Der Nachfolgekomplex

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

Caroline Kretschmann mit ihren Eltenr Ernst-Friedrich und Sylvia: Respekt vor der Phase des endgültigen Loslassens.© Der Europäische Hof Hotel Europa Heidelberg GmbH
Caroline Kretschmann mit ihren Eltenr Ernst-Friedrich und Sylvia: Respekt vor der Phase des endgültigen Loslassens.© Der Europäische Hof Hotel Europa Heidelberg GmbH

Im Europäischen Hof in Heidelberg ist der Nachfolgeprozess bereits angelaufen. Seit Dezember 2012 ist Caroline von Kretschmann geschäftsführende Gesellschafterin der Betriebsgesellschaft des privat geführten Fünf-Sterne-Hotels, bei der 165 Mitarbeiter, darunter 40 Auszubildende, angestellt sind. Eines Tages an die Stelle ihres Vaters und ihrer Mutter zu treten, das hatte von Kretschmann nicht geplant. Längst hatte sie sich nach einer Banklehre und anschließendem BWL-Studium mit Promotion ein eigenes Leben in Berlin aufgebaut, als die Eltern ihr die Nachfolge 2005 zum ersten Mal anboten. „Das habe ich damals schweren Herzens abgelehnt“, erzählt die heutige Chefin.

Sanfter und fließender Übergang

Ihre Eltern verstanden die Entscheidung, aber sie selbst merkte bald, dass sie dem Familienunternehmen eine Chance geben musste: Im Jahr 2010, also fünf Jahre später, stieg sie dann doch ein. Ihre Eltern, Sylvia und Ernst-Friedrich von Kretschmann, sind bis heute im Unternehmen tätig. Mit der Zeit haben sie ihre Aufgaben immer weiter reduziert, Caroline von Kretschmann hat gleichzeitig zunehmend Verantwortung übernommen. „Wir haben eine sehr gute Beziehung“, sagt die Hotelchefin. Jeden Tag isst sie mit ihren Eltern zu Mittag, Entscheidungen werden besprochen; Konflikte, ohne die ein Nachfolgeprozess nie über die Bühne geht, werden offen ausgetragen.

„Obwohl die schrittweise Übergabe sehr gut läuft, ist es für meine Eltern auch eine Herausforderung, sich zurückzuziehen“, berichtet von Kretschmann. Sie haben das Hotel 1965 in dritter Generation übernommen, ihre Mutter war damals 24 Jahre alt, ihr Vater 26. Der Europäische Hof war für sage und schreibe 53 Jahre ihr Lebensinhalt. „Meine Eltern sind mit dem Hotel verwachsen, sie sind das Hotel“, sagt von Kretschmann. Und Sie wissen, dass die Tochter auf ihre Erfahrung noch zählt. „Dass sie und ich vor der Phase des endgültigen Loslassens Respekt haben, ist nicht verwunderlich“, sagt von Kretschmann.

Familie Harting: "Wir haben alle die Fähigkeit, unser Ego vor der Tür zu lassen." © HARTING Stiftung & Co. KG
Familie Harting: “Wir haben alle die Fähigkeit, unser Ego vor der Tür zu lassen.” © HARTING Stiftung & Co. KG

Ähnliche integrative Modelle wie bei den von Kretschmanns, bei denen die Juniorin oder der Junior rechtzeitig die strategische Führungsrolle übernimmt, gibt es häufiger, als man meint. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Familie Harting von der gleichnamigen Technologiegruppe aus Minden. Der Spezialist für Verbindungstechnik gehört mit einem Umsatz von über 750 Mio. Euro und knapp 5.000 Mitarbeitern zu den Hidden Champions. Seit Oktober 2015 ist Philip Harting Vorstandsvorsitzender, seine Schwester ist CFO. Aber auch Mutter Margit Harting ist weiter im Vorstand für Personal aktiv, der Vater ist ebenfalls vertreten: „Wir streiten mit Argumenten und haben alle die Fähigkeit, unser Ego vor der Tür zu lassen“, beschreibt der Junior Philip Harting die Chemie zwischen den Generationen.

Das Prinz-Charles-Syndrom

Bei vielen Gründern sieht das anders aus. Sie waren nicht in der Position eines Nachfolgers, identifizieren sich noch stärker mit ihrem Unternehmen – und können ihr Lebenswerk häufig deutlich schlechter loslassen.

„Ich habe kürzlich mit einem solchen Gründer gesprochen“, berichtet Sabine Rau, Partnerin bei Peter May Family Business Consulting. Die Tochter des Unternehmers war längst in der Firma tätig, der Nachfolgeprozess entwickelte sich positiv. Doch als Rau sich erkundigte, warum er das Unternehmen denn nicht endlich ganz an seine Tochter übergebe, erhielt sie eine Frage zur Antwort: „Wenn sie künftig die Nummer eins ist, wer bin ich denn dann?“

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