Distressed M&A: Kommt die Welle noch?

Trotz aller Herausforderungen und Unsicherheiten im Zuge der Coronapandemie blieb die Welle an Distressed Deals bisher aus. Kommt sie noch?
Trotz aller Herausforderungen und Unsicherheiten im Zuge der Coronapandemie blieb die Welle an Distressed Deals bisher aus. Kommt sie noch?

Im Zuge der Coronapandemie wurden zahlreiche M&A-Transaktionen aufgrund wirtschaft­licher Herausforderungen und Unsicherheiten im Geschäftsmodell der Zielgesellschaften gestoppt. Während der M&A-Markt in vielen Bereichen schnell wieder zu alter Form zurückgefunden hat, blieb trotz aller Herausforderungen die Welle an Distressed Deals bisher aus. Kommt sie noch?  

2020 ergriffen im Rahmen der Corona­pandemie die Regierungen in diver­sen Ländern drastische Vorkeh­rungs­maßnahmen, die in der Geschichte beispiellos sind. Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien, USA – überall ordnete man an, das öffentliche Leben maximal herunterzufahren, um die dynamische Aus­breitung des Coronavirus aufzuhalten. Die Auswirkungen auf die nationale und die globale Wirtschaft könnten, in Anbe­tracht des andauernden Pandemiegesche­hens, noch massiver ausfallen als vermu­tet und einen langfristigen Einfluss haben.

Rückblick: Coronafolgen für M&A-Deals

Durch die Coronakrise sind bestimmte Un­ternehmen weltweit nach wie vor im Kri­sen­modus: Das Überleben musste gesichert werden und damit wurden oftmals alle nicht unmittelbar betriebsnotwendi­gen Projekte gestoppt – und somit auch zahlreiche M&A-Transaktionen. Unternehmen haben vielfach Finanzhilfen in Anspruch genommen, um möglichst un­versehrt durch die Krise zu kommen.

Folgen hat das bezogen auf M&A-­Deals sowohl bei Zu- als auch bei (Teil-)Verkäufen. Für Zukäufe gilt: Hat ein Unter­nehmen staatliche Finanzhilfen in Anspruch genommen, ist es als Käufer im M&A-Prozess häufig aus dem Spiel genommen. Solange Finanzhilfen genutzt werden, sind Zukäufe auf mini­male Arron­dierungen begrenzt. Anders sieht das bei Verkäufen und Teilver­­käufen aus. Eine zentrale Rolle spielt da­bei die Art der Finanzierung. So sind Change­-of-Con­trol-­Klauseln und spezielle Fee-Modelle der Finanzgeber zu beachten. Auch Teilverkäufe gestalten sich unter Umständen komplexer als gewöhn­lich. Hier stellt sich die Frage, wie die generierte Liquidi­tät gesichert und durch eine mögliche Transaktion nicht zusätz­lich belastet werden kann.

Distressed M&A: die Krise als Chance

Doch gerade die Krise kann auch inte­ressante Chancen bieten: Nach beinahe einer Dekade des stetigen wirtschaftlichen Aufschwungs, in der sich der M&A-­Markt extrem verkäuferfreundlich entwi­ckelt hat, könnten sich für Kaufinteres­sen­ten nunmehr spannende Verhand­lungs­spielräume bei der Vertragsgestal­tung und -verhandlung eröffnen. Das hat verschiedene Gründe: So sind die Haf­tungs­­höchstgrenzen für Gewährleistungs­ansprüche seit 2019 konstant gestiegen und Verjährungsfristen wurden länger. Zudem sank die Zahl an Locked-­Box-Transaktionen, also solchen, bei denen der Kaufpreis bei Unterzeichnung des Deals nicht mehr angepasst wird. Auch für die Verkäuferseite kann ein Verkauf in Krisenzeiten durchaus interessant sein. Gerade jetzt hält das eine oder andere Unternehmen Ausschau nach finanzkräf­tigen Investoren, die über ausreichende Mittel verfügen, um eine etwaige Schief­lage auszugleichen und damit gemeinsam durch die Krise zu gehen. Wichtig ist, dabei nie das große Ganze aus dem Blick zu verlieren: Im Unternehmen müs­sen genug finanzielle Mittel bleiben, um dessen Perspektive zu sichern.

Welle bisher ausgeblieben

Die Herausforderungen der Pandemie halten wahrscheinlich noch für geraume Zeit an. Weiterhin pausieren bestimmte Transaktionen, weiterhin halten sich Unternehmen bei Großprojekten zurück. Aller Voraussicht nach ist in den kommen­den Monaten eine deutliche Zunahme von Distressed-Transaktionen zu erwar­ten. Unternehmen werden dann aus der Krise oder aus der Insolvenz heraus verkauft. Bisher bleibt eine große Welle an Distressed Deals allerdings aus: Viele Unternehmen zehren noch von den Corona-Finanzhilfen, die in der frühen Phase der Pandemie ausgezahlt wurden. Zusätzlich konnten Unternehmen vielfach durch Kurzarbeit und die Verpflichtung zum Homeoffice ihre laufenden Kosten über Monate hinweg sehr gering halten.

Bereits im Frühjahr 2020 waren viele Unternehmen mehrgleisig gefahren: Insol­venzverfahren, Verkauf an einen Investor, Finanzhilfe – man wollte auf jeden Fall vorbereitet sein. Oftmals hat es mit einer Finanzspritze geklappt, Finanzierungen wurden bewilligt, Verpflichtungen ließen sich vielfach stunden. Allerdings sind die Maßnahmen endlich, denn nicht alle Unternehmen werden die große finan­zielle Belastung dauerhaft stemmen können. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist Ende April 2021 ausge­laufen. Das bedeutet, dass ­Unternehmen zum einen wieder schneller reagieren müssen; die Schonzeit ist vorbei. Zum anderen könnte das Ende der Ausset­zung bedeuten, dass nun nach und nach Insolvenzen angemeldet werden, die durch die Aussetzung mehr aufgeschoben als aufgehoben waren. Immer noch hat eine Vielzahl von Unternehmen mit den Konsequenzen der Pandemie wie etwa nur langsam steigenden Auftragsvolumina oder bleibenden Einschnitten wie etwa Reisebeschränkungen zu kämp­fen. Vor allem Unternehmen, die schon zu Beginn der Pandemie am stärksten gefähr­det waren, nämlich die kleinen und kleins­ten Firmen, können nicht durchatmen.

Perspektive: Erfolgsfaktoren für Distressed-M&A-Deals

Die grundlegenden Interessen der Parteien bleiben auch in Zeiten der Corona­krise und der damit zusammenhängenden Herausforderungen im Wesentlichen gleich: Verkäufer wollen einen möglichst hohen Verkaufspreis für ihr Unternehmen erzielen, die Zahlung durch den Käufer möglichst absichern und gleichzeitig die eigene Haftung möglichst redu­zieren. Käufer wollen einen möglichst geringen Kaufpreis zahlen und sich gegen Risiken, die sich nach dem Kauf rea­lisieren könnten, möglichst absichern. Die Vermutung liegt nahe, dass die Erwar­tungen beider Parteien aufgrund der Coronakrise weiter auseinanderdrif­ten werden.

Fazit

Marktumfragen aus 2020 prognostizier­ten 550.000 bis 750.000 überschuldete Unternehmen für 2021, die Bundesbank forderte die Banken in Deutschland dazu auf, sich auf zahllose Insolvenzen und Kre­ditausfälle als Konsequenz der Corona­krise vorzubereiten. Wenngleich die große Pleitewelle bisher ausgeblieben ist, spricht einiges dafür, dass die Distressed-­Transaktionen in zwei Schü­ben an den Markt kommen werden. Im ersten Aufschlag werden das voraussichtlich Unter­nehmen sein, die schon vor Corona in Schwierigkeiten waren. Im zweiten Aufschlag werden aller Voraussicht nach Unternehmen betroffen sein, die ihre Schulden auf Dauer nicht tragen oder refinanzieren können. Die Frage ist also nicht, ob eine Distressed-­Welle kommt, sondern vielmehr, wann und wie groß sie sein wird.


Dieser Beitrag ist in der Unternehmeredition 3/2021 erschienen.

Autorenprofil
Dr. Michael Cziesla

Dr. Michael Cziesla ist Partner im Bereich Corporate/M&A bei McDermott Will & Emery in Frankfurt am Main. Er berät deutsche und internationale Mandanten bei grenz- und gerichtsbarkeitsüberschreitenden M&A- und Private-Equity-Transaktionen, Secondaries, Leveraged Buy-outs (LBOs), gesellschaftsrechtlichen Reorganisationen und Joint Ventures.

www.mwe.com

Autorenprofil
Norman Wasse

Norman Wasse ist Partner des Frankfurter Büros von McDermott Will & Emery Rechts­anwälte Steuerberater LLP. Er berät deut­sche und internationale Mandanten bei zahlreichen Aspekten des Gesellschaftsrechts und bei Transaktionen, einschließlich Private-Equity- und Kapitalmarkttrans­aktionen. Zudem hat Wasse Erfahrung in der Strukturierung von Business-Carve-­outs in regulierten Industrien (insbesonde­re der Luftfahrtindustrie), Joint Ventures und grenzüberschreitenden M&A-Transak­tionen in verschiedenen Gerichtsbarkeiten.

Vorheriger Artikel„Beteiligungskapital wird natürliche Option für Nachfolgeregelungen“
Nächster Artikel„Wir entwickeln eine gemeinsame Wachstumspartnerschaft“