Die Stunde der Quereinsteiger

Winzerbetriebe waren bislang Musterbeispiele für generationenübergreifende Familienbetriebe. Doch wo bislang die Erbfolge galt, öffnet sich die Branche nun zwangsläufig für Externe und Laien. An der Mosel mit ihrer gewaltigen Weintradition zeigt sich dieser Kulturwandel exemplarisch.

Carmen von Nell Breuning repräsentiert die elfte Generation in einer Winzerfamilie, die von Kaiser Joseph I. geadelt wurde und deren Kinder von Beethoven Klavierunterricht bekamen. Kann so viel Historie nicht auch eine Bürde sein? Carmen von Nell-Breuning lässt sich Zeit mit ihrer Antwort. „Aus der Perspektive des Teenagers kann das sicher belastend sein“, sagt sie. Doch: „Heute sehe ich das durchweg positiv, ich kann mich mit dem Selbstverständnis der Tradition mit ganzem Herzen identifizieren.“ Für die Chefin des Weinguts kamen radikale Umbrüche nie infrage. Ganz bewusst setzt sie auf hohe Qualität und baut ausschließlich die klassischen Rebsorten Riesling und Spätburgunder an. Die Vermarktungsstruktur für die jährlich 35.000 bis 40.000 Flaschen hat sie jedoch deutlich modernisiert. Zu Zeiten ihres Vaters wurden noch 95 Prozent der abgefüllten Flaschen an Privatkunden verkauft. Heute sind das nur noch 65 Prozent. Der Rest geht an Hotels, in den Fachhandel sowie in den Export.

Weinbau an der Mosel: Eine über 2.000 Jahre alte Tradition. © Dominikander Weingut C. von Nell-Breuning
Weinbau an der Mosel: Eine über 2.000 Jahre alte Tradition. © Dominikander Weingut C. von Nell-Breuning

Vom Winzer zum Liebhaber

In ihrem 1.300-Seelen-Heimatort am Fluss Ruwer hat Carmen von Nell-Breuning einen radikalen Umbruch beobachten können: „Als ich hier aufgewachsen bin, hatte jeder zweite Haushalt etwas mit Wein zu tun. Heute sind wir das einzige Haupterwerbsweingut, das übrig geblieben ist.“ Doch die gut vernetzte Winzerin erlebt deutschlandweit eine neue Dynamik. Junge Menschen retten die Familientradition, indem sie sich in einer Gruppe zusammentun und neben ihrem Hauptberuf hobbymäßig Weinberge bewirtschaften. Junge Menschen, deren Familien nie einen Bezug zu der Branche hatten, lassen sich zu Winzern ausbilden, schließen sich zu Start-ups zusammen, übernehmen einen alteingesessenen Betrieb und stellen ihn neu auf. „Es fließt auch viel Kapital von außen in die Branche“, beobachtet von Nell-Breuning. Immer öfter investiert ein vermögender Verwandter oder ein Fremder in einen alteingesessenen Betrieb. „Ein Weingut hat natürlich immer was davon, sich einen Traum zu verwirklichen“, sagt die Winzerin. Doch bei aller emotionalen Verbindung müsse sich eine solche Investition irgendwann auch wirtschaftlich tragen. „Das darf schließlich keine Liebhaberei sein, sonst erkennt das Finanzamt keine Absatzmöglichkeiten an“, warnt von Nell-Breuning.

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