Die aktuelle Finanzlandschaft erfährt durch wirtschaftliche Herausforderungen und politische Veränderungen eine bemerkenswerte Dynamik. Insbesondere der Markt für alternative Investments steht im Fokus dieser Entwicklungen. Im Interview mit Robert Massing, Vorstand der Solutio AG, beleuchten wir die Auswirkungen der gegenwärtigen Lage auf Investitionen in Primaries und Secondaries sowie deren Potenzial für Anleger.
Unternehmeredition: Wie beeinflussen die aktuellen wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen den Markt für alternative Investments?
Robert Massing: Bedingt durch den Zinsanstieg und verschiedenste globale Krisen hat es in den letzten zwölf bis 18 Monaten sowohl bei Private Equity als auch im Segment Private Debt gleichermaßen Markt- und Preisrückgänge im Small-and-Mid-Cap-Bereich gegeben. Bei Primaries liegen diese Einbußen zwischen einem und zwei Multiples. Im Sekundärbereich sieht man sogar Abschläge im zweistelligen Prozentbereich.
Warum sind die Abschläge gerade bei den Secondaries so hoch?
In den vergangenen Jahren ist im Zuge der Niedrigzinsphase sehr viel Geld in die Privatmärkte geflossen ist. Und durch den Zinsanstieg, den wir nun schon länger sehen, ist bei vielen institutionellen Investoren der sogenannte Denominator-Effekt zum Tragen gekommen. Der Denominator-Effekt tritt typischerweise auf, wenn die Wertverluste eines Portfoliowertes (z.B. liquide Anlagen wie Aktien und Anleihen) dazu führen, dass der relative Anteil eines anderen Portfoliowertes (z.B. illiquide Anlagen wie Private Equity oder Private Debt) im Vergleich zum Gesamtportfolio ansteigt. Konkret kann das zu einer ungewollten Übergewichtung der illiquiden Anlagen führen, ohne dass deren absolute Werte gestiegen sind. Damit kommt es in diesen Assetklassen regelmäßig zu geringeren Investitionen, ein Effekt der speziell 2023 stark gewirkt hat und voraussichtlich bis zum zweiten Halbjahr 2024 andauern wird. Um die Assetklassen wieder in Einklang zu bringen, trennen sich Investorenteilweise von solchen Assets. Die Folge sind ausreichend Angebote in diesem Bereich, die dann diese Abschläge erlauben.
Grundsätzlich finden Secondary-Transaktionen regelmäßig am Markt statt, ohne dass eine Krise oder der Denominator-Effekt dafür verantwortlich sein müssen. Diese sind ein normaler Bestandteil der Überlegungen eines Investors das Portfolio zu strukturieren.
2023 gingen die M&A-Transaktionen zurück. Wie hat sich das in den Portfolios alternativer Investmentfonds bemerkbar gemacht?
Es fanden kaum oder deutlich weniger Verkäufe in den Portfolios der Private-Equity-Fonds statt, womit auch weniger Liquidität an die Investoren zurückgeflossen ist. Teilweise wurde von den Investoren sogar mehr Liquidität abgerufen, was dann zusätzlichen Druck auf die Investoren ausübt. Und wenn es in dieser Situation darum geht, zeitnah Liquidität zu beschaffen, steigt die Motivation, Assets zu verkaufen, auch wenn dabei mit Abschlägen zu rechnen ist.
Wie beurteilen Sie die weitere Marktentwicklung?
Der Ausblick ist grundsätzlich positiv. Wenn ich von unseren Portfolios ausgehe, sind wir in der glücklichen Lage, dass wir noch ausreichend sogenanntes Dry Powder haben und damit auch investieren können, sowohl im Primary- als auch im Secondary-Bereich. Das heißt, die Portfolios, die wir im Private-Equity- und im Private-Debt-Bereich verwalten, werden von der aktuellen Marktphase profitieren, weil wir im aktuellen Marktumfeld zu etwas günstigeren Levels einkaufen können. Unserer Einschätzung nach werden die günstigen Einkaufsmöglichkeiten besonders im Secondary-Bereich wahrscheinlich noch die nächsten zwölf bis 18 Monate gegeben sein – und die wollen wir auch nutzen.
Es ist davon auszugehen, dass in absehbarer Zeit die Multiples auch im Primary-Bereich wieder leicht ansteigen werden. Ein Indiz dafür ist, dass 2024 die M&A-Aktivitäten wieder angezogen haben. Wir haben dieses Jahr bereits mehrmals in allen Assetklassen Liquidität an unsere Investoren ausgeschüttet. Mit einem zusätzlichen Effekt rechnen wir im zweiten Halbjahr durch Zinssenkungen in der Eurozone. Zumindest ist das die Markterwartung. Diese Entwicklung würde dazu führen, dass sich die Finanzierung von Transaktionen günstiger gestaltet.
Solutio entwickelt Anlagekonzepte für institutionelle Anleger im Bereich alternative Assets in den Assetklassen Private Equity, Infrastruktur, Private Debt und Immobilien. Welcher Bereich profitiert aktuell am meisten? Wo sind die Renditeerwartungen am höchsten?
Die Performance ist bei uns über alle Assetklassen gut. Es gibt derzeit keinen Bereich, der uns Kopfschmerzen bereitet. Immobilien sind in unserem Hause tatsächlich der kleinste Bereich, in dem wir vornehmlich Mezzanine-Darlehen für einen Projektentwickler zur Verfügung stellen. 2023 ist hier wenig passiert, weil die alten Verkaufspreise noch nicht an die neuen Kaufpreisvorstellungen der Käufer angepasst waren, aber das hat sich jetzt etwas normalisiert. Das bedeutet noch nicht, dass in der Breite eine Markterholung stattfindet. Jedoch beobachten wir in unserem Portfolio, dass unser Partner tatsächlich erste attraktive Investments tätigen kann.
Dass sich die Preisunterschiede bei Käufern und Verkäufern allmählich wieder angleichen, vollzieht sich gerade auch in den anderen Assetklassen, nicht wahr?
Ja, absolut, das ist korrekt. Das kann man in allen Märkten erkennen. Die einzige Ausnahme ist der Bereich Infrastruktur, wo die Korrekturen bisher minimal sind, was an der Langfristigkeit und Langlebigkeit der entsprechenden Assets liegt.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Private-Debt-Markts im Vergleich zum Private-Equity-Markt?
Ob man in Private Equity und/oder in Private Debt investiert, hängt vom individuellen Risikoappetit eines Investors ab. Sollte das Unternehmen in eine Schieflage geraten, ist das Risiko bei Private Equity höher, da in einer solchen Situation als Erstes das Eigenkapital belastet wird, während Fremdkapitalinvestoren nachrangig behandelt werden.
Wir wickeln im Übrigen nur Investments mit Debt-Fonds-Managern ab, die überwiegend in sogenannte gesponserte Deals, das heißt in von Private-Equity-Fonds gehaltene Unternehmen investieren. Von der Risikoposition ist man hier in der Regel deutlich bessergestellt, weil diese Unternehmen, das haben Studien ergeben, tatsächlich besser gemanagt werden. Private-Equity-Investoren gehen in die Unternehmen rein und versuchen, diese zu verbessern, indem sie zunächst die Low-Hanging Fruits wie das Cash Management oder die Vertriebsstrategie optimieren. In einem zweiten Schritt werden die komplexeren Teile eines Unternehmens verbessert.
Und wenn wir uns die Performance anschauen: Was bringt gerade eine höhere Rendite?
In einem diversifizierten Private-Equity-Portfolio erhalten Sie über eine Laufzeit von circa zwölf Jahren eine IRR-Rendite von 12% bis 14%. In diversifizierten Private-Debt-Secondaries sind im langfristigen Durchschnitt 9% bis 10% nach Abzug aller Kosten möglich, und in der Assetklasse Infrastruktur erreichen Sie bei einer Laufzeit von ungefähr sieben Jahren 8% bis 9%. Bei Mezzanine-Finanzierungen im Immobilienbereich ist man typischerweise deutlich zweistellig; hier erzielt man über eine Haltedauer von fünf bis sechs Jahren zwischen 14% und 16% netto zum Investor. Hier ist das Risikoprofil deutlich höher, weil sie mit dem Mezzaninekapital Eigenkapital ähnlich agieren, teilweise sogar eigenkapitalersetzend. Da sind Sie ganz vorn bei der Wertschöpfungsquote, aber auch hinsichtlich der Risikosituation.
Was würden Sie also empfehlen, wenn man das Risiko möglichst geringhalten, aber trotzdem eine möglichst hohe Rendite erzielen möchte?
Wie so oft kommt es auf die Mischung an und grundsätzlich würde ich eher ein diversifiziertes Portfolio aufbauen, anstatt alle Eier in einen Korb zu legen. Im aktuellen Marktumfeld ist meine klare Empfehlung, jetzt in Secondaries zu investieren, weil die Marktlage es gerade erlaubt, sowohl Private Equity als auch Private Debt Secondaries mit attraktiven Abschlägen zu erwerben.
Wie lange wird das Ihrer Einschätzung nach so gehen?
Diese Phase der interessanten Kaufgelegenheiten hat 2023 begonnen und wird sicher noch die nächsten bis zu 18 Monate andauern. Die Welle könnte auch noch ein bisschen weitergehen, aber das hängt wesentlich vom Angebot und von der Nachfrage ab. Aber wenn ich grundsätzlich von einer Belebung der Nachfrage ausgehe – und typischerweise funktionieren Märkte ja in Wellenbewegungen –, dann sind wir jetzt wahrscheinlich in der Talsohle dieser Welle. Diese wird sukzessive wieder langsam abflauen und die Preise werden in der Folge voraussichtlich wieder anziehen. Ob und wann sie die alten Niveaus erreichen werden, lässt sich schwer vorhersagen.
Die Marktentwicklung ist aktuell stark von Megatrends wie Digitalisierung, ESG und der Energiewende geprägt. Wie wirkt sich das auf Ihre Portfolien aus?
Zukünftig werden die vier Ds eine große Rolle spielen. Das sind Dekarbonisierung, Digitalisierung, Demografischer Wandel und De-Globalisierung. Zur Dekarbonisierung zählen Themen wie erneuerbare Speicherplattformen, sauberer Verkehr, Recycling, Kreislaufwirtschaft. Bei der Digitalisierung haben wir das Thema Glasfasernetze, 5G, Telekommunikation, Rechenzentren und digitale Dienste. Demografischer Wandel umfasst alles, was mit der Alterung der Bevölkerung und der Konzentration auf die Gesundheitsversorgung zusammenhängt. Und bei der De-Globalisierung geht es um den Themenkomplex Transport und Logistik, sich verändernde Lieferketten und die Beschleunigung des Onshorings und lokaler Investitionen, Energiesicherheit und robuste inländische Versorgung.
Private-Equity-Investoren fokussieren sich schon länger auf die weniger volatilen Subbereiche. Das sind typischerweise Health Care, Financial Services, Informationstechnologie und Business Services. Diese machen typischerweise 75% des Portfolios aus. 25% Prozent entfallen auf die klassische Industrie.
Und welche Rolle spielt ESG?
ESG ist am Markt bereits als Standard etabliert. Es legt sich über alle Industrien und über alle Assetklassen. Das ist für mich eigentlich der Über- oder Unterbau, den man berücksichtigen muss, da Investoren sonst keine Allokation zur Verfügung stellen werden. Aus diesem Grund sind alle unsere Fonds, die wir am Markt anbieten, bereits heute, sogenannte Artikel 8 Fonds gemäß der EU-Taxonomie.
Im Rahmen jeder Due Diligence für ein neues Investment werden ESG-Parameter berücksichtigt und danach laufend überwacht. Ein Investment ohne ESG-Nachhaltigkeitsparameter findet demnach i.d.R. überhaupt nicht statt.
Welche Strategie verfolgen Sie mit Ihren Dachfonds in den nächsten Jahren?
Wie heißt es so schön: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Wir sind ein großer Freund davon, auch bei der Investitionsstrategie nachhaltig zu bleiben. Daher allokieren wir über alle Assetklassen zwischen 50% und 60% unserer Investments in Europa und 40% bis 50% in den USA. Das gilt für alle Assetklassen, weil wir der Überzeugung sind, dass eine globale Aufstellung die richtige Strategie für ein diversifiziertes Portfolio ist. Besondere Chancen durch günstige Einkaufspreise sehen wir, wie schon erwähnt, auf der Primary-Seite und für die nächsten rund 18 Monate im Secondary-Bereich. Das gilt für alle Assetklassen – daher planen wir, auch im Immobilienbereich mit einem Partner einen Fonds aufzulegen, so wie wir das in den anderen Assetklassen, Private Equity, Private Debt und Infrastruktur, schon umgesetzt haben.
Zum Abschluss vielleicht noch ein paar Sätze zu Ihrer Wunschentwicklung gegenüber dem Worst-Case-Szenario.
Insgesamt hat man sich darauf eingestellt, dass zunächst in Europa und irgendwann später in den USA Zinssenkungen kommen werden. Die Umsetzung könnte in den USA möglicherweise erst 2025 erfolgen. Sollte es weitere globale Krisen geben, dann ist davon auszugehen, dass die erwartete Markterholung deutlich später eintreten wird. Man hätte in diesem Fall jedoch einen längeren Zyklus, in dem man auf günstigeren Niveaus einkaufen könnte. Risiken bringen also immer auch Chancen mit sich.
Lieber Herr Massing, wir danken Ihnen für diese interessanten Einblicke!
ZUR PERSON
Robert Massing ist als Vorstand der Solutio AG in Grünwald für die Ressorts Investor Relations, Business Development, Marketing, Presse und Personal zuständig. Das 1998 gegründete Unternehmen entwickelt Anlagekonzepte für institutionelle Anleger im Bereich alternative Assets und verwaltet derzeit rund 6,8 Mrd. EUR in den Assetklassen Private Equity, Infrastruktur, Private Debt und Immobilien.
👉 Dieser Beitrag erscheint in der nächsten Magazinausgabe der Unternehmeredition 2/2024 mit den Schwerpunkten Unternehmensfinanzierung, Digitalisierung und Restrukturierung.
Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.