Die Stunde der Quereinsteiger

Winzerbetriebe waren bislang Musterbeispiele für generationenübergreifende Familienbetriebe. Doch wo bislang die Erbfolge galt, öffnet sich die Branche nun zwangsläufig für Externe und Laien. An der Mosel mit ihrer gewaltigen Weintradition zeigt sich dieser Kulturwandel exemplarisch.

Vermächtnis? Bürde? Last?

„Viele Winzer haben eine starke emotionale Bindung zu ihrem Land, auf dem sie von klein auf tätig sind“, beobachtet Vereinsvertreter Ansgar Schmitz. Das könne aber auch zur Last werden, denn die viele körperliche Arbeit und die wenige Freizeit schrecke heute junge Menschen ab. Zumal die vielen kleinen bis mittleren Winzerfamilien oft von existenziellen Problemen bedroht gewesen seien: „Wenn die Erntemenge schlecht ausgefallen ist, etwa aufgrund von Dürre, Hagel oder Frost, womit man jedes Jahr rechnen musste, hatten die Betriebe nur Geld für das Allernötigste und die Bank saß einem im Nacken.“ Für eine solche berufliche Perspektive ließen sich immer weniger junge Menschen begeistern, weshalb deutschlandweit ein Weingütersterben einsetzte. Dr. Klaus Rückrich vom Deutschen Weinbauverband e.V., der Berufsorganisation der deutschen Winzer, erörtert: „Auch wenn die Betriebszahlen rückläufig sind, ist die Gesamtrebfläche Deutschlands stabil, das heißt, die Betriebe werden größer.“

Wenn ein kleineres Weingut aufgibt, finden sich oftmals lokale Lösungen: Ein expandierender Nachbarbetrieb übernimmt die Rebflächen, manchmal auch einzelne Markennamen. Beliebt sei bei Winzern weit ins Rentenalter hinein auch das Modell, nur noch die Weinberge solange es geht zu bewirtschaften, die Trauben aber direkt nach der Lese zu verkaufen. Diese Lösung hat den Vorteil, dass sie einem möglichen Nachfolger die Tür offenhält: „Es gibt Menschen, die einen ganz anderen Beruf ausgeübt haben und mit 40 oder mehr Jahren doch noch die Tradition übernehmen.“

Ahnentafeln sind stets präsent

Carmen von Nell-Breuning: Erst mal die Welt erkunden. © Dominikaner Weingut C. von Nell-Breuning

So ging es auch Carmen von Nell-Breuning. Nach dem Abitur „war es mir wichtig, mal rauszukommen und die Welt zu erkunden“, sagt die heute 41-Jährige. Sie studierte europäische Wirtschaft in mehreren Ländern, promovierte in Wien, wurde Bankangestellte in Luxemburg, reiste gern und viel. Doch immer war die Frage im Hinterkopf, was aus dem Familienbetrieb werden sollte. „Zu Beginn des Studiums habe ich sicher nicht gedacht, dass ich zurückkomme“, sagt von Nell-Breuning. Doch 2013 entschied sie sich dazu, das väterliche Weingut zu übernehmen. Seit 1670 gehört das frühere Dominikaner-Weingut C. von Nell-Breuning in Kasel an der Ruwer der Familie. Im repräsentativen Weinzimmer des großflächigen Anwesens sind die Ahnen mit ihrer Schaffenskraft stets präsent. Auf der linken Wandseite hängen die Portraits der väterlichen Linie, aufgereiht von Generation zu Generation.

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