Zu alt? Von wegen!

Warum die Generation 50 plus die Zukunft sichert

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Verlässlichkeit, Kommunikationsstärke, Lernfähigkeit und die Gelassenheit, mit Veränderungen souverän umzugehen? Unternehmen wissen häufig sehr genau, welche Kompetenzen sie brauchen, um im globalen Wettbewerb zu bestehen. Und trotzdem hagelt es bei einer Bewerbergruppe, die genau diese Qualitäten verkörpert, häufig Absagen. Der Grund: Erfahrene Fach- und Führungskräfte der Generation 50 plus gelten bei zahlreichen Unternehmen als „zu alt und zu teuer“.

Wer möchte schon festgefahrene Mitarbeiter, die nicht offen für Neues sind und unmotiviert ihre letzten Jahre „absitzen“ – so zumindest das Klischee. Erfolgsunternehmer Carsten Maschmeyer nennt das die größte Kompetenzverschwendung unserer Zeit. Tatsächlich berauben sich zahlreiche Organisationen durch Altersdiskriminierung, sogenanntes Ageism, selbst. Die Folgen liegen auf der Hand: Verlust an Innovationskraft und wirtschaftlichem Erfolg. Zeit also, das Potenzial von Bewerbern über 50 neu zu denken?

Der blinde Fleck im Fachkräftemarkt

Der demografische Wandel verschärft sich rasant: Schon heute kann laut DIHK-Fachkräftereport 2024/25 jedes zweite Unternehmen offene Stellen nicht vollständig besetzen – 43 Prozent der Betriebe berichten von Engpässen. Im Vergleich zum Vorjahr stellt das zwar einen Rückgang von 7 Prozentpunkten dar, allerdings bedeutet das längst keine Entspannung. Im Gegenteil: DIHK-Hauptgeschäftsführer Achim Dercks nannte das Phänomen „Fachkräftemangel trifft auf Strukturprobleme“.

Der War of Talents bleibt also angespannt, obwohl die Personalnachfrage infolge wirtschaftlicher Schwäche sinkt. Ein Teufelskreis entsteht: Zu wenig qualifizierte Kräfte sind verfügbar, wodurch Unternehmen ihre Aufträge und Investitionen bremsen, was wiederum Wachstum und Beschäftigung hemmt. Kein Wunder also, wenn das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) den volkswirtschaftlichen Schaden durch unbesetzte Stellen bereits jetzt auf rund 49 Milliarden Euro pro Jahr beziffert – eine Summe, die bei anhaltendem Fachkräftemangel bis 2027 auf etwa 74 Milliarden Euro steigen könnte. Dabei liegt eine Lösung auf der Hand: Die Generation 50 plus ist inzwischen die zweitgrößte und am schnellsten wachsende Gruppe unter den Erwerbstätigen in Deutschland.

Laut Statistischem Bundesamt (2024) zählt mittlerweile fast jede dritte arbeitende Person zu dieser Alterskohorte – Tendenz steigend. Trotzdem geht die aktuelle Forschung davon aus, dass ältere Bewerber im Einstellungsprozess strukturell benachteiligt sind. Eine 2024 im Fachjournal Empirical Economics erschienene Studie zeigt, dass ältere Arbeitnehmer hierzulande weiterhin deutlich seltener eingestellt werden, als es ihrem Anteil an der Erwerbsbevölkerung entspricht.

Was Unternehmen wollen

Es scheint ein Paradox: Während Firmen über Fachkräftemangel klagen, bleibt das Potenzial erfahrener Talente überproportional ungenutzt. Was also suchen Betriebe wirklich? Unternehmen stehen heute vor multiplen Herausforderungen. Sie müssen in unsicheren Märkten bestehen und zugleich ihre Teams für eine Zukunft befähigen, die von technologischen, ökologischen und sozialen Umbrüchen geprägt ist.

Es gilt also, agil auf Marktveränderungen zu reagieren und gleichzeitig Stabilität und Orientierung zu gewährleisten. Die Deloitte-Studie „Human Capital Trends 2025“ sieht in diesem Balanceakt ein zentrales Thema moderner Organisationen und beschreibt ihn als einen Spagat zwischen Effizienz und Anpassungsfähigkeit, Kontrolle und Eigenverantwortung, Technologie und Menschlichkeit. Was Unternehmen dazu brauchen, sind Mitarbeitende, die in einem von Unsicherheiten geprägten Umfeld handlungsfähig und zugleich motiviert sind.

Die Bertelsmann-Studie „Kompetenzen für morgen“ (2023) zeigt etwa, dass Unternehmen vor allem Einfühlungsvermögen, Team- und Anpassungsfähigkeit, Selbstorganisation sowie kritisches und kreatives Denken als entscheidend ansehen. Ähnlich sieht es die OECD: Bedingt durch den digitalen und ökonomischen Wandel verändern sich die Anforderungen an Arbeitskräfte tiefgreifend, wobei Informationsverarbeitung, sozio-emotionale und metakognitive Fähigkeiten an Bedeutung gewinnen – also genau die Kompetenzen, die Menschen befähigen, komplexe Probleme zu lösen, sich auf neue Situationen einzustellen und mit anderen effektiv zusammenzuarbeiten.

Gleichzeitig spricht die bereits erwähnte Deloitte-Studie von einer Erfahrungslücke: Unternehmen haben Schwierigkeiten, Talente mit der nötigen Erfahrung zu finden, während Berufseinsteiger Probleme haben, überhaupt einen Job zu finden, in dem sie erste Erfahrung sammeln können. Eine Situation, die sich laut Studienautoren verschärft, da KI zunehmend die Arbeit von Berufsanfängern übernimmt, Ausbildungsmodelle durch Remote-Arbeit bröckeln und Unternehmen nach umfangreicher Berufserfahrung mit reifer Handlungskompetenz suchen.

Bias blockiert Zugang

Trotzdem werden ältere Erwerbspersonen, laut Bundesregierung, bislang nicht systematisch in Personalplanung und -entwicklung einbezogen. Das liegt vor allem an tradierten Denkmustern, kulturellen Filtern und hartnäckigen Stereotypen − etwa von der „geringen Anpassungsfähigkeit“ oder „mangelnden Digitalkompetenz“. Dabei sind solche Etiketten ökonomisch ineffizient und überholt. Zahlreiche empirische Studien zeigen, dass ältere Beschäftigte ihren jüngeren Kollegen in nichts nachstehen. Wer motiviert ist, bildet sich auch im Alter weiter.

Unterschiede entstehen vor allem durch betriebliche Rahmenbedingungen, Führungsstil und Zugang zu Weiterbildungen. So stellt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fest, dass die Produktivität Älterer „nicht grundsätzlich geringer“ sei, vielmehr entscheide Unternehmenskultur darüber, ob Erfahrung wirksam wird. Auch internationale Analysen bestätigen diesen Befund.

Laut OECD-Daten sind Arbeitnehmer der Generation 50 plus mindestens genauso leistungsfähig wie jüngere Mitarbeiter – vor allem wenn es um Tätigkeiten geht, die Erfahrung, Zuverlässigkeit und soziale Kompetenz erfordern. Eine gemeinsame Untersuchung des World Economic Forum und der AARP belegt sogar, dass altersdiverse Teams messbar produktiver sind. Ein weiterer Vorteil: Mitarbeiter in der Altersklasse 50 plus zeigen sich als Bewerber in Gehaltsverhandlungen durchaus flexibler als jüngere Kontrahenten, da sie andere Werte verfolgen und das Eigenheim oft schon bezahlt ist.

Potenziale der „Ü50“ nutzen

Erfahrung ist kein Auslaufmodell. Sie ist der Rohstoff, aus dem die Zukunft gemacht wird. Dazu braucht es strategische Inklusion von entsprechenden Fachkräften. Entscheidend ist, Altersdiversität nicht als soziale Geste oder Sonderprogramm zu verstehen, sondern als Faktor unternehmerischer Resilienz – insbesondere in Führungs-, Projekt- und Entwicklungsrollen. Fünf Prinzipien haben sich dabei als wirksam erwiesen: Unternehmen sollten zunächst eine altersneutrale Kultur etablieren – etwa indem sie Erfolgsgeschichten älterer Mitarbeitender sichtbar machen und stereotype Begriffe aus HR-Prozessen streichen.

Projektbasierte Mandate, Teilzeit-Führungsmodelle oder Remote-Rollen ermöglichen es erfahrenen Fachkräften zudem, Wissen gezielt einzubringen, ohne sich gegen jüngere Karrieredynamiken behaupten zu müssen. Daneben gilt es den Kompetenztransfer zu strukturieren. Mentoring-Programme, Reverse-Mentoring oder generationenübergreifende Teams sorgen dafür, dass Erfahrungswissen nicht dem Zufall überlassen bleibt, sondern zum strategischen Vorteil wird. Überhaupt empfiehlt es sich, Weiterbildung konsequent auszubauen. Das heißt auch, dass digitale Lernplattformen und agile Schulungsformate nicht an impliziten Altersgrenzen enden. Hoch motivierte Mitarbeiter aus der Generation 50 plus sind nicht festgefahren und zeigen sich grundlegend offen für Neues. Gerade erfahrene Arbeitnehmer profitieren von methodischem und technologischem Up- und Reskilling.

Keine Frage des Alters, sondern der Motivation

Die Zukunft der Arbeit ist kompetent, verlässlich und lernfähig. Unternehmen sagen, sie suchen Verantwortungsbewusstsein, Kommunikationsstärke und Anpassungsfähigkeit, und übersehen zugleich jene Generation, die diese Qualitäten längst verkörpert. Wer also Maßnahmen ergreift und die Generation 50 plus integriert, handelt nicht nur im Sinne der eigenen Fachkräftestrategie, sondern betreibt auch Risikomanagement – insbesondere, wenn Erfolg durch Innovationskraft, Stabilität und Unternehmenskultur sichtbar wird. Letztendlich ist qualifiziertes Personal eine Frage der Motivation und nicht eine des Alters.

Autorenprofil
Hagen Schönfeld
Masterpiece GmbH | Website

Hagen Schönfeld ist Gründer und Geschäftsführer der Masterpiece GmbH – Executive Search Advisors. Mit mehr als 20 Jahren Erfahrung im Executive Search gehört er zu den profilierten Köpfen der Branche im deutschsprachigen Raum.

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