAZIT

M&A im Mittelstand verlangt heute mehr als reine Transaktionsbereitschaft – es braucht einen klaren strategischen Ansatz. Nur wer frühzeitig Ziele definiert, Marktchancen analysiert und interne Strukturen konsequent professionalisiert, kann Verkäufe oder Zukäufe als echte Wachstumstreiber nutzen. Für Unternehmer gilt: Ohne Strategie bleibt M&A ein Risiko – mit Strategie wird es zur Zukunftschance.

👉 Diese Titelgeschichte ist auch in der Magazinausgabe der Unternehmeredition 3/2025 erschienen.


„Für uns gilt: Partner vor Preis“

Interview mit Thomas Becer, CEO, FinMatch AG

Die Deutsche Beteiligungs AG (DBAG) hat im Juli dieses Jahres eine Minderheitsbeteiligung an der FinMatch AG erworben. Die digitale Corporate-Finance-Plattform vermittelt mittelständischen Unternehmen maßgeschneiderte Finanzierungen. Wir sprachen mit CEO Thomas Becer.

Unternehmeredition: Was war der Beweggrund für den Verkauf – und warum haben Sie sich für einen Teilverkauf entschieden?

Thomas Becer, CEO, Finmatch AG

Thomas Becer: Mit dem Matchplan 2030 binden wir gezielt externe Expertise ein, um unsere strategische Entwicklung zu stärken und zu beschleunigen. Durch die Beteiligung der DBAG erweitern wir unseren Aktionärskreis um einen souveränen und fachlich exzellenten Partner, der uns neue wertstiftende Perspektiven eröffnet und FinMatch auf ein noch höheres professionelles Niveau hebt.

Wie sahen Ihre Vorbereitungen aus und wie stark hat sich die Abwicklung auf das tägliche Geschäft ausgewirkt?

Die Abwicklung lief über ein kleines Kernteam mit klaren Workstreams; feste Prozess-Slots, damit das Operative ungestört weiterläuft.

Was würden Sie einem Unternehmer raten, wie er sich auf einen Verkauf vorbereiten sollte?

Für mich gilt: Partner vor Preis. Man sollte vorher Referenzen prüfen und ein gemeinsames Wertsteigerungsvorgehen abstimmen. Wichtig ist auch frühzeitige Klärung zum Thema Governance.

Lieber Herr Becer, wir danken Ihnen für die Einblicke!


M&A- und Private-Equity-Markt sortiert sich neu

Aktuelle Studien zeichnen ein konsistentes Bild eines sich neu sortierenden M&A- und Private-Equity-Markts in Deutschland. Nach zwei verhaltenen Jahren deuten alle Indikatoren auf eine Trendwende mit struktureller Anpassung hin. Private-Equity-Investoren zeigen demnach wieder mehr Investitionsbereitschaft – insbesondere im Midmarket. Dies wird gestützt durch gesunkene Zinsen, eine stärkere Kapitalverlagerung nach Europa und sich langsam stabilisierende makroökonomische Rahmenbedingungen.
Die Dealaktivität zieht insbesondere im mittelständischen Umfeld wieder an. Treiber sind digitale Geschäftsmodelle, resiliente Industrien und Technologiekompetenz. Gleichzeitig bleibt der Markt selektiv: Investoren setzen auf Branchen-Know-how, strategische Mehrheitsbeteiligungen und klare Wertschöpfungsmodelle. Kreative Strukturen wie Earn-outs oder Verkäuferdarlehen werden wichtiger, um Bewertungslücken zu überbrücken.
Ein zentrales Thema ist die Exit Readiness, die angesichts längerer Haltezeiten und anspruchsvollerer Käufer zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor wird. Professionelle Vorbereitung auf Exits – mit dokumentierter Ergebnisverbesserung und klaren Wachstumsstrategien – ist mittlerweile Voraussetzung, nicht Option. Allerdings verschärft sich der Wettbewerb im Markt deutlich: Industrieholdings und Family Offices bieten durch längere Investitionshorizonte und geringeren Renditedruck zunehmend Konkurrenz. Etablierte Private-Equity-Häuser müssen ihr Profil schärfen und sich strategisch differenzieren. Im Mittelstand bleiben Nachfolgeprobleme ein zentrales Hemmnis, ebenso wie regulatorische Belastungen, hohe Produktionskosten und geopolitische Risiken. Trotz dieser Herausforderungen bleibt der deutsche Markt attraktiv – vorausgesetzt, Käufer agieren selektiv, langfristig und mit Fokus auf nachhaltige Wertsteigerung.

Quellen: KfW Research/BVK – German Private Equity Barometer Q2/2025; Rödl & Partner – Marktüberblick Private Equity; Oaklins – Transaktionsanalyse 2025; Bundesverband M&A – Mittelstandsstudie; DBAG Midmarket-Private-Equity-Monitor

Autorenprofil
Alexander Görbing

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören  Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen und Tech-Start-ups.

Vorheriger ArtikelModemarke Closed findet neue Investoren
Nächster ArtikelM&A in zyklischen Branchen