“Internationalisierung hilft im Kampf gegen Fachkräftemangel“

Interview mit Harald Vogelsang, Geschäftsführer, Vogelsang

Die ausländischen Standorte helfen Vogelsang im Kampf gegen Fachkräftemangel, da man leichter auf ausländische Arbeitskräfte zugreifen kann.
Die Geschäftsführung von Vogelsang v. li. n. re.: Hugo Vogelsang, David Guidez, Harald Vogelsang; Foto: © Vogelsang

Bereits zum vierten Mal in Folge wurde Vogelsang im vergangenen Jahr vom Wirtschaftsforschungsinstitut Prognos im Auftrag des F.A.Z.-Instituts als „Deutschlands Innovationsführer“ ausgezeichnet. Grund genug, sich den Maschinenbauer einmal näher anzusehen. Die Brüder Hugo und Harald Vogelsang leiten das 1929 gegründete Familienunternehmen in der dritten Generation zusammen mit David Guidez. Wir sprachen mit dem kaufmännischen Geschäftsführer Harald Vogelsang über wichtige Meilensteine und Entwicklungen.

Unternehmeredition: Herr Vogelsang, in ein paar Jahren blicken Sie auf 100 Jahre Unternehmensgeschichte zurück. Welche sind für Sie die wichtigsten Etappen?

Harald Vogelsang: Ursprünglich hatten wir ein Sägewerk und stellten Holzfässer her. Eine maßgebliche Zäsur war unser Wandel zum Hersteller für Maschinen, Anlagen und Systeme in den 1970er- und 1980er-Jahren. Im Laufe unserer Geschichte haben wir einige wichtige Innovationen getätigt, mit denen wir im wahrsten Sinne des Wortes die Welt verändert haben: 1970 erfand Helmut Vogelsang, der Sohn unseres Gründers Hugo Vogelsang und unser Vater, die Drehkolbenpumpe mit gummibeschichteten Kolben. In den 1980er-Jahren entwickelten wir ein Schleppschlauchsystem, das Gülle gleichmäßig verteilt. Außerdem setzen wir mit der neuen Exzenterschneckenpumpe HiCone dank Verlängerung der Lebensdauer und weiteren innovativen Eigenschaften neue Standards am Markt zur Förderung von abrasiven Medien. Seit den 1990er-Jahren konzentriert sich Vogelsang auf die Herstellung von Produkten in den Bereichen Abwasser, Agrartechnik, Biogas, Industrie und Verkehrstechnik.

Sie haben insbesondere seit den 1990er-Jahren ein enormes Wachstum hingelegt. Derzeit beschäftigen Sie 1.300 Mitarbeiter an 50 Standorten weltweit und erwirtschaften Umsätze im dreistelligen Millionenbereich. Was hat dieses Wachstum ermöglicht?

Es gibt bei uns drei wichtige Antriebsfedern: Zum einen liegt ein klarer Fokus auf der Produktentwicklung, das heißt, wir sind stets darum bemüht, bestehende Prozesse durch Innovationen zu verbessern. Zum anderen trägt uns unsere zunehmende Internationalisierung. Die dritte Triebfeder liegt in der Durchdringung immer neuer Märkte.

Einen besonderen Schwerpunkt bilden Technologien für eine nachhaltige Entwicklung. Liegt Ihnen dieses Thema besonders am Herzen?

Es geht bei uns oft um die Beseitigung oder Weiterverwendung von Abfallstoffen. Und in gewisser Weise haben uns die Umweltkrisen nach vorn gebracht. Wir beschäftigen uns aber auch mit anderen Themen – beispielsweise liefern wir Pumpen für die Ölindustrie, Chemie und in die Lebensmittelindustrie.

Inwieweit haben die gegenwärtigen Krisen Ihre Geschäftsentwicklung beeinflusst?

In den vergangenen 25 Jahren haben wir regelmäßig zweistellige Wachstumsraten erzielt. Natürlich waren wir zuletzt auch von Corona und den Lieferkettenproblemen betroffen. Auch wenn es dadurch eine leichte Delle gab, konnten wir unser zweistelliges Wachstum jedoch auch in den vergangenen zwei Jahren fortsetzen.

Sie sind weltweit aktiv. Wo liegen Ihre Schwerpunkte und welche Bedeutung hat für Sie das Auslandsgeschäft?

Wir erzielen mehr Umsatz im Ausland (70%) als in Deutschland (30%). Unsere größten Auslandsmärkte sind die USA, Frankreich, Italien und UK. Europa ist unser wichtigster Absatzraum, gefolgt von den USA. Auch Mittel- und Südamerika sowie Asien, und hier insbesondere Indien, die Vereinigten Arabischen Emirate, China, Korea und Japan spielen für uns allerdings eine wichtige Rolle als Absatzmärkte.

Mit unseren ausländischen Standorten können wir rückläufige Entwicklungen am deutschen Markt ausgleichen. So wurde der Ausbau von Biogasanlagen in Deutschland zuletzt stark zurückgefahren. Dafür haben andere europäische Länder stark in diesen Bereich investiert, darunter Dänemark, Frankreich, England, Spanien, Italien et cetera. Unsere ausländischen Standorte helfen uns auch im Kampf gegen den Fachkräftemangel, da wir durch unser internationales Netzwerk leichter auf ausländische Arbeitskräfte zugreifen können.

Hauptsitz der Firma Vogelsang im niedersächsichen Essen/Oldenburg; Foto: © Vogelsang

Unsere Produktion wird immer internationaler. Neben unseren deutschen Produktionsstandorten in Niedersachsen und Sachsen-Anhalt produzieren wir noch in Spanien und verfügen über kleinere Montagestandorte in den USA, Italien, China und Indien. Es wird für uns immer wichtiger, unsere Produkte lokal herzustellen. Es bietet immense Vorteile, wenn wir die Waren unmittelbar vor Ort beziehen können. Die lokale Wertschöpfung trägt zur logistischen Optimierung und Beschleunigung unserer Prozesse bei.

Welche Rolle spielt Buy and Build in Ihrem Haus?

Wir sind bisher ausschließlich organisch gewachsen. Bei Zukäufen haben wir uns zurückgehalten, weil sie uns mit zu hohen Kosten verbunden sind. Für die Zukunft schließen wir sie aber nicht kategorisch aus. Den Anteil der Fremdfinanzierung versuchen wir möglichst gering zu halten, denn unsere finanzielle Unabhängigkeit besitzt für uns höchste Priorität. Eine Eigenkapitalquote von rund 90% ist für uns die bestmögliche Absicherung.

Sie und Ihr Bruder sind die Enkel des Gründers und damit Nachfolger in der dritten Generation, beide um die 60. Haben Sie sich schon Gedanken über Ihre eigene Nachfolge gemacht?

Wir hegen den Wunsch, das Unternehmen an die nächste Generation zu übertragen. Ich habe einen Sohn (26), und mein Bruder hat einen Sohn (30). Beide haben bereits Funktionen im Unternehmen übernommen und stehen für die Nachfolge bereit. Mein Bruder hat auch noch eine Tochter, die aber bislang nicht im Unternehmen tätig ist.

Bestehen konkrete Pläne für die Übergabe? Soll das Unternehmen genauso weitergeführt werden wie bisher?

Wir denken noch darüber nach. Wir rechnen mit einem fünf- bis zehnjährigen Prozess. Wie schon mein Bruder Hugo und ich vertreten unsere Kinder jeweils zum einen die technische und zum anderen die kaufmännische Seite. Es wird aber sicher nicht zu einer Eins-zu-eins-Nachfolge kommen, denn uns ist klar, dass sich die Managementstrukturen verändern müssen. Uns selbst steht aktuell schon ein externer Geschäftsführer zur Seite, der unsere operativen Prozesse steuert. Es wird insbesondere darum gehen, die zweite Führungsebene in Form eines mittleren Managements zu stärken.

Verbinden Sie mit der Nachfolge die Hoffnung, dass Ihre Kinder das Unternehmen insbesondere im Bereich Digitalisierung voranbringen werden?

Damit haben wir selbst schon begonnen. Digitalisierung und künstliche Intelligenz bieten insbesondere in der Steuerungstechnik großes Potenzial. Ich bin sicher, dass unsere Kinder den von uns begonnenen Pfad fortsetzen und die Entwicklung weiter vorantreiben werden.

Wie ist Ihre eigene Nachfolge verlaufen? Kam es dabei zu Konflikten?

Das lief bei uns gänzlich harmonisch und stressfrei ab, ohne jedwede Konfrontationen. Unsere Eltern waren damals froh über jeden Vorgang, den sie an uns abgeben konnten.

Was wird das nächste große Ding bei Vogelsang?

Separationstechnik XSplit; Foto: © Vogelsang

Wir haben gerade eine neue Separationstechnik entwickelt, um feste von flüssigen Bestandteilen einer Suspension (Gülle und Gärreste) zu trennen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass wir nur Kernkomponenten für Kerntechnologien bauen. Diese sind aber oft die „Game Changer“.

Wie beurteilen Sie die Geschäftsaussichten für die nächsten Jahre? Werden Sie sich auf geänderte geopolitische Rahmenbedingungen einstellen und Ihre Strategie anpassen müssen?

Niemand kann derzeit genau vorhersagen, wie sich die weltpolitische Lage entwickeln wird. Für uns liegt eine erhebliche Bedrohung im nationalen Protektionismus. Eine Konsequenz daraus ist, dass wir unsere Expansionsstrategie und die lokale Wertschöpfung vor Ort weiter vorantreiben werden. Wir sind zwar bereits in den großen Industrieländern, aber noch nicht weltweit präsent. Außerdem wollen wir neue Geschäftsfelder wie die Chemie- oder Lebensmittelindustrie für uns erschließen.

Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in 20 Jahren?

Wir werden als Familienunternehmen an Internationalität zulegen und die Produktionstätigkeit im Ausland verstärken. Da uns der Maschinenbau im Blut liegt, sind wir auch in 20 Jahren noch ein Maschinenbauunternehmen, wobei die Maschinen eine deutlich größere Komplexität und einen höheren Digitalisierungsgrad aufweisen werden. Unser Stammsitz in Deutschland wird zunehmend von starken ausländischen Satelliten flankiert sein.

Herr Vogelsang, wir danken Ihnen für das aufschlussreiche Gespräch!


Kurzprofil Vogelsang GmbH & Co. KG

Leitung: Hugo Vogelsang, Harald Vogelsang, David Guidez
Gründungsjahr: 1929
Branche: Maschinenbau, Agrarwirtschaft, Industrie, Abwasser, Verkehrstechnik, Biogas
Unternehmenssitz: Essen-Oldenburg
Umsatz 2022: 173 Mio. EUR.
Mitarbeiter: 1.300

www.vogelsang.info/de


ZUR PERSON

Foto: © Vogelsang GmbH & Co. KG

Harald Vogelsang trat 1997 in die Geschäftsführung der Vogelsang GmbH & Co. KG ein. Er verantwortet den kaufmännischen Bereich und beschäftigt sich insbesondere mit dem Vertrieb und der internationalen Ausrichtung des Unternehmens.

www.vogelsang.info/de

 

 

 

Dieser Beitrag erscheint in der nächsten Magazinausgabe der Unternehmeredition mit Themenschwerpunkt “Unternehmensnachfolge”.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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