Personalwesen neu denken

Plädoyer für einen Kulturwandel im HR-Bereich

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Die Auftragsbücher der meisten deutschen Unternehmen sind voll. Eine vielversprechende Situation. Allerdings nur auf den ersten Blick. Denn es fehlen die Mitarbeiter, um die Vielzahl der offenen Stellen zu besetzen und die Aufträge abzuarbeiten. Es mangelt vor allem an Fachkräften, und zwar nicht nur in Deutschland. Weltweit könnten Unternehmen im nächsten Jahrzehnt mehrere Bio. USD Umsatz entgehen, weil Fach- oder Arbeitskräfte vor Ort nicht verfügbar sind, obwohl es sie möglicherweise in anderen Regionen der Welt gäbe. Eine Entwicklung, die sich nach Meinung von Experten durch eine konsequente Digitalisierung und Virtualisierung der Arbeitswelt abfedern ließe, wobei der Personalarbeit eine zentrale, strategische Funktion zukommt.

Laut der aktuellen Studie “The Talent Crunch” der Personal- und Organisationsberatung Korn Ferry werden Unternehmen weltweit bis zum Jahr 2030 8.452 Bio. USD Umsatz aufgrund von nicht verfügbaren Fach- und Arbeitskräften entgehen. Das entspricht ungefähr 85,2 Millionen Menschen, die der Wirtschaft fehlen. In Europa wird Deutschland mit knapp 630 Mrd. USD den größten Einnahmenausfall verbuchen müssen. Das sind 14,4% der heutigen Wirtschaftskraft und gleichzusetzen mit der Arbeitskraft von circa 4,9 Millionen potenziellen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.

Neben dem Gesundheitsbereich und dem Handwerk mangelt es in Deutschland hauptsächlich im technischen Bereich an Experten. Laut MINT-Report des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) fehlen vor allem in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik fast 280.000 Fachkräfte. Gesucht werden vor allem Informationssicherheitsanalysten, Full-Stack-Ingenieure, Softwareentwickler, Datenwissenschaftler, Computerprogrammierer, Systemanalytiker und Netzwerk-/Cloud-Architekten. Weltweit stünden zwar ausreichend dieser hochspezialisierten Experten zur Verfügung, nur leben sie eben nicht in Deutschland, wo sie dringend gebraucht würden.

Unternehmen, die offene Positionen anbieten, sind weltweit tatsächlich nicht gleichmäßig verteilt. Eine Untersuchung der Regierungsorganisation Economic Development Board Singapore hat beispielsweise ergeben, dass von den derzeit 3,1 Millionen offenen Stellen im Bereich Cybersicherheit weltweit zwei Drittel (66%) im asiatisch-pazifischen Raum zu finden sind. Und einer Studie von IBM zufolge, fehlen Mitarbeiter mit Expertise in künstlicher Intelligenz (KI) vor allem in Europa. So haben fast 30% der befragten Personalvermittler in Deutschland, Großbritannien und Spanien aktuell Schwierigkeiten, Bewerber mit Erfahrung in Deep Learning, maschinellem Lernen oder ausreichenden Kenntnissen in Datentechnik und -analyse zu finden, was für hiesige Unternehmen einen großen Wettbewerbsnachteil bedeutet.

Die Personalabteilung der Zukunft arbeitet strategisch

Demografische Entwicklung und Digitalisierung verändern unsere Arbeitswelt momentan grundlegend. Offene Grenzen und ein liberalisierter Handel erleichtern Unternehmen die Zusammenarbeit mit internationalen Partnern, während intelligente Software einen zeit- und ortsunabhängigen Zugriff sowie die Zusammenarbeit auch über weite Distanzen hinweg ermöglicht. Mitarbeiter können mittlerweile über mehrere Standorte, Städte, Länder und sogar Kontinente hinweg fast so eng zusammenarbeiten, als säßen sie gemeinsam in einem Büro. Damit das zuverlässig funktioniert und um zu vermeiden, dass Unternehmen in die Fachkräftefalle tappen, müssen die alten analogen Prozesse jedoch überprüft und an die neuen Anforderungen angepasst werden. Unternehmen werden ihre Geschäftsmodelle globaler ausrichten und die Art und Weise, wie sie ihre Mitarbeiter einstellen, entwickeln und betreuen, gründlich überdenken müssen. Auch Personalabteilungen werden neben ihren bisherigen Tätigkeitsschwerpunkten wie Personaladministration oder Lohn-, Gehalts- und Reisekostenabrechnungen, zunehmend strategisch arbeiten. Gehört doch der Beschäftigte, der Unternehmen mit seiner Expertise unterstützte, immer mehr der Vergangenheit an. Der Angestellte der Zukunft wird als Erfolgsfaktor „Mitarbeiter“ zu einem wichtigen, unverzichtbaren Baustein für den Erfolg eines Unternehmens. Die Aufgabe der Personalabteilung wird darin bestehen, seinen Einsatz sorgfältig und über einen längeren Zeitraum hinweg strategisch zu planen.

Die Personalabteilung der Zukunft ist IT-affin

Personalabteilungen werden zukünftig zunehmend Aufgaben übernehmen, die über das reine Recruiting – wie das Ad-hoc-Besetzen offener und neuer Stellen – hinausgehen und beispielsweise potenzielle Leistungsträger für zukünftige Schlüsselpositionen identifizieren und gewinnen. Dafür müssen jedoch Prozesse vorhanden sein, die diese Aktivitäten unterstützen und deren Umsetzung durch geeignete Instrumente, Methoden und IT-Systeme ermöglichen. Die Nutzung dieser neuen digitalen Werkzeuge erfordert jedoch neben einem entsprechenden Know-how auch ein grundsätzliches Umdenken der Personaler. Zusätzlich zu ihren bisherigen Qualifikationen müssen HR-Verantwortliche – beispielsweise durch Fortbildungen – ein präzises Verständnis für die neu entstehenden beruflichen Anforderungen entwickeln und die Auswirkungen von neuen Technologien, wie künstlicher Intelligenz, auf die Belegschaft einschätzen können.

Die Personalabteilung der Zukunft basiert auf remote und hybriden Arbeitsmodellen

Damit HR-Verantwortliche Arbeitnehmer zukünftig überhaupt ortsunabhängig und auch an länderübergreifenden Standorten einstellen und managen können, müssen ihnen stabile, reibungslos integrierbare Werkzeuge und digitale Lösungen zur Verfügung stehen, die alle relevanten Arbeitsprozesse vom Bearbeiten der Bewerbungen, bis hin zum Recruiting, Onboarding oder dem Bereitstellen von Lohn- und Gehaltsabrechnung weltweit anbieten können. Da der Personalbereich vorwiegend sensible Daten verarbeitet, ist es wichtig, dass die digitalen HR-Lösungen von der unternehmensinternen IT weitgehend autark sind.

Bei der Suche und dem Gewinnen von neuen Talenten werden beispielsweise automatisierte globale Employment-Plattformen eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Unternehmen können über sie nicht nur Mitarbeiter weltweit rechtskonform suchen und einstellen, sondern auch ihr gesamtes Management abwickeln. Die Automatisierungs-Technologien dieser Plattformen vereinfachen traditionell manuelle Personalprozesse, wie das gesamte Bewerbermanagement oder die Kandidaten- und Mitarbeiterbeurteilungen und erledigen sie in einem Bruchteil der Zeit. Das System übernimmt auch die Organisation von Vorstellungsgesprächen in mehreren Ländern, verschickt Angebotsschreiben oder bestätigt den Starttermin neuer Mitarbeiter. Fast jeder Schritt lässt sich mit einer Ende-zu-Ende verschlüsselten Employment-Plattform auch unter Einhaltung länderspezifischer Gesetze automatisieren. Einige der Plattformen garantieren sogar Rechtskonformität in mehr als 180 Ländern.

Die Arbeit folgt uns dorthin, wo wir uns aufhalten

Das Anforderungsprofil von Beschäftigten wird sich durch den zunehmenden Einsatz neuer Technologien stark verändern und vor allem im technischen Bereich den Bedarf an Fachkräften erhöhen. Unternehmen, die Schwierigkeiten haben, ihre vakanten Stellen zu besetzen, werden sich für digitale, ortsunabhängige Recruiting- und Arbeitsmodelle öffnen und die Suche nach neuen Mitarbeitern weltweit ausweiten müssen. Auf Basis einer digital und ortsunabhängig arbeitenden Belegschaft werden Personalabteilungen zunehmend für Mitarbeiter verantwortlich sein, die virtuell von ihren jeweiligen Heimatländern aus für ein Unternehmen, das beispielsweise in Deutschland sitzt, tätig sind. Die Arbeit der Zukunft wird kein Ort mehr sein, zu dem wir gehen, sondern sie wird uns dorthin folgen, wo wir uns gerade aufhalten.

Autorenprofil
Martin Tillert

Als Partner Director DACH ist Martin Tillert für den kontinuierlichen Aufbau des Globalization Partners-Teams im DACH-Raum zuständig. Er berät Unternehmen bei der Rekrutierung von Talenten in Deutschland, Österreich und der Schweiz und unterstützt sie bei der Suche nach qualifizierten Partnern für die rechtlichen und regulatorischen Personalaktivitäten im Zusammenhang mit Onboarding- und Issuing-Prozessen. Martin Tillert startete seine Karriere als Key Account und Senior Channel Manager bei Oracle und Microsoft. Zuletzt war er für indeed.com als Software-Evangelist unterwegs.

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