Der Nachfolgekomplex

Immer wieder scheitern Übergaben von Familienunternehmen daran, dass Patriarchen der Generation 75 plus diese nicht oder viel zu spät vorbereiten. Wenn Unternehmer den Platz für die nächste Generation nicht räumen, steht die Existenz des Familienunternehmens auf dem Spiel. Warum der Generationenwechsel nicht zum Generationenproblem werden darf.

Rüstig, aber nicht mehr dynamisch

Mögen die Gründe für ein Klammern am Unternehmen nachvollziehbar sein, so ändert dies nichts daran, dass das Prinz-Charles-Syndrom verheerende Folgen haben kann. „Der Unternehmer ist vielleicht tatsächlich noch rüstig, möchte sich aber mit aktuellen Entwicklungen wie der Digitalisierung nicht mehr beschäftigen“, gibt Holger Habermann vom Beratungshaus K.E.R.N zu bedenken. „Mangelt es an Innovationskraft, bleibt mit der Zeit der Erfolg aus, die Firma hinter ihren Wettbewerbern zurück, die Marktposition wird geschwächt.“ Möchten sie doch noch investieren, dann wird es für Banken mit steigendem Alter des Firmenchefs immer schwieriger, Finanzierungen zu gewähren. Das Problem verschärft sich, wenn keine Nachfolge geplant ist.

Ist bereits ein potenzieller Nachfolger im Unternehmen tätig, so hat dieser keine Chance, in seine künftige Rolle hineinzuwachsen, solange der Altinhaber keine Verantwortung abgibt. Das Ganze wird in der Fachwelt auch als Prinz-Charles-Syndrom bezeichnet, in Anlehnung an den seit Jahrzehnten auf den Thron wartenden Nachfolger der britschen Queen. „Mir hat kürzlich ein 80-jähriger Gründer seinen ‚Junior‘ vorgestellt, der selbst schon 58 Jahre alt war“, berichtet Finanzierungsexpertin Rademacher. In der Firma kommt dem Sohn des Unternehmers genau diese Rolle zu. „Er ist der Junior, der Respekt gebührt dem Vater“, pointiert Rademacher. Übernimmt ein solcher Juniorchef eines Tages tatsächlich, hat er es häufig schwer, die Anerkennung zu gewinnen, die sein Vorgänger genossen hat.

Schlimmer noch: Wird der Senior ernsthaft krank oder stirbt, muss die nächste Generation häufig nahezu unvorbereitet übernehmen, sofern zu diesem Zeitpunkt überhaupt ein Nachfolger aus dem Familienkreis zur Verfügung steht. Eventuell haben sich Kinder oder Enkel längst ihr eigenes Berufsleben aufgebaut, weil sie auf ihre Position als neuer Firmenchef nicht Jahrzehnte warten wollten. „Muss das Unternehmen dann verkauft werden, finden wir zwar oft Interessenten“, sagt Rademacher. Es besteht aber die Gefahr, dass die Firmen dann zu unangemessen niedrigen Preisen verkauft werden müssen. Sollte gar kein Käufer parat stehen, bleibt den Erben nichts anderes übrig, als das Unternehmen zu liquidieren. Dann hat der Patriarch durch sein Festhalten an der Firma genau das provoziert, was er am meisten fürchtete – die Vernichtung seines Lebenswerks.

Schwund der deutschen Wirtschaftskraft

Für die deutsche Wirtschaft kann es erhebliche Auswirkungen haben, wenn Unternehmer aus Angst vor Identitätsverlust oder aus einem falsch verstandenen Verantwortungsgefühl heraus letztendlich verantwortungslos handeln. Nach den Ergebnissen einer Sonderauswertung zum KfW-Mittelstandspanel 2018 planen weit über 200.000 Inhaber kleinerer und mittlerer Unternehmen, sich bis Ende 2019 zurückzuziehen. Die Bedeutung dieser Firmen ist beachtlich. Noch im Jahr 2016 waren sie Arbeitgeber für rund zwei Millionen Erwerbstätige und fast 90.000 Auszubildende. Und fast jeder Zweite von ihnen war zum Zeitpunkt der Erhebung zwischen Februar und Juni 2017 auf eine anstehende Nachfolge jedoch nicht vorbereitet. Das sind dramatische Zahlen.

Verschwindet eine Vielzahl dieser Unternehmen vom Markt, bedeutet es, dass Arbeitsplätze, Vermögen und Werte vernichtet sind. „Gerade in Branchen wie dem Maschinenbau oder der Automobilproduktion, wo Mittelständler besonders stark vertreten sind, würde ein Konzentrationsprozess stattfinden“, sagt Roland Greppmair von Beratungshaus K.E.R.N. Die mittelständische Vielfalt nähme ab, damit auch Ideenreichtum und Erfindergeist. „Und nicht zuletzt käme es zu Steuereinbußen“, fasst Greppmair zusammen.

Doch so weit muss es nicht kommen. „Der Typus Patriarch stirbt langsam aus“, sagt Dominik von Au. Die Unternehmer, die heute 55 Jahre oder älter sind, haben deutlich weniger Probleme damit, sich von ihrer Firma zu trennen. So gab in einer Umfrage der Intes Akademie und des Instituts für Mittelstandsforschung Bonn unter mehr als 70 Unternehmern immerhin jeder Zweite von ihnen an, er hätte schon viele Ideen für die Zeit als Rentner. „Bei den jüngeren Firmenlenkern herrscht ein viel größeres Bewusstsein für das Thema, sie sehen die Nachfolge mehr als Chance denn als Zwang an“, beobachtet auch Alexander Koeberle-Schmid, Experte für die familieninterne Unternehmensnachfolge.

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