Kern statt Konzern

Was Dax-Konzerne vormachen, wird auch bei großen Familienunternehmen zunehmend ein Trend. Immer häufiger sehen sie die Chance, sich durch den Verkauf von Geschäftsbereichen agiler aufzustellen. Warum Fokussierung auf das Kerngeschäft die Diversifizierung immer mehr ablöst.

Wahl zwischen geringem Wachstum und hoher Schlagkraft

Die Bereitschaft, zu verkaufen, wird teils durch veränderte Marktverhältnisse verstärkt. Der Licht- und Elektronikspezialist Hella GmbH mit einem Jahresumsatz von 6,6 Mrd. Euro hat deshalb gerade seine dänischen und polnischen Großhandelsgesellschaften für 395 Mio. Euro an den schwedischen Wettbewerber Mekonomen verkauft. Der Lippstädter Automobilzulieferer, auch nach dem Börsengang vor vier Jahren mehrheitlich in Familienbesitz, stand vor der Frage: Weiter wachsen in einem weitgehend konsolidierten europäischen Markt für Kfz-Ersatzteile-Großhandel oder an Schlagkraft verlieren? „Um in einem Umfeld, in dem zunehmend europaweit agierende Marktteilnehmer entstehen, eine aktive Rolle zu spielen, hätte Hella das eigene Großhandelsgeschäft wesentlich breiter aufstellen müssen“, begründet Unternehmenssprecher Markus Richter den Verkauf. Dazu aber wären Investitionen in einer unverhältnismäßigen Höhe notwendig geworden. Schließlich zeigt sich aber auch hier der strategische Trend hin zur Fokussierung auf die zentrale Kompetenz: „Das Großhandelsgeschäft ist relativ weit entfernt vom eigentlichen Kerngeschäft, sodass wir unsere Innovationsstärke und Technologiekompetenz hier kaum ausspielen können“, ergänzt Richter.
Die Abspaltung hilft nun sowohl Käufer als auch Verkäufer, ihre Strategien besser umzusetzen. Mekonomen will seine Position als Großhändler in Europa weiter ausbauen. Hella kann seine Ressourcen noch konzentrierter auf die Wachstumschancen der großen automobilen Markttrends richten, die der Zulieferer etwa mit Kamerasoftware und Sensorlösungen für autonomes Fahren ebenso nutzen will wie mit Lösungen für energieeffizientere Fahrzeuge.

Sinkende Nachfrage trifft auf innovative Geschäftsbereiche

Auch die hessische Viessmann Gruppe setzt bei ihrer Heizungs- und Kühltechnik auf die Chancen neuer Technologien. Vom Heizkessel bis zur Wärmepumpe und von der Photovoltaik bis zur kontrollierten Wohnraumlüftung reicht das Produktangebot des Familienunternehmens heute. Künftig will Viessmann die Möglichkeiten der Digitalisierung stärker ausschöpfen: „Wir werden Wärme zunehmend als komplette Dienstleistung anbieten und entwickeln vernetzte Produkte und Services rund um Energie“, gibt Verwaltungsratschef Martin Viessmann die Richtung vor. Die Tochtergesellschaft Weso-Aurorahütte, eine traditionsreiche Eisengießerei, hat dagegen an Bedeutung verloren. Deshalb wurde sie im März verkauft. Der Bedarf an Gussteilen für die eigenen Produkte ist schlichtweg zurückgegangen.


„Der Familienhintergrund sowohl bei Viessmann als auch bei Serafin hat während des M&A-Prozesses eine gegenseitige Vertrauensbasis geschaffen“

Martin Pfletschinger, Geschäftsführer, Serafin Unternehmensgruppe GmbH


Dennoch wollte Viessmann die Tochter als Unternehmen erhalten. Das spielte auch bei der Auswahl des Käufers, der Serafin Unternehmensgruppe, eine wichtige Rolle. Serafin-Gründer Philipp Haindl stammt aus der Familie des früheren Augsburger Unternehmens Haindl Papier, das zeitweilig einer der größten Papierhersteller Europas war. Er sieht sich der unternehmerischen Familientradition bei der Weiterentwicklung mittelständischer Firmen unter dem Dach der Industriegruppe verpflichtet (siehe auch Unternehmeredition 5/2017). Dabei können sowohl Nachfolgeanlässe als auch Konzernausgliederungen Investitionsziele sein. „Der Familienhintergrund sowohl bei Viessmann als auch bei Serafin hat während des M&A-Prozesses eine gegenseitige Vertrauensbasis geschaffen“, betont Serafin-Geschäftsführer Martin Pfletschinger.

Dabei spielt der langfristige Ansatz von Serafin eine Hauptrolle. Zusammen mit Weso erzielen die neun Unternehmen der Serafin-Firmengruppe einen Umsatz von 600 Mio. Euro. Serafin steht diesen Firmen nicht nur mit Kapital, sondern auch bei der Umsetzung operativer und strategischer Maßnahmen zur Seite – bei Bedarf mit eigenen Mitarbeitern. Im Falle eines Carve-outs helfen sie vor allem in den ersten Monaten, etwa wenn es um die Etablierung eigener Finanz- und IT-Strukturen nach dem Herauslösen aus dem Konzern geht.
Von den Wachstumspotenzialen der neuen Gießerei ist Serafin überzeugt, auch weil neben der langjährigen Lieferbeziehung zu Viessman bereits in der Vergangenheit ein breiter Kundenstamm aufgebaut wurde. „Weso kann vor allem das Geschäft mit Drittkunden noch deutlich ausbauen und gleichzeitig das Leistungsspektrum erweitern“, unterstreicht Geschäftsführer Pfletschinger.

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