Ebbe oder perfekter Sturm mit Insolvenzwelle?

Restrukturierungen und Insolvenzen: Was in den nächsten Monaten zu erwarten ist und was Entscheider jetzt tun müssen

Foto: © M. Schuppich_AdobeStock

Vielfach wurde sie im Zuge der Lockdowns im Rahmen der Coronapandemie vorhergesagt, nie ist sie gekommen: die Insolvenzwelle. Stattdessen herrschte Ebbe mit für die Zeit seit Inkrafttreten der InsO historisch niedrigen Insolvenzzahlen. Nun schlägt die Tide um. Der Beitrag zeigt die gestiegenen Risiken nebst Ursachen unter besonderer Beachtung des Themas der staatlichen Coronakredite auf und gibt Handlungsempfehlungen.

Während die Coronapandemie medizinisch in den Jahren 2020 und 2021 ihre Höhepunkte erreichte, wurde eine allgemeine Krise der deutschen Wirtschaft durch rasches und breitflächig wirkendes Eingreifen des Staates in Form großvolumiger Hilfsprogramme mit temporärer, konditionierter Aussetzung der Insolvenzantragspflichten vermieden. Teilweise war eine Überkorrektur nebst Mitnahmeeffekten zu beobachten. Der „natürliche Ausleseprozess“ im Rahmen der wettbewerbsorientierten sozialen Marktwirtschaft war weitgehend ausgesetzt. In Kombination mit einem sehr niedrigen Zinsniveau und im Übermaß vorhandener Liquidität im Markt erreichten die Zahlen von Restrukturierungen und Insolvenzen historische Tiefstände seit Einführung der Insolvenzordnung (InsO).

Rückzahlungen von Coronakrediten stehen an

Aber: Die öffentlichen Mittel im Rahmen der Hilfsprogramme wurden großenteils nicht als verlorene Zuschüsse gleichsam „geschenkt“, sondern sind zurückzuzahlen. Die Coronakredite im Rahmen der staatlichen Programme sehen an Fristen gebundene Rückzahlungen vor. Tilgungsfreie Zeiten betragen weithin zwei Jahre und die Zeiträume für die vollständige Rückzahlung zum Beispiel sechs Jahre. Tilgungsfreie Schonungszeiten laufen daher sukzessive ab. Rückzahlungen in zum Teil existenzbedrohender Höhe stehen an. Soweit die Hausbanken im Rahmen der Hilfsprogramme Kredite der KfW „durchgeleitet“ haben, ist diese bei Sanierungsmaßnahmen und Stundungen zu beteiligen. Die Hilfsprogramme in den Jahren 2020 und 2021 waren mit der EU abgestimmt. Bei nunmehr anstehenden Restrukturierungen der daraus resultierenden Verbindlichkeiten können öffentliche Mittelgeber aus Gründen des Beihilferechts nur dann einigermaßen unkompliziert Hilfe leisten, wenn das Entgegenkommen den Anforderungen eines „Private Creditor Test“ genügt, wenn also ein privater Gläubiger in derselben Situation zu dem gleichen Entgegenkommen bereit wäre. Hinsichtlich der Entschuldung von Verbindlichkeiten aus den Coronahilfsprogrammen im Wege von Restrukturierungs- und Insolvenzplänen nach StaRUG beziehungsweise InsO gilt zudem gemäß § 7 COVInsAG ein gesetzliches Differenzierungsverbot.

Inflation erreicht neue Höchststände

Die Inflation aufgrund der übermäßigen Liquidität im Markt und der (zu) spät erfolgenden Korrektur durch die Zentralbank führt zu einer galoppierenden Inflation, welche inzwischen seit Anfang der 1980er Jahre nicht mehr gesehene Höchststände erreicht. Eine Gegenbewegung mit einer allgemeinen Erhöhung des Zinsniveaus dürfte ab dem Sommer 2022 unausweichlich werden. Dann wird sich das hohe Verschuldungsniveau besonders gravierend auswirken. Refinanzierungen von Darlehen aus Coronahilfsprogrammen zu Konditionen, die angeschlagene Unternehmen stemmen können, werden dadurch schwerer zu erlangen sein und die Belastung der Cashflows durch Zinszahlungen wird steigen. Dieser krisenbeschleunigende Effekt wird dadurch verstärkt, dass die extreme Inflation aufgrund der gestiegenen Lebenserhaltungskosten entsprechende Lohnsteigerungen erwarten lässt, sodass sich auch der Personalkostenaufwand deutlich erhöhen wird. Gleichzeitig sind die Energiekosten ebenfalls in einem seit den 1970er Jahren nicht mehr gesehenen Umfang gestiegen und nicht nur Unternehmen der Energiebranche befinden sich hierdurch bereits in der Krise. Auch energieintensiv produzierende Unternehmen sind stark betroffen und die gestiegenen Kosten tragen durch Preiserhöhungen wiederum zur Inflation und der Steigerung der Preise bei, was ebenfalls den Materialaufwand steigert. Die Störung der globalen Handelsketten durch die Fortwirkungen der Coronapandemie (insbesondere in China) und den Ukrainekrieg tut ein Übriges und erhöht nicht nur die Lieferkettenrisiken, sondern wirkt ebenfalls preistreibend. Die meisten vorgenannten Faktoren verstärken sich gegenseitig.

Anstieg von Insolvenzen ab dem Sommer

Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass mittlerweile zahlreiche ungünstige Faktoren zusammenwirken, sodass mit einer Abkühlung der Konjunktur sowie einem deutlichen Anstieg der Restrukturierungsfälle und Insolvenzen ab dem Sommer 2022 zu rechnen ist.

Was ist zu tun? Checkliste und Stichworte zur Krisenprävention:

a) Liquiditätsrisiken: Hinsichtlich des steigenden Aufwands (Personal-, Zins- Energiekosten und Materialaufwand) sind Gegenmaßnahmen zur Stärkung des Cashflows zu ergreifen: Sicherung der Finanzierung, Gespräche mit Kreditgebern (ganz besonderes Augenmaß bei Beteiligung öffentlicher Mittelgeber und Bürgen: Stichwort Beihilferecht) und der Gesellschafterseite, Factoring, Leasing, Working Capital Management (bei gleichzeitiger Lagerhaltung von Schlüsselprodukten); Debitorenmanagement und Sicherung gegen Forderungsausfälle (Eigentumsvorbehalte, Vorkasse/Anzahlungen, Sicherheiten/Bürgschaften); im Übrigen: genaue Beobachtung der Liquiditätssituation und der Durchfinanzierung zur Sicherung der Fortführungsprognose

b) Zinsrisiken: vertragliche Sicherung des aktuell noch günstigen Zinsniveaus, Absicherung von Fremdwährungsrisiken (Hedging)

c) Lieferkettenrisiko: Lieferantenscreening, Vertragsmanagement, gezielte Lagerhaltung unersetzlicher Schlüsselprodukte, Force-majeure-Klauseln, Vertragsanpassungsmechanismen für den Fall, dass durch höhere Gewalt und speziell definierte Risiken, wie etwa Krieg und Pandemie, eigene Lieferungen erschwert oder unmöglich werden, um eigene Schadensersatzrisiken zu mindern

d) Energiekosten: langfristiger Einkauf von Energie zu gesicherten Preisen, Hedging (soweit noch möglich)

e) Lohnkostenrisiken/Auslastungsrisiko: maßvolle Tarifabschlüsse trotz gestiegener Inflation, bei Krisenanzeichen frühzeitige Aufnahme von Gesprächen mit der Belegschaft (Betriebsrat, Gewerkschaften), Möglichkeit von Sanierungstarifverträgen, gegebenenfalls rechtzeitige Nutzung von Kurzarbeit

f) Insgesamt: frühzeitige Einbindung gegebenenfalls auch externer Krisenkompetenz durch Sanierungs- und Restrukturierungsberater (Unternehmensberater, spezialisierte Anwälte)

Fazit

Extreme treten selten ein. Ob der deutschen Wirtschaft der perfekte Sturm bevorsteht oder dieser vorbeizieht, ist noch ungewiss. Definitiv enden wird aber die Ebbe bei Restrukturierungen und Insolvenzen. Deren deutlicher Anstieg bis hin zu einer gewissen Welle ist zu befürchten. Die Unternehmensleitungen sind aufgerufen, spätestens jetzt entsprechende Vorkehrungen zu treffen. Besonderes Augenmerk verdienen Verbindlichkeiten aus Coronahilfspaketen unter Beteiligung öffentlicher Mittelgeber (Beihilferecht). Risikoüberwachungssysteme und Handlungspflichten bei einer sich abzeichnenden Krise sind eine gesellschaftsrechtliche und gemäß § 1 StaRUG auch restrukturierungsrechtliche Pflicht. Verstöße beziehungsweise zu späte Reaktionen können die Unternehmen gefährden und auch Haftungsrisiken nach sich ziehen. Bei absehbarer Betroffenheit von den oben genannten ungünstigen Entwicklungen ist die rechtzeitige Einschaltung von Restrukturierungsexperten durch die Geschäftsleitung geboten. Im Falle des Falles beraten diese auch zu den tiefergreifenden gesetzlichen Sanierungsmöglichkeiten gemäß StaRUG und InsO, wie etwa Restrukturierungsplänen, Schutzschirmverfahren und Plansanierungen sowie den dafür offenstehenden Zeitfenstern.

Autorenprofil
Prof. Dr. Georg Streit

Prof. Dr. Georg Streit ist Rechtsanwalt, Partner und Leiter der Praxisgruppe Restrukturierung bei Heuking Kühn Lüer Wojtek. Er ist umfassend beratend und forensisch in allen Bereichen tätig, die durch den Themenkreis Krise/Restrukturierung/Sanierung/Insolvenz in juristischer Hinsicht angesprochen sind. Die Praxisgruppe berät und vertritt Gesellschafter, Management, Gläubiger sowie Investoren von Unternehmen in der Krise und im Restrukturierungs-, Insolvenz-, Schutzschirm- und Insolvenzplanverfahren nach StaRUG und InsO.

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