Quo vadis deutscher Mittelstand?

Tobias Grimmig in seinem neuen Unternehmen: Er übernahm 2018 ein bestehendes Familienunternehmen, statt selbst zu gründen.
Tobias Grimmig in seinem neuen Unternehmen: Er übernahm 2018 ein bestehendes Familienunternehmen, statt selbst zu gründen.

Riesig ist er, der deutsche Mittelstand – um ihn beneidet uns die Welt, er prägt unsere Gesellschaft und unsere Kultur, sei es der Handwerker oder der geliebte Bäcker um die Ecke. Doch der Mittelstand hat ein Nachfolgeproblem.

Laut einer KfW-Studie stehen 236.000 Unternehmen bis 2020 zur Übergabe an. Dazu gehört der Ein-Mann-Betrieb von Nebenan, aber auch der Automobilzulieferer mit mehreren Tausend Beschäftigten. Lediglich 35 Prozent dieser Bertriebe haben die Nachfolge geplant, knapp 20 Prozent planen eine Stilllegung oder ziehen sie ernsthaft in Betracht. Diese Zahlen sind dramatisch – sind Sie doch Vorboten einer gewaltigen Veränderung in der deutschen Wirtschaft.

Wo liegen die Ursachen dieses Problems?

Einen geeigneten Nachfolger zu finden wird immer schwieriger – zum einen ist das Problem hausgemacht, zum anderen gibt es mit Sicherheit auch gesellschaftliche Gründe.

  1. Unternehmenslenker fühlen sich unersetzlich, haben zu hohe Ansprüche an potentielle Nachfolgekandidaten oder können nicht loslassen. Gerade bei familieninternen Nachfolgern kann dies eine hohe Belastung bedeuten: Das Erreichte ist kaum zu übertreffen. Alles andere aber bedeutet Versagen. Zudem  ist der Senior damit konfrontiert, sich dem eigenen beruflichen Karriereende zu stellen– eine eher unangenehme Beschäftigung, die gerne aufgeschoben wird.
  2. Die Zahl der potentiellen Gründer sinkt wegen der langanhaltend guten konjunkturellen Lage. Auch zeichnet sich immer deutlicher ein demografischer Engpass ab. Die Alterung der Gesellschaft erhöht Jahr für Jahr die Zahl der Unternehmen, die zur Übergabe anstehen und verringert gleichzeitig die Zahl der potentiellen Nachfolger. Zudem gibt es vielfältige Perspektiven für junge Menschen, die sich als Generation Y gerne in den Schutz der Unverbindlichkeit flüchten. Sie arbeiten lieber für ein paar Jahre im Ausland , steigen die Karriereleiter wechselnder Konzerne  hinauf – oder sie gründen  ein vermeintlich schneller skalierendes Start-up (verglichen mit einem klassischen Mittelstandsunternehmen).
  3.  Schließlich sind die politischen und finanziellen Rahmenbedingungen schwierig und oft unkalkulierbar. Übernahmegründer sehen sich mit einer Vielzahl bürokratischer Hürden konfrontiert, sei es das Arbeitsrecht, Gesellschaftsrecht oder das Steuerrecht, und scheuen deshalb den Schritt in die Selbstständigkeit. Noch viel komplizierter ist es, eine Finanzierung für die Übernahme eines klassischen Mittelständlers auf die Beine zu stellen. Inzwischen gibt es eine enorm große Anzahl an Investoren, die aberwitzige Summen in vermeintliche „Unicorns“ der Start up-Branche investieren – in der Hoffnung, dass nur  ein Prozent der Investitionen irgendwann in ferner Zukunft ein profitables Geschäftsmodell aufbauen wird („Die Höhle der Löwen“ lässt grüßen). Im Vergleich dazu gibt es jedoch nur eine sehr begrenzte Anzahl an Investoren, die in den Mittelstand mit seinen über Jahrzehnte hinweg funktionierenden Geschäftsmodellen investieren. Vielen potentiellen Nachfolgekandidaten bleibt da nur noch der mühsame Gang über die altehrwürdigen Banken mit ihrem vergleichsweise risikoaversem Verhalten (nochmals verstärkt durch die Bankenregulierungen im Rahmen von Basel III / IV).
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