Börsengänge und der öffentliche Kapitalmarkt werden oft kritisch gesehen. Doch wer genauer hinsieht, erkennt: Der Kapitalmarkt bietet Eigentümern und Unternehmen weit mehr als nur den Zugang zu Kapital – nämlich die Möglichkeit für Wachstum, Vertrauen, mehr Visibilität, strategische Spielräume und die Basis für internationale Wettbewerbsfähigkeit. Es ist Zeit, das alte Narrativ zu beenden und den Mut zum Börsengang in Europa zu stärken.
Ein Börsengang ist weit mehr als eine Finanzierungsoption. Er ist ein Wachstumstreiber, der die Grundlage für Investitionen, Innovation und internationale Expansion schafft. Eigenkapital stärkt die Bilanz, reduziert die Abhängigkeit von Fremdfinanzierung und eröffnet Spielräume für Akquisitionen. Gleichzeitig erhöht ein Listing die Sichtbarkeit bei Kunden, Partnern und auf dem Arbeitsmarkt. Für Unternehmen, die ihre Marke stärken und Fachkräfte gewinnen wollen, ist die Börse ein starkes Signal.
Kapitalmarkt bedeutet zudem auch Teilhabe: Mitarbeiter können über Aktienprogramme am Unternehmenserfolg partizipieren. Kunden können am wirtschaftlichen Erfolg teilhaben und Privatanleger werden zu Markenbotschaftern. Damit wird der Börsengang zu einem Instrument, das wirtschaftliche Stärke und gesellschaftliche Akzeptanz verbindet. Er stärkt die Governance, professionalisiert Strukturen und eröffnet neue Wachstumsperspektiven. Für Unternehmen ist er ein strategischer Schritt, der langfristig Wert schafft.
Europa, Deutschland und Frankfurt können mehr
Europa verfügt über eine herausragende Grundlagenforschung, hat starke Unternehmen, Kapital und Infrastruktur. Diese Stärke wird noch zu selten kapitalmarktorientiert genutzt. Die US-Börsen werden oftmals als erste Adresse für europäische Wachstumsunternehmen gesehen. Doch die Entwicklung nach dem Börsengang zeigt ein anderes Bild: IPOs an der Frankfurter Börse erzielten seit 2004 im Schnitt eine Performance von +24 %; US-Listings europäischer Firmen lagen im selben Zeitraum bei -13 %.
Besonders bei europäischen Unternehmen unter 10 Mrd. EUR Marktkapitalisierung ist Frankfurt im Vorteil. Die Bewertungen sind häufig attraktiver, gemessen am EV/EBITDA-Multiplikator mit 10,9 gegenüber 8,3 in den USA. Frankfurt bietet stabile Rahmenbedingungen, eine investorennahe Infrastruktur und hohe Transparenz. Das sind entscheidende Faktoren für nachhaltige Kursentwicklung und erfolgreiche Folgefinanzierungen. Wer langfristig plant, findet hier ein Umfeld, das Wachstum unterstützt.
Privatanleger als Wachstumsfaktor
Zudem ist die Basis für langfristige Investoren in Deutschland vorhanden. Die Zahl der Privatanleger vor Ort ist seit 2014 um 44 % gestiegen, das Handelsvolumen sogar um 150 %. Ein Börsengang in Frankfurt öffnet Unternehmen diesen wachsenden Markt – mit vertrauter Regulierung, lokaler Markenwirkung und direktem Zugang für Beschäftigte und Kunden. Ein US-Listing hingegen ist für europäische und deutsche Anleger oftmals nicht im Blickfeld und der Fokus liegt meist auf den allergrößten Unternehmen. Dadurch wird der Zugang erschwert, was eine wichtige Säule langfristiger Nachfrage schwächt.
Die oft zitierte Telekom-Aktie zeigt, wie verzerrt die öffentliche Wahrnehmung sein kann: Wer beim damaligen Börsengang investierte, erzielte inklusive Dividenden rund 210 % Rendite. Wer später einstieg, verzeichnete über zehn Jahre bis März 2024 etwa +160 % und in fünf Jahren rund +85 %. Auch der breite Markt überzeugt: Eine Investition in den DAX brachte von 2004 bis Ende 2024 durchschnittlich 8 % pro Jahr. Selbst über die vergangenen 25 Jahre, ab Ende 1999, lag die durchschnittliche Rendite bei 4,4 % jährlich, trotz eines denkbar ungünstigen Einstiegszeitpunkts.
Heimvorteil: Sichtbarkeit und Liquidität
Über 90 % der IPO-Erlöse deutscher Unternehmen seit 2014 wurden an der Deutschen Börse erzielt – das spricht für ein funktionierendes Ökosystem mit klaren Vorteilen vor Ort. Ein Listing im Heimatmarkt erhöht die Sichtbarkeit, verbessert die Analystenabdeckung und erleichtert den Zugang zu relevanten Investoren. Auch die Handelbarkeit überzeugt: Das Turnover-to-Free-Float-Verhältnis liegt beim DAX bei 4,5, im Fall des MDAX bei 4,0. Das sind beachtliche Werte, gerade im Vergleich zu internationalen Benchmarks wie dem Russell 2000 mit nur 0,6. Selbst Unternehmen mit geringerem Streubesitz profitieren von hoher Liquidität. Indexaufnahmen in MDAX oder STOXX Europe 600 verstärken diesen Effekt zusätzlich.
Wie das in der Praxis aussieht, zeigten zuletzt die Unternehmen Pfisterer und Ottobock: Der Börsengang von Pfisterer, einem Hidden Champion aus Winterbach in Baden-Württemberg, im Mai 2025 im KMU-Wachstumssegment Scale war ein klares Bekenntnis zum Standort. Seitdem hat sich der Kurs mehr als verdoppelt, die Marktkapitalisierung liegt bei über 1 Mrd. EUR. Internationale Investoren sind an Bord, Performance und Liquidität überzeugen. Das ist ein Beispiel dafür, dass Mittelständler in Frankfurt internationale Kapitalströme anziehen und Wertsteigerungen realisieren können.
Ottobock ist ebenfalls ein hervorragendes Beispiel für einen deutschen Weltmarktführer, der den Kapitalmarkt genutzt hat, um sich nachhaltig aufzustellen und neue Möglichkeiten wahrzunehmen. Ottobock, ein traditionsreiches Familienunternehmen mit einer 106-jährigen Historie, ist im Oktober 2025 an die Börse gegangen und konnte für das Unternehmen sowie die Eigentümerfamilie über 800 Mio. EUR einsammeln. Die Börsennotiz hat zusätzliche Visibilität für das Unternehmen geschaffen und bedeutet gleichzeitig Liquidität und einen zusätzlichen Kapitalzugang für die Familie.
Kapitalmarkt bedeutet Souveränität
Ein starker Kapitalmarkt ist kein Luxus, sondern Teil europäischer Souveränität. Europa verfügt über Unternehmen, Innovation, Infrastruktur und Kapital. Was fehlt, ist ein selbstbewusstes Mindset; ein neues, mutiges Narrativ, das Unternehmen das Selbstbewusstsein verschafft, den Kapitalmarkt strategisch zu nutzen. Es braucht ein Ökosystem, das Wachstumsunternehmen in Europa hält, eine breite Investorenbasis aus institutionellen und privaten Investoren und starke Partner wie die Deutsche Börse, die international vernetzt ist. Europa darf sich nicht länger kleinreden: Die wirtschaftliche Substanz Europas ist vorhanden. Jetzt gilt es, sie kapitalmarktfähig zu machen.
Dazu gehört auch, falsche Anreize zu korrigieren. Wir brauchen mehr Mitarbeiterbeteiligung, die wirklich im Portemonnaie ankommt, eine zukunftsfähige Altersvorsorge mit Aktienkomponente und eine Finanzbildungsoffensive, die Rendite, Risiko und Langfristigkeit erklärt. Unternehmen wiederum sollten die Nähe zu Research, zu Spezialfonds und Family Offices nutzen, die den Heimatmarkt kennen, und ihre Story aktiv über Roadshows, Capital Market-Days und klare KPI-Guidance erzählen.
FAZIT
Wer wachsen will, muss an die Börse und den Kapitalmarkt als strategischen Hebel nutzen. Die Fakten sprechen für den Heimatmarkt. Europäische Unternehmen profitieren in Frankfurt von einer besseren Post-IPO-Performance, attraktiven Bewertungen, hoher Handelsaktivität und direktem Zugang zu einer wachsenden Privatanlegerbasis.
Europa bringt die Substanz mit, Frankfurt liefert das Umfeld. Ein Listing in Frankfurt ist kein Kompromiss, sondern für viele Unternehmen die überlegene Wahl. Der Finanzplatz bietet, was europäische Wachstumsunternehmen benötigen: eine liquide Heimatbörse mit internationaler Reichweite, verlässlicher Regulierung und der Möglichkeit, Mitarbeiter und Privatanleger einzubinden. Der Börsengang wird unterschätzt und der Kapitalmarkt muss für mehr Wettbewerbsfähigkeit auch vom Mittelstand und von Familienunternehmen eine größere Rolle spielen. Gemeinsam können wir das Narrativ verändern.
👉 Dieser Beitrag erscheint auch in der neuen Magazinausgabe der Unternehmeredition 04/2025 (Erscheinungsdatum: 12.12.2025).





