„Am Kapitalmarkt geht es heute um mehr als um Kapitalrendite“

© Murrstock - stock.adobe.com

Mit der Rückkehr des Privatinvestors an die Börse tritt eine neue Generation von Investoren auf die Bühne, die eine neue Sicht auf den Kapitalmarkt werfen und andere Ziele als nur den bloßen Kapitalerhalt oder die Kapitalrendite verfolgen. Neue Technologien und ESG-Kriterien gewinnen hier immer mehr an Bedeutung. Die Unternehmeredition sprach mit Kai Jordan, Vorstand für Corporates & Markets der mwb fairtrade Wertpapierhandelsbank AG, über aktuelle Entwicklungen und Chancen für mittelständische Unternehmen.
INTERVIEW EVA RATHGEBER

Unternehmeredition: Herr Jordan, welche Möglichkeiten bieten sich Mittelständlern derzeit am Kapitalmarkt?

Kai Jordan: Es bieten sich jede Menge Möglichkeiten. Zahlreiche Mittelständler sind ja bereits erfolgreich am Kapitalmarkt aktiv. Zwar ist der Erstauftritt in der Regel mit einem relativ hohen Aufwand verbunden. Danach können die Unternehmen aber die gesamte Klaviatur nutzen, die der Kapitalmarkt zur Unterstützung des Finanzierungsmixes bereithält, sodass diese Investments gut investiertes Geld darstellen. Grundsätzlich muss man zwei Formen unterscheiden: Einerseits Eigenkapitalfinanzierung, die mit gewissen Verlusten an Kontrollrechten und einer Verwässerung der Gewinnverteilung verbunden sind, andererseits Fremdkapitalfinanzierung (dazu zählen z.B. Unternehmensanleihen oder Schuldscheine), wodurch sich die bilanzielle Situation vorübergehend verschlechtert.

Unternehmeredition: Was verstehen Sie denn eigentlich unter einem Mittelständler?

Jordan: Das ist eine vielschichtige Frage und hängt ein bisschen davon ab, ob man mit den Augen eines angelsächsischen Investors oder eines deutschen Vermögensverwalters auf die Dinge schaut. Ich würde Unternehmen mit einem Transaktionsvolumen zwischen 10 und 500 Mio. EUR und einer Marktkapitalisierung zwischen 20 Mio. und knapp 1 Mrd. EUR dazu zählen. Hier gibt es keinen statischen Korridor.

Unternehmeredition: Wie ist denn die Stimmung aktuell, was das Kapitalmarktengagement im Mittelstand angeht?

Jordan: Das Engagement nimmt zu. An einigen Ecken spüren wir jedoch auch Zurückhaltung. Mancher mittelständische Vorstand hat großen Respekt vor den regulatorischen Anforderungen wie beispielsweise der Erstellung eines Prospektes oder der sogenannten Marktmissbrauchsrichtlinie. Viele haben Angst, etwas falsch zu machen und von der Bafin eine Strafe auferlegt zu bekommen. Wer hier allerdings mit den richtigen Partnern an den Start geht, der braucht auch diese Themen nicht zu fürchten. Eine Herausforderung liegt unter anderem auch in der Unternehmensinfrastruktur. Hier kommt es darauf an, einen leistungsfähigen CFO bzw. eine leistungsfähige Buchhaltung zu haben, die zeitgerecht die Marktfolgepflichten erfüllt.

Unternehmeredition: Wie wird man diesen Anforderungen denn am besten gerecht?

Jordan: Mit einem erfahrenen Wirtschaftsprüfer und einer erfahrenen Kanzlei lässt sich alles gut meistern. Sobald der erste Schritt getan ist, bieten sich wie schon gesagt gute Möglichkeiten. Die Voraussetzungen sind, dass man von den richtigen Partnern unterstützt wird, Eigenkapital und Fremdkapital passend strukturiert und die Bewertung realistisch vornimmt. Viele Fehler, die gemacht werden, sind darauf zurückzuführen, dass die Bewertung zu sportlich ausfällt. Wir raten stark davon ab, hier zu ambitioniert zu sein. Wenn die Bewertungen fair sind, dann sind zumeist auch die Transaktionen erfolgreich.

Der Kapitalmarkt bietet in jedem Fall eine interessante Alternative zum klassischen Finanzierungsmix aus Eigenkapital und Bankkredit. Wir bekommen eindeutige Signale, dass es unabhängig von der Pandemie Schwierigkeiten und Engpässe im Bereich der klassischen Finanzierung gibt. Das sollte man nicht unterschätzen. Deshalb ist es umso wichtiger, ein Auge auf die langfristige Kapitalplanung des Unternehmens zu haben. Diese braucht natürlich eine lange Vorbereitung.

Unternehmeredition: Wie lange dauert die Vorbereitung ungefähr? Wie viel Zeit sollte man einplanen?

Jordan: Es gibt im Jahr unter Berücksichtigung der Ferienzeiten ja nur drei bis vier Platzierungsfenster. Für eine Anleiheemission sollte man zwischen 4,5 und 6 Monaten einplanen. Für einen IPO kommt man bei guter Organisation auch mit etwa 6 Monaten hin.

Unternehmeredition: Welche erfolgreichen Beispiele aus Ihrer eigenen Beratungshistorie können Sie uns nennen?

Jordan: Im Anleihebereich fällt mir spontan die Euroboden GmbH ein. Hier wurden drei Anleihen mit einem Transaktionsvolumen von bisher insgesamt über 100 Mio. EUR platziert. Im Bereich Equity ist die MIC AG zu nennen. Das IPO war hier mit einer Kapitalerhöhung im Zuge der Einbringung eines neuen und spannenden Geschäftsbereichs (Interaktiver Bestellservice) verbunden.

Unternehmeredition: Was hat sich seit der Coronapandemie geändert?

Jordan: Die Situation an den Kapitalmärkten ist aktuell gar nicht so schlecht. Und es kommen ja auch regelmäßig größere Transaktionen seitens des gehobenen Mittelstands an den Kapitalmarkt, die zum Großteil recht erfolgreich sind, darunter Unternehmen wie Novem, Auto1, Synlab, About You oder N26. Aktuell steht uns hier noch einiges bevor. Wir gehen also davon aus, dass sich dieser Trend weiter positiv entwickeln und auch ein Stück weit in Richtung von kleineren Unternehmen bewegen wird. Hier gibt es interessante Investmentthemen, darunter die Nachfolgeproblematik oder die internationale Wettbewerbsfähigkeit, für die eine Refinanzierung am Kapitalmarkt angesichts der angespannten Bankensituation eine interessante Alternative darstellt. Das Thema wird deshalb auch für Mittelständler immer mehr an Breite und Bedeutung gewinnen.

Grundsätzlich sehen wir eine Rückkehr des Privatinvestors, sogenannten Neobrokers, an die Börse. Mit diesen tritt eine ganz neue Generation von Investoren auf die Bühne, die eine neue Sicht auf den Kapitalmarkt werfen und andere Ziele als nur den bloßen Kapitalerhalt oder die Kapitalrendite verfolgen.

Unternehmeredition: Welche Ziele sind das?

Jordan: Es geht ihnen zum einen darum, in neue Technologien zu investieren. Eine besondere Bedeutung haben ESG-Kriterien. Wenn Sie sich die Mittelzuflüsse ansehen, erkennen Sie, dass ein sehr großer Teil in Produkte fließt, die einen wie auch immer gearteten Schwerpunkt auf Nachhaltigkeitsthemen legen. Das gilt genauso für institutionelle Investoren. Das ist ein irreversibler Trend am Markt! Wir haben es mit einem dramatischen Strukturwandel zu tun. Das zeigt sich auch in den zum Teil absurd hohen Bewertungen. Nehmen wir das Beispiel des Berliner Unternehmens Trade Republic (dem „Gegenstück“ zum amerikanischen Robin Hood), das zuletzt mit 5 Mrd. USD bewertet wurde.

Unternehmeredition: Was muss ein Mittelständler berücksichtigen, wenn er hinsichtlich ESG-Kriterien am Kapitalmarkt erfolgreich sein will?

Jordan: ESG ist ein Prozess. Es geht darum, zu erfassen, wo man steht, worin man gut ist, was noch nicht so gut läuft und was verbessert werden kann. Ich weiß, wovon ich spreche, denn wir sind selber Mittelständler und wollen selbst ein ESG-Rating erhalten. Als Unternehmen muss man sich da ganz allmählich hin entwickeln. Es geht nicht darum, von heute auf morgen alles Bestehende und das ganze Geschäftsmodell umzustellen. Viele Mittelständler machen diesbezüglich schon eine Menge richtig, ohne dass sie das Thema ESG bewusst adressieren. Hier ist es wichtig, diese „low hanging fruits“ erst mal zu analysieren und zusammenfassen.

Unternehmeredition: Viele Mittelständler stellen sich natürlich Fragen wie „Was kostet mich das?“ und „Was bringt mir das?“

Jordan: Zahlreiche Kreditinstitute streben bereits für ihr Portfolio CO2-Neutralität an. Die Bafin hatte das Thema Nachhaltigkeit 2021 bereits auf die  Prioritätenliste gesetzt, hat dies aber wegen der Pandemie und wegen des Wirecard-Skandals nochmal um ein Jahr verschoben. Diese Themen kommen automatisch über den Markt beim Mittelstand an. Mittelständler sind damit allein schon deshalb konfrontiert, weil ihre Kunden zunehmend darauf achten. Aber auch die Regulierung zwingt sie spätestens ab 2026 Antworten zu liefern.

Ein krasses Beispiel ist das von Deliveroo in London. Der Börsengang lief zunächst erfolgreich an, bis die Medien anfingen, negativ über den Umgang mit den Fahrern berichteten. Daraufhin kollabierte die Nachfrage, das Pricing wurde mehrfach reduziert und der Kurs stürzte dann nach Erstnotiz nochmals ab.

Unternehmeredition: Wie wichtig ist ein ESG-Rating und wie komme ich da heran?

Jordan: Man muss nicht zwingend ein ESG-Rating haben, aber es ist natürlich hilfreich und bei vielen Investoren mittlerweile eine tick box in der Entscheidungsmatrix. Es gibt eine Vielzahl und noch keine Norm, was sinnvoll und hinsichtlich des Aufwands vertretbar ist. Ein Rating zu bekommen und einen Rating-Report selbst zu erstellen ist hinsichtlich der Kosten überschaubar, aber der Weg dahin mag zum Teil etwas teurer sein. Dabei sind sehr viele Aspekte zu beachten: die Firmenwagenpolicy, Dienstreiseregularien etc. Am besten, man wendet sich an einen spezialisierten Berater. Hier können wir auch entsprechende Hinweise geben, welcher Weg ggfs. geeignet ist.

Unternehmeredition: Welche Rolle spielt die Digitalisierung für den Auftritt am Kapitalmarkt?

Jordan: Diese Frage wird immer gestellt: Wie steht ihr diesbezüglich da?
Viele Unternehmen werden in Deutschland durch infrastrukturelle Mängel gehemmt. Wenn Sie die Umfragen der Mittelstandsverbände betrachten, so ist das Thema digitale Infrastruktur eines der drei bis fünf Topthemen. Hier werden zügige und sehr schnelle Maßnahmen gefordert, die natürlich glaubwürdig umgesetzt werden müssen. Neben dem Abbau der Bürokratie und der Bekämpfung des Fachkräftemangels sowie Innovationsförderung ist das einer der wichtigsten Punkte, die von einer neuen Regierung erwartet werden.

Unternehmeredition: Welche mögliche Regierungskonstellation könnte diese Erwartungen am besten erfüllen? Was sagen dazu die Stimmungsbarometer im Mittelstand?

Jordan: Es gab bereits im Jahr 2019/2020 eine entsprechende Umfrage des Verbandes unter Mittelständlern zur Bewertung der Arbeit der Großen Koalition. Demnach bewerteten weniger als 10% die Arbeit mit gut, der Rest vergab befriedigende bis schlechte Noten, und aktuell sehen die Umfrageergebnisse nicht viel anders aus. Und das ist meines Erachtens eine ziemlich fatale Bewertung.

Umfragen zu den kommenden Wahlen deuten darauf hin, dass eine Präferenz für einen Parteienmix in Form einer Jamaika- oder schwarz-gelben Koalition vorliegt. Es gibt eine hohe Tendenz hin zur FDP. Die Grünen sind irgendwie der Treiber. Das traditionell hohe Vertrauen in die Union als verlässliche Konstante bröckelt aber auch bei den Unternehmern weiter ab.

Unternehmeredition: Wie sollte sich ein Mittelständler verhalten, um bestmöglich für die kommenden Herausforderungen gewappnet zu sein?

Jordan: Er muss sich unbedingt mit den oben genannten Themen Innovation, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Bürokratieabbau sowie Fachkräftemangel auseinandersetzen und die Finanzierungsanforderungen, die sich daraus ergeben, langfristig einplanen. Vor dem Hintergrund, dass es hier immer mehr Themen wie Eigentümer- und Generationswechsel gibt, kann der Kapitalmarkt als Alternative zur Hausbank ein wichtiger Baustein im Finanzierungsmix sein. Für die kommenden Herausforderungen ist eine vernünftige Eigenkapitalquote besonders wichtig, gerade weil sie in der Lage ist, gewisse Schwankungen abzufedern. Am Kapitalmarkt wird auch auf die Bilanz geschaut. Deshalb sollte das Fundament solide sein. Ein Nach-Corona-Programm für den Mittelstand hat eigentlich gar keine Partei. Hier könnte man versuchen, Einfluss auf die lokale Politik zu nehmen.


ZUR PERSON

Bis 1998 war Kai Jordan stellvertretender Leiter des Aktienhandels der Commerzbank Frankfurt und später Abteilungsdirektor Equity Capital Markets. Dann wechselte er in den Sektor der Wertpapierfirmen zu einem Frankfurter Finanzdienstleister und begleitete die Entwicklung zu einer erfolgreichen und diversifizierten Wertpapierhandelsbank. 2007 wurde er dort in den Vorstand berufen. Seit August 2016 zeichnet Jordan als Vorstand bei der mwb für den Bereich Corporates & Markets verantwortlich.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

Vorheriger ArtikelCoffee Fellows: Deutsche Adaption des US-Konzepts
Nächster ArtikelArbitrage – Investieren wie der junge Warren Buffet