Der Nachfolgekomplex

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

Alexander-Brochier © Haus des Stiftens gGmbH
Alexander-Brochier © Haus des Stiftens gGmbH

Dass solche Projekte sehr erfüllend sein können, zeigen gleich mehrere Beispiele. Eines der bekanntesten ist Alexander Brochier. Von 1976 bis 2016 stand er an der Spitze der Brochier Gruppe, eines Komplettanbieters für Gebäudetechnik mit Sitz in Nürnberg. Als er schließlich die Verantwortung für das Familienunternehmen an seinen Neffen Christian Waitz und einen weiteren Geschäftsführer übergab, brauchte er keine Leere zu fürchten. Denn Brochier hatte bereits 1992 eine Stiftung zur Förderung benachteiligter Kinder gegründet. Drei Jahre später hob er das Haus des Stiftens in München aus der Taufe, das inzwischen 1.400 Stiftungen betreut. Für seine Arbeit nach dem Unternehmerleben erhielt Brochier schließlich im vergangenen Oktober den Preis „Entrepreneur of the Year“ der Beratungsgesellschaft EY.

Ein anderer prominenter Fall ist Werner Kieser, der die gleichnamige Fitnesskette gegründet hat und vor zwei Jahren ausgestiegen ist (siehe auch Unternehmeredition 1/2017). Seitdem ist sein ehemaliger Manager Michael Antonopoulos Hauptgesellschafter. Als Gründer sollte es Werner Kieser eigentlich besonders schwergefallen sein, nicht nur operativ loszulassen, sondern das Unternehmen auch zu veräußern. Doch hat Kieser das Karriereende geplant und Stück für Stück umgesetzt – erst operativ, dann als Gesellschafter. Heute konzentriert er sich auf seine philosophischen Interessen und gibt Vorträge: „Ich habe genauso viel Arbeit wie vorher“, sagt er. Der Unterschied besteht nur darin, dass er freier über seine Zeit verfügen kann. Alle vier bis acht Wochen treffen sich Alt- und Neugesellschafter zu einem Jour Fixe. Antonopoulos setzt weiter auf den Rat von Kieser. Wenn keine materiellen Interessen mehr damit verknüpft sind, scheint dies auch deutlich einfacher zu sein. Über seinen Abschied vom eigenen Unternehmen sagt Kieser: „Mein Unternehmen war nie Selbstzweck, sondern das Vehikel der Idee: die Welt zu kräftigen.“

Der ehemalige Unternehmer Werner Kieser: "Mein Unternehmen war nie Selbstzweck." © Kieser Training / Severin Jakob
Der ehemalige Unternehmer Werner Kieser: “Mein Unternehmen war nie Selbstzweck.” © Kieser Training / Severin Jakob

Kieser ist das gelungen, was beispielsweise die Berater von K.E.R.N empfehlen: „Für den Erhalt ihres Lebenswerks sollten Unternehmer die Firma vor die eigene Persönlichkeit stellen. Aus einer Helikopterperspektive lässt sich besser erkennen, wer für die Weiterentwicklung des Unternehmens passend ist, statt nur das eigene Spiegelbild zu suchen.“ Ohne eine schonungslose Auseinandersetzung mit der eigenen Psyche, den eigenen Werten und der eigenen Endlichkeit geht das allerdings nicht. Das ist nicht einfach, Gespräche mit anderen Firmenlenkern können dabei helfen.

„Ganz entscheidend für den Erfolg einer Unternehmensnachfolge sind die Strukturen und die Kommunikation in der Familie“, erklärt Professorin Rau. Die Art, wie über dieses Thema gesprochen wird, ist sogar wichtiger als eine gute Planung. Damit können die potenziellen Nachfolger wesentlich dazu beitragen, dass die Übergabe gelingt. „So kann schließlich das Vertrauen wachsen, das für den Absprung unerlässlich ist“, ist Experte Koeberle-Schmid überzeugt. Er vergleicht die Situation der Übergabe an die nächste Generation mit dem Absprung von Trapezkünstlern. „Der eine wird nicht losfliegen, wenn kein Verlass besteht, dass der andere da ist und ihn auffängt“, sagt er. Wartet der Nachfolger mit dem Zupacken, bis der Senior weg ist, wird dieser ebenfalls warten.

Professionalität statt Befindlichkeiten

In der Quintessenz geht es darum, die Nachfolge eben am Nachfolger zu orientieren und nicht am Senior. Die Junioren müssen übernehmen, bevor sie selbst Senioren geworden sind, und im besten Fall über mehr Expertise verfügen als ihre Vorgänger im gleichen Alter. Die Senioren müssen ihre eigene Planung deshalb hintanstellen. Andernfalls laufen mittelständische Familienunternehmen Gefahr, vom Markt zu verschwinden – mit allen fatalen Folgen für Arbeitnehmer und die deutsche Wirtschaft insgesamt. Der vielbeschworene demografische Wandel sorgt ohnehin dafür, dass die Zahl potenzieller Nachfolger hinter der der übergabebereiten Unternehmen zurückbleibt. Je anspruchsvoller der Wechsel, desto mehr sind Disziplin und eine klare Struktur gefragt, die Professionalität über Befindlichkeiten stellt.

 

 

 

 

 

 

1
2
3
4
5
6
Vorheriger ArtikelInternationalisierung statt Fachkräftemangel
Nächster ArtikelSich selbst kennen, um andere zu verstehen