„Führung beginnt mit Zuhören“

Interview mit Julian Köster, Profi-Handballer und Führungsspieler der deutschen Handball-Nationalmannschaft

Führungsspieler in der Handball Nationalmannschaft, Olympiamedaillengewinner und Masterstudent der Betriebswirtschaftslehre.
Foto @ Lennart Weilacher / 360 Media

Mit gerade einmal 19 Jahren gelingt ihm der Durchbruch in die Bundesliga – heute ist er Führungsspieler in der Nationalmannschaft, Olympiamedaillengewinner und Masterstudent der BWL. Im Interview spricht der Profisportler über den Mut zur Verantwortung, den Wert ehrlicher Selbstreflexion und darüber, was Unternehmer vom Spitzensport lernen können: Resilienz, Teamgeist – und die Kunst, unter Druck die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Unternehmeredition: Mit nur 19 Jahren haben Sie den Sprung in die Bundesliga geschafft – wie haben Sie diesen Übergang gemeistert, und was können Unternehmer vom Umgang mit Verantwortung in jungen Jahren lernen?

Führungsspieler in der Handball Nationalmannschaft, Olympiamedaillengewinner und Masterstudent der Betriebswirtschaftslehre.
Foto @ Lennart Weilacher / 360 Media

Julian Köster: Meine Entwicklung verlief bewusst Schritt für Schritt. Zunächst ging es über die Jugendnationalmannschaft, dann in den Kader der 2. Bundesliga. Mit dem Vereinswechsel kamen neue Herausforderungen – aber auch neue Chancen: der Sprung in die A-Nationalmannschaft, der Aufstieg in die 1. Liga und schließlich der Einzug in den internationalen Wettbewerb.

Jede Station war prägend. Denn mit jeder neuen Aufgabe veränderte sich meine Rolle im Team – und das Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde. Verantwortung zu übernehmen, ist ein Prozess. Und gerade in jungen Jahren bedeutet das vor allem: offen zu bleiben, zuzuhören, zu lernen – und gleichzeitig den Mut zu haben, eigene Akzente zu setzen. Ich glaube, das gilt in der Wirtschaft ganz genauso.

Verantwortung zu übernehmen, ist etwas, das grundsätzlich Spaß macht! Natürlich wird man dann auch in die Verantwortung genommen, wenn Spiele verloren werden oder die Umsetzung von Ideen nicht funktioniert. Aber ich mag Verantwortung und bin mir bewusst, was es heißt, für meine Teamkollegen Verantwortung zu übernehmen. Für alle die Verantwortung übernehmen, ist es wichtig, zuhören zu können. Es geht nicht nur darum, lautstark Ansagen zu machen, sondern man muss wie ein Seismograf Stimmungen aufnehmen und darauf reagieren können.

Für Verantwortung bedarf es Mut und Rückgrat, Empathie und Einfühlungsvermögen. Verantwortung bedeutet vor allem aber auch, Entscheidung treffen zu können. Ich kann nur jeden, egal ob im Sport oder in der Wirtschaft, dazu ermutigen, Verantwortung zu übernehmen. Es fühlt sich gut an, Verantwortung zu tragen – wenn man sich bewusst ist, was das heißt.

Sie waren Teil des Neuaufbaus beim VfL Gummersbach nach dem Abstieg – was haben Sie aus dieser schwierigen Phase in Bezug auf Veränderungsprozesse und Neuanfänge mitgenommen?

Ich bin ein Jahr nach dem Abstieg zum VfL Gummersbach gekommen – mitten in einer Phase, in der der Verein sich sportlich und strukturell neu aufgestellt hat. In meiner ersten Saison haben wir den direkten Wiederaufstieg nur knapp verpasst. Wir waren in den Auswärtsspielen nicht zielstrebig genug. Manchmal fehlte eine Spur Akribie. Das war eine lehrreiche Zeit, denn es hat uns gezeigt, wie wichtig Geduld, Klarheit in der Ausrichtung und konsequente Arbeit an den richtigen Stellschrauben sind.

Im Jahr darauf ist es uns dann gelungen, den Aufstieg zu schaffen – ein Ergebnis aus harter Arbeit, gutem Teamgeist und dem Willen, gemeinsam etwas aufzubauen. Ein berühmter Sport-Spruch lautet: ‚Feedback ist das Frühstück von Champions.‘ Wir haben uns damals selbstkritisch und intensiv damit auseinandergesetzt, was gefehlt hat. Nicht, um zu nörgeln und uns gegenseitig den Buhmann zuzuschieben, sondern um es im nächsten Jahr besser zu machen.

Es sagt sich so einfach, dass man mit Kritik umgehen können muss. Denn es tut grundsätzlich immer erst einmal weh, sich mit Fehlern auseinander setzen zu können. Lob und Anerkennung sind selbstredend viel schöner. Es ist teils brutal, sich am Video noch mal anzuschauen, wie man Fehlpässe gespielt oder Abschlüsse versemmelt hat. Ich kenne Trainer, die sich ihre Kabinenansprachen noch einmal anhören, um zu gucken, ob die gewählten Worte die Mannschaft erreicht und berührt haben, ob ihre Idee gut rübergekommen ist. Dabei geht es nicht um Selbstgeißelung. Sondern um Selbstreflektion. Sich bewusst mit sich selbst auseinanderzusetzen. Sich zu spiegeln, ohne sich dabei sein Selbstvertrauen, zu zerstören.

Nach Ihrer schweren Verletzung im Herbst 2024: Wie haben Sie sich mental und körperlich zurückgekämpft, und wie wichtig ist Resilienz für nachhaltigen Erfolg?

Führungsspieler in der Handball Nationalmannschaft, Olympiamedaillengewinner und Masterstudent der Betriebswirtschaftslehre.
Foto @ Lennart Weilacher / 360 Media

Die Verletzung war zunächst ein Schock – vor allem, weil sie direkt nach einem körperlich und mental sehr intensiven Sommer mit den Olympischen Spielen kam. Aber rückblickend war sie auch eine Art Zwangspause, die mir die Möglichkeit gegeben hat, mich in anderen Bereichen weiterzuentwickeln. Ich konnte gezielt an meiner körperlichen Stabilität arbeiten, aber auch mental Kraft tanken.

Ich habe viel Zeit in mich und meinen Körper investiert, noch bewusster Eisbäder genommen, Kälte- und Kompressionstherapien gemacht, mit der Blackroll gearbeitet. Als junger Sportler denkt man oft, man ist unkaputtbar. Man verfügt über eine nahezu unbändige Kraft. Aber mit jedem Jahr, das man länger im Spitzensport ist, begreift man, dass man keinen einzigen Tag mit seinem Körper schludern sollte.

Wie haben Sie Ihre Rolle als Führungsspieler im Nationalteam entwickelt – und welche Prinzipien guter Teamführung lassen sich auf unternehmerisches Handeln übertragen?

Mit dem Generationenwechsel in der Nationalmannschaft hat sich auch meine Rolle verändert – von einem der Jüngeren zu einem der Erfahreneren. Führung heißt für mich: Verantwortung übernehmen – auf dem Spielfeld, aber genauso außerhalb davon. In einem Team voller hochqualifizierter Spieler prallen viele Meinungen, Erfahrungen und Persönlichkeiten aufeinander. Es ist wichtig, diese Vielfalt zu nutzen und allen eine Stimme zu geben – auch denen, die sich nicht laut äußern. Zuhören, moderieren, ein Vorbild sein – das sind Qualitäten, die nicht nur im Sport, sondern genauso in der Wirtschaft eine gute Führungskraft auszeichnen.

Ich bin bekennender Schalke-Fan. Unser wichtigster Ausbilder, Norbert Elgert, seit Jahrzehnten der Nachwuchs-Entwickler schlechthin, hat seinen Talenten, unter anderem Weltmeister Benedikt Höwedes, stets provakant eingebläut: „Wenn ihr nicht reden wollt, dann geht zu den Fischen ins Aquarium. Da könnt ihr die Schnauze halten. Aber auf dem Platz geht das nicht. Wenn ihr nicht sprecht, obwohl ihr Dinge kommen seht, ist das unterlassene Hilfeleistung.“ Die Stimme ist ein ganz wichtigstes Werkzeug für Führungskräfte.

Im Spiel müssen Sie unter hohem Druck Entscheidungen treffen – wie trainieren Sie diese Fähigkeit, und was empfehlen Sie Entscheidern in der Wirtschaft?

Unter Druck greifen wir oft auf vertraute Muster zurück. Das ist einerseits hilfreich, weil Routinen Sicherheit geben – andererseits kann das zur Blockade werden, wenn man noch keine passende Erfahrung gesammelt hat. Deswegen ist es für mich wichtig, Drucksituationen gezielt zu trainieren. Je öfter ich sie durchlebe – im Training, in der Visualisierung, in der Analyse –, desto souveräner kann ich im Spiel reagieren. Ich glaube, das lässt sich auch auf die Wirtschaft übertragen: Entscheidungen unter Druck sollten nicht dem Zufall überlassen werden. Wer vorbereitet ist, wer Szenarien durchdacht hat und sich selbst reflektiert, kann auch in Stresssituationen klar denken.

Wie gelingt es Ihnen, nach Niederlagen oder Fehlern wieder den Fokus zu finden?

Führungsspieler in der Handball Nationalmannschaft, Olympiamedaillengewinner und Masterstudent der Betriebswirtschaftslehre.
Foto @ Lennart Weilacher / 360 Media

Niederlagen tun weh – das ist ganz normal, aber sie sind auch ein riesiger Lernfaktor. Ich nehme mir nach solchen Spielen bewusst die Zeit, mich mit den Fehlern auseinanderzusetzen: Was hätte ich anders machen können? Wie war meine Vorbereitung? Was hat mir in der Situation gefehlt?

Das funktioniert nur, wenn man ehrlich zu sich selbst ist. Diese kritische Auseinandersetzung hilft mir, nicht in Selbstzweifeln stecken zu bleiben, sondern aktiv am nächsten Schritt zu arbeiten. Meist beginnt diese Analyse schon in der Nacht nach dem Spiel. Bei Auswärtsspielen bekommen wir die Szenen gegen Mitternacht. Wenn man dann im Bus sitzt, eh nicht schlafen kann, dann gehe ich durch, was gut und was schlecht war. Aber ich schaue nicht nur, was ich schlecht gemacht habe, sondern gucke mir auch bewusst an, was gut war. Erst Stärken stärken, dann Schwächen schwächen.

Welche zentrale Lektion aus dem Spitzensport würden Sie Unternehmern mitgeben?

Seit ich als Kind mit dem Handballspielen angefangen habe, war für mich immer klar: Erfolg entsteht im Team. Natürlich braucht es individuelle Leistung, aber ohne den Austausch, das Vertrauen und die gemeinsame Arbeit kommt man nicht weit. Im Spitzensport zeigt sich das sehr deutlich – niemand gewinnt ein Spiel allein. Ich glaube, das gilt auch im unternehmerischen Kontext. Gute Ideen entstehen im Dialog, Ziele erreicht man gemeinsam, und Verantwortung sollte immer geteilt und getragen werden. Wer als Führungskraft zuhört, andere einbindet und die Stärken des Teams fördert, schafft die Basis für nachhaltigen Erfolg.

Was treibt Sie sportlich noch an – welche Ziele haben Sie im Blick?

Der Gewinn der olympischen Silbermedaille in Paris war ein besonderer Moment für mich – meine erste Medaille mit der Nationalmannschaft. Es fällt mir bis heute schwer, diesen Moment für andere greifbar zu beschreiben. Mit dem Abpfiff des Spiels ist man zunächst einmal unfassbar müde. Dann fällt die Müdigkeit nach diesen so intensiven Wochen schlagartig von einem ab.

Hinzu kommt im ersten Moment die Enttäuschung, das Finale verloren zu haben, In den Minuten nach dem Spiel war es wirklich eine Achterbahn der Gefühle, ein bisschen Chaos im Kopf. Aber mit der ersten Berührung der Medaille, wurde es besser. Das Ding fühlt sich schon besonders an. Es ist ein erhabenes Gefühl. Deshalb ist sie auch bei mir im Wohnzimmer, so dass ich sie jeden Tag sehen kann. Aber es sind auch kleine Momente, die in Erinnerung bleiben: etwa, als ich das erste Mal die Mensa betreten habe. Alle trugen ihr Olympia-Outfit, es war so bunt, ein lauter Sprachenmix, ein Raum voller Energie.

Ich habe diese kleinen und großen Gefühle abgespeichert. Und ich möchte sie ergänzen und ganz viele weiterer solcher Erinnerungen schaffen. Ich möchte wieder um Titel spielen, mit der Nationalmannschaft und auch im Verein. Es geht darum, immer besser zu werden, neue Herausforderungen anzunehmen – und am Ende vielleicht noch einmal ganz oben zu stehen.

Haben Sie bereits Pläne für die Zeit nach dem Handball?

Aktuell absolviere ich meinen Master im Fach Betriebswirtschaftslehre. Mein Ziel ist es, das Studium erfolgreich abzuschließen, um mir nach der aktiven Karriere eine solide Grundlage für den Einstieg ins Berufsleben zu schaffen. Gleichzeitig hoffe ich natürlich, dass noch einige erfolgreiche Jahre im Handball vor mir liegen. Was danach kommt, lasse ich offen.

Lieber Herr Köster, wir danken Ihnen für das Gespräch!

Das Interview führte Eva Rathgeber.

👉 Dieser Beitrag  erscheint auch in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 3/2025 (Erscheinungsdatum: 19.09.2025).


KURZPROFIL

Führungsspieler in der Handball Nationalmannschaft, Olympiamedaillengewinner und Masterstudent der Betriebswirtschaftslehre.
Foto @ Lennart Weilacher / 360 Media

Geboren: 16. März 2000 in Bielefeld, Deutschland
Familienstand: ledig
Beruf: Profi-Handballer; zurzeit Studium der Betriebswirtschaftslehre
Erfolge & Auszeichnungen:
Silber bei U‑19 WM 2019, All‑Star „Bester Abwehrspieler“
– EM‑Teilnahmen 2022 (sieben Spiele, 18 Tore, zweitbester deutscher Torschütze),
– WM 2023 (Platz fünf)
– Olympische Silbermedaille 2024 in Paris; verliehen mit Silbernem Lorbeerblatt
– „Überraschung des Jahres“ 2021 beim German Handball Award
– Special‑Olympics-Botschafter Nordrhein‑Westfalen 2024
Hobbys: Yoga, Spaziergänge, Zeit mit Freunden, Schalke‑Fan
Webseite: www.dhb.de/nationalmannschaft/maenner/spieler/julian-koester

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen.

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