Trend zur Dekarbonisierung: Eine Rolle rückwärts?

Kapitalmarkt-Standpunkt von Kai Jordan, Vorstand der mwb Wertpapierhandelsbank AG

Foto: © Naiyana_AdobeStock

Die Diskussion um „Grüne Investments“ hat in den letzten Monaten noch einmal an Fahrt aufgenommen. Von außen getrieben: Geopolitik, hohe Inflation und die Erhöhung der Leitzinsen sind mächtige Anschieber. Gerade auch für Unternehmen ist es innerhalb kürzester Zeit sehr wichtig geworden, einen positiven ESG-Footprint zu hinterlassen.

Zukünftig werden Banken und der Kapitalmarkt auch bei KMUs höhere Zinsen fordern als eine Art Risikogebühr. Banken werden dazu auch vom neuen europäischen Regelwerk Basel IV zu gezwungen werden.

Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine hat allen erst klar gemacht, wie groß die Abhängigkeit gerade Deutschlands vom russischen fossilen Brennstoff ist. Selbst die Grünen prüfen die Fortführung der letzten drei angeschlossenen Kernkraftwerke. Von der Abschaffung von Kohlekraftwerken hat man sich schon verabschieden müssen.

Aber auch hier holt uns der Klimawandel ein. „Wann wird’s mal wieder richtig Sommer“ von Rudi Carrell klingt heute eher makaber. Durch die anhaltende Hitze und die wenigen Niederschläge führen die Flüsse, insbesondere der wichtige Rhein, Niedrigwasser. Das bedeutet aber leider auch, dass nicht genügend Kohle zu den Kraftwerken geschifft werden kann – oder nicht genügend Kraftstoff zu den Tankstellen. Es wird zunehmend klar, dass es seitens der Politik seit dem 11. März 2022 nur Lippenbekenntnisse hin zu erneuerbaren Energien gegeben hat – aber gleichzeitig ein radikaler alternativloser Ausstiegsplan aus der Atomenergie umgesetzt wurde.

Gemeinsam führt diese Situation zu einer hohen Inflation von rund 8% in den letzten Monaten und Ängsten, ob viele Menschen in Deutschland zukünftig nur noch mit Hilfe des sozialen Netzes existieren können. Die Angst vor kalten Wintern, vor dem Frieren und vielleicht sogar vor möglicher Arbeitslosigkeit ist präsent. Die LINKE und die AFD rufen zukünftig zu Montagsdemos auf. Der politische Rand will die Krise ausschlachten und mit einem inszenierten Wutwinter wieder zunehmen.

Schrumpfende Anzahl von Sparern

In den letzten Tagen hat der Sparkassenverband eine interessante Studie veröffentlicht, die unter anderem zu folgendem Schluss kam: Wegen dieser Krise werden sich 60% der deutschen Bevölkerung innerhalb des kommenden Jahres keine Altersvorsorge mehr leisten können, sondern nur noch im besten Fall ihre reinen Lebenshaltungskosten finanzieren können. „Die hohen Preissteigerungsraten, die durch die Gasumlage im Herbst noch einmal zu steigen drohen, belasten einen Großteil der Bevölkerung, insbesondere die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, in erheblichem Umfang. Wir rechnen damit, dass wegen dieser deutlichen Preissteigerung perspektivisch bis zu 60% der deutschen Haushalte ihre gesamten verfügbaren Einkünfte – oder mehr – monatlich für die reine Lebenshaltung werden einsetzen müssen. Dieser Teil der Bevölkerung ist dann schlicht nicht mehr sparfähig“, so Helmut Schleweiß, Präsident des DSGV. Vor einem Jahr waren es nur 15%. In dem Zusammenhang muss man sich selbstverständlich auch die Frage nach einer Rezession am Horizont stellen.

Die Banken und Asset Manager werden sich also zukünftig um eine geringere Menge von Sparern (40% statt wie bisher 85%) prügeln. Sparer, die vorsichtig sind und wenn Sie ins Risiko gehen, auch etwas Besonderes erwarten, und zwar die eierlegende Wollmilchsau: Green Investment, Sicherheit und eine Rendite, die das Geld wenigstens nicht abwertet.

Leider führt die Diskussion um Engpässe bei der winterlichen Energieversorgung zu der bereits vorstehend erwähnten Diskussion um eine zumindest temporäre Abkehr von bereits auf dem Abstellgleis gewähnten Energiequellen. Und das, obwohl sich die deutschen Gasspeicher derzeit weiter füllen und nunmehr bei 85% sind. Die Aktivitäten das russische Gas zu surrogieren laufen auf Hochtouren, wie der Besuch von Habeck und Scholz in Kanada zeigt. Ergo wird es wohl so schlimm nicht kommen, wenn der Winter kein sibirischer wird.

Rückläufiger Absatz auch bei nachhaltigen ETFs

Trotzdem wird der Trend zur Dekarbonisierung durch diese Situation belastet und auch die Absatzzahlen bei den nachhaltigen ETFs gehen derzeit relativ zurück.

Doch eine Rolle rückwärts kann und wird es nicht geben, auch wenn der aktuelle Druck kurzfristig andere Probleme wichtiger erscheinen lässt und sich wohl auch manch Ewiggestriger das so wünscht. Hier sind nicht nur die Notwendigkeiten sondern auch die Regulierung eindeutig.

Die Banken und Asset Manager stehen also von vielen Seiten unter Druck. Wie sollen sie Unternehmen bewerten, ob diese ESG-konform sind oder nicht? Bisher gibt es noch keine allgemeingültigen Bewertungsgrundsätze. Machen Sie Fehler in ihren Einschätzungen, drohen Ihnen neben dem mittlerweile immensen Reputationsverlust, Klagen von Verbraucherschützern sowie Strafzahlungen an die Aufsichtsbehörden. Deswegen sind die Kriterien ESG (Environmental, Social and Governance) fester Bestandteil der Analysen der Produktgeber geworden; der Kunde fordert sie ein.

Für Unternehmen wird die Situation ebenfalls deutlich anspruchsvoller. Niemand kann mehr Erfolg am Kapitalmarkt oder bei Kreditgebern erwarten, ohne Lösungen für ESG in das Unternehmen implantiert zu haben. Zumindest wird es, wenn überhaupt möglich, als „Braunes Investment“ sehr teuer.

Dabei spielen auch interne Risikobewertungen eine Schlüsselrolle.  Aufsichtsbehörden haben schon konkrete Forderungen formuliert – so die Europäische Zentralbank (EZB) im Leitfaden zu Umwelt- und Klimarisiken der Banken. Die Banken sind bereits angewiesen, dies bei der Preisgestaltung für die einzelnen Unternehmen zu berücksichtigen. Grundsätzlich fehlt aber hierzu noch die Methodik. Interessant ist auch der Aspekt, der durch die Aufsichtsbehörden vorgeschriebenen Unterlegung mit Eigenkapital nach Risikoklassen. Wenn gegenüber dem Eigenkapital alle Unternehmen „gleich“ sind und ausschließlich nach den Financials beurteilt werden, wo soll die Bonifizierung der ESG-konformen Unternehmen geschaffen werden? Oder wie sollen die Margen generiert werden?

Ein Vorteil für Banken, die sich selbst auf dem Kapitalmarkt refinanzieren wollen, scheint darin zu liegen, dass sie dies preiswerter machen können, wenn sie über „grüne“ Portfolios verfügen. Gleichzeitig ist es selbstverständlich auch gut für die Reputation. Um ESG-Konformität festzustellen, rückt die Bank noch deutlicher an den Firmenkunden ran und erhält tiefgreifendere Einblicke in Geschäftsmodelle und Abläufe. Gerade S&G (Social & Governance) bieten hierfür alle Möglichkeiten. Das erleichtert sicherlich auch eine Due Diligence.

FAZIT

Wir haben schon frühzeitig in unseren Standpunkten auf die Wichtigkeit von ESG hingewiesen – ein „must have“. Seit dem 24. Februar mit dem Kriegsbeginn und den damit verbunden Konsequenzen sowie der Klimasituation in Mitteleuropa, die Brandbeschleuniger sind, ist ESG, oder vor zwei Jahrzehnten nannten wir es Nachhaltigkeit, in unser aller Köpfen angekommen. Gleichzeitig wird es immer weniger Retailsparer geben, um die jeder Branchenteilnehmer kämpft. Es bleibt spannend.

Autorenprofil
Kai Jordan

Bis 1998 war Kai Jordan stellvertretender Leiter des Aktienhandels der Commerzbank Frankfurt und später Abteilungsdirektor Equity Capital Markets. Dann wechselte er in den Sektor der Wertpapierfirmen zu einem Frankfurter Finanzdienstleister und begleitete die Entwicklung zu einer erfolgreichen und diversifizierten Wertpapierhandelsbank. 2007 wurde er dort in den Vorstand berufen. Seit August 2016 zeichnet Jordan bei der mwb als Vorstand für den Bereich Corporates & Markets verantwortlich.

Vorheriger ArtikelSchuhhändler Görtz ist insolvent
Nächster ArtikelAutozulieferer Dr. Schneider insolvent