Der Nachfolgekomplex

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

„Das ist ein nicht zu unterschätzendes Phänomen“, sagt Rau. „Gründer der Generation 75 plus haben in ihrem Leben nie etwas anderes gemacht, als das Unternehmen zu führen, sie sind intrinsisch motiviert“, erklärt sie. Ihre Firma ist mehr als ihr Lebensinhalt, sie ist vielmehr Teil ihrer Persönlichkeit, sie werden selbst zum Unternehmen. „Wenn sie es abgeben, ist das wie Selbstmord“, sagt Rau. Tatsächlich sei zu beobachten, dass gerade Gründer der Nachkriegszeit versterben, kurz nachdem sie ihr Lebenswerk in neue Hände übergeben haben.

Christine Rademacher, Leiterin Financial Engineering bei der Commerzbank, hat mit Komplikationen bei der Nachfolge immer wieder zu tun. Etwa dann, wenn es um Finanzierungen für Investitionen geht, die der Gründer noch stemmen möchte. „Ich denke, das Phänomen, nicht loslassen zu können, hat mit Starrsinn wenig zu tun“, sagt die Finanzierungsexpertin. Vielmehr sind häufig bei Gründern des alten Schlages Wertvorstellungen ausgeprägter als etwa bei Firmenlenkern der Nachfolgegeneration. „Sie empfinden eine sehr große Verantwortung für den Wert, den sie mit ihrem Unternehmen geschaffen haben“, analysiert Rademacher. Die Gründer sehen sich selbst als der Unternehmer vor Ort, der für das Wohlergehen in der Region steht. „Das Gefühl, seine Mitarbeiter seien auf ihn angewiesen, lassen diesen Unternehmertyp oft keinen Zeitpunkt für einen Ausstieg finden.“

© KfW Mittelstandsatlas-2018
© KfW Mittelstandsatlas-2018

Angst vor dem kleinen Tod

Solche Situationen führen dann zu einer abstrakten Melancholie, nicht mehr gestalten zu können. „Hinzu kommt die generelle Angst vor der Zeit nach dem Ausstieg aus der Firma“, erklärt Wissenschaftler Rüsen. Der Unternehmer fürchtet, in ein großes schwarzes Loch zu fallen. „Die Firmenübergabe wird in der Tat wie ein ‚kleines Sterben‘ empfunden, das umso schlimmer ist, wenn sich abzeichnet, dass das Unternehmen nicht innerhalb der Familie weitergeführt werden kann“, resümiert Rüsen. In diesem Fall schieben die Patriarchen ihre Nachfolge noch weiter hinaus.

Und nicht zuletzt haben sie vielfach auch ganz einfach noch keine Lust, zu gehen. „Gründer im heutigen Alter von 75 plus sind zwar mit begrenzten Ressourcen aufgewachsen, haben dann aber meist hohes Wachstum und Wohlstand erlebt“, erklärt Dominik von Au, Geschäftsführer der Intes Akademie für Familienunternehmen und Partner bei der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC. Dadurch sind sie länger fit als Vertreter ihrer Vorgängergeneration. „Und wenn 80 das neue 60 ist, fragen sie sich: ‚Warum denn jetzt schon aufhören?”

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