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Resiliente Wertschöpfungsketten im Zeitalter des Decoupling

Externe „Schocks“ wirken negativ auf Angebot und Nachfrage an beiden Enden der Wert-schöpfungskette. Auf der Beschaffungsseite bewirken sie, dass Rohstoffe, Verpackungsmate-rialien, Transporte und Energiekosten teurer werden. Hinzu kommt der branchenübergrei-fende Fachkräftemangel, welcher die Lage in Krisensituation meist zusätzlich verschärft.

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Externe „Schocks“ wirken negativ auf Angebot und Nachfrage an beiden Enden der Wertschöpfungskette. Auf der Beschaffungsseite bewirken sie, dass Rohstoffe, Verpackungsmaterialien, Transporte und Energiekosten teurer werden. Hinzu kommt der branchenübergreifende Fachkräftemangel, welcher die Lage in Krisensituationen meist zusätzlich verschärft. Resiliente Wertschöpfungsketten werden unverzichtbar, wenn es darum geht, die Lieferfähigkeit aufrecht zu erhalten und wirtschaftliche Verluste zu vermeiden. Doch in vielen Unternehmen zeigt sich: Die Kostenoptimierung der letzten Jahrzehnte hat aus globalen Wertschöpfungsketten zwar ein gut eingeschwungenes, aber überaus fragiles Konstrukt gemacht. Darum sollten Krisenstrategien entwickelt, Szenarien gerechnet und das Spektrum an Handlungsmöglichkeiten neu definiert werden.

Entscheidend: die proaktive Auseinandersetzung mit Krisenszenarien

Seit Beginn der Jahrtausendwende hat sich gezeigt, dass sich weltweite Krisensituationen in immer kürzeren Zyklen ereignen und dass ihre Wirkungen auf die Volkswirtschaften weltweit immer gravierender und disruptiver werden. Die lange Zeit als Segen hingenommene Globalisierung kehrt sich regional ins Gegenteil und wirkt gleichzeitig als Beschleuniger von Krisensituationen.

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Die Chip- und Corona-Krise waren gefühlt „gestern“, heute steht der westliche Industrieraum vor den Trümmern seiner Ostpolitik der vergangenen Jahrzehnte und alle Wirtschaftszweige bekommen die Auswirkungen in dramatischer Weise zu spüren: Lieferketten reißen nicht nur vorübergehend ab, sondern kommen teilweise komplett zum Erliegen und die Preise explodieren auf breiter Front.

Es gibt kein Patentrezept

Was den richtigen Umgang mit Krisen und die Gestaltung resilienter Wertschöpfungsketten anbelangt, gibt es kein Patentrezept. Dennoch können es einige grundsätzliche Verhaltensweisen den Unternehmen erleichtern, die richtigen Antworten beziehungsweise Verhaltensweisen zu entwickeln. So zeigt sich in den letzten Jahren dramatisch, dass der bisherige Fokus der Unternehmen auf einen kostengünstigen internationalen Einkauf von Rohstoffen, Komponenten und Produkten, auf performante Produktionssysteme und eine hohe Automatisierung der Maschinen und Anlagen nicht mehr ausreichend ist, um wettbewerbsfähig zu produzieren. Was vor einem Jahr noch als „Seiltanz zwischen Effizienz und Flexibilität“ beschrieben wurde, hat sich inzwischen zu einem fundamentalen Versorgungsproblem oder zumindest zu einem echten Kostenproblem entwickelt.

Zur Sicherung der Lieferketten und zur Aufrechterhaltung einer hohen Lieferfähigkeit müssen sich die Unternehmen verstärkt mit alternativen Szenarien entlang der gesamten Wertschöpfungskette auseinandersetzen. Die Krisenszenarien, die gebildet werden können, sind zugegebener Maßen vielfältig: Sie reichen von zunehmendem Protektionismus, wie Importbeschränkungen und „Local Content“-Forderungen (z.B. in Asien und speziell in China), über technische Decouping-Maßnahmen, das heißt dem bewussten Setzen alternativer technischer Standards (z.B. USA und teilweise Europa beim G5-Funkstandard), bis hin zum sanktionierten Verbot des Einsatzes bestimmter Technologien oder Produkte beim Verkauf an bestimmte Länder (z.B. der Einsatz von Chiptechnologie in Produkten an gewisse Drittländer durch die USA). Die Folgen: Marktzugänge werden verstopft, Lieferquellen versiegen.

Exogene Störungen simulieren

Die Beispiele zeigen, dass sich Unternehmen aktiv mit Krisen auseinandersetzen und ihre Auswirkungen auf die Beschaffungsseite, die Absatzmärkte, aber auch die unternehmensinterne Wertschöpfung beleuchten müssen. Einen ersten Ansatzpunkt zur Bildung möglicher Krisenszenarien kann das Risikomanagementsystem des Unternehmens liefern. Allerdings zeigt die Praxis, dass viele Unternehmen geschäftsgefährdende Risiken vorwiegend in ihrem unmittelbaren operativ-strategischen Kontext identifizieren. Exogene Faktoren, wie sich wandelnde gesellschaftspolitische Strömungen, Pandemien oder gar Kriege bleiben wie andere exogene Schocks bei derartigen Betrachtungen in der Regel außen vor. Aber gerade über die exogenen Schocks kommt es in den letzten Jahren gehäuft zu gravierenden Umwälzungen. Was passieren könnte, wenn ein einzelner Lieferant zum Beispiel insolvenzbedingt ausfällt, hat in den letzten Jahren wohl jedes Unternehmen durchgespielt. Heute müssen die Szenarien auch nicht so nahe liegende Risikoursachen mit einbeziehen: Die exotischsten Szenarien müssen heute zwingender denn je beleuchtet werden, wenn es um die Absicherung der Lieferketten geht. Was passiert, wenn einzelne Beschaffungsmärkte, beispielsweise bestückte Leiterplatten, sogenannte PCBs, aus China ganz wegfallen? Was passiert, wenn bestimmte Technologien mit einem wie auch immer gestalteten Exportbann belegt werden? Was passiert, wenn die Lieferstrecken durch Embargos oder den kriegsbedingten Ausfall von Versorgungswegen gestört beziehungsweise komplett unterbrochen werden? etc. Permanentes Hinterfragen und die Initiierung kontinuierlicher Lernprozesse sind die zentralen Lehren der letzten Jahre.

Rechtzeitig die passenden Handlungsoptionen durchdenken

Das Problem: Es gibt keine einfachen, allgemeingültigen Empfehlungen. Auf der Herstellerseite der deutschen Industrie hängt der Bewegungsspielraum sehr wesentlich vom konkreten Produktspektrum und der Betriebsgröße der Unternehmen ab. Große Unternehmen haben ein deutlich breiteres Spektrum an Handlungsoptionen zur Verfügung als der kleine, mittelständische Betrieb.

Folgende Kategorien an Handlungsoptionen stehen zur Verfügung:

Fazit

Die dargestellten Maßnahmen zur Reaktion auf gestörte Lieferketten können sicherlich nur einen kleinen Ausschnitt der vielfältigen Handlungsoptionen darstellen, die Lieferketten resilienter zu gestalten. Dreh- und Angelpunkt ist in vielen Fällen die Bereitschaft, sich mit möglichen Krisenszenarien auseinanderzusetzen, um möglichst frühzeitig die aktive Beschäftigung mit Gegenmaßnahmen anzustoßen. Hierfür steht ein breites Spektrum an Techniken und Methoden zur Verfügung. Doch die Erfahrung zeigt leider immer wieder, dass Krisen für viele Beteiligte überraschend eintreten und die meisten auf dem falschen Fuß erwischt werden. Dann heißt es mitunter: lieber die zweitbeste technische Lösung und ein angemessen höherer Preis als kein Geschäft und damit kein Umsatz und kein Ergebnis.

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