Wohin die Reise führt

Schwellenländer gehörten im laufenden Jahr zu den Gewinnern an den Finanzmärkten – trotz vieler ungelöster Probleme wie hoher Verschuldung, ungenügender Produktivität und politischen Krisen. Ob sich ein Invest auch weiter lohnt, erklären vier Experten.

 

Langfristige Trendwende 

Dr. Heinz-Werner Rapp: Vorstand und CIO, FERI AG
Dr. Heinz-Werner Rapp: Vorstand und CIO, FERI AG

Nach wie vor befinden sich zahlreiche Schwellenländer in einem strukturellen Abschwung. Ursache sind in vielen Fällen eine hohe Verschuldung, Überkapazitäten, eine rückläufige Produktivität und damit eine sinkende Wettbewerbsfähigkeit. Obwohl sich an dieser Situation nur wenig geändert hat, ist der Ausblick zuletzt wieder freundlicher. Einer der Gründe ist die Stabilisierung der Öl- und Rohstoffpreise, was die Situation von Ländern Lateinamerikas, des Mittleren Ostens und auch von Russland verbessert hat. Ein zweiter Faktor ist China, das durch massive Konjunkturprogramme seine Wirtschaft stimuliert und damit indirekt auch anderen Schwellenländern Unterstützung gibt. Die Börsen antizipieren bereits eine mögliche Belebung: Die relative Wertentwicklung von Schwellenländeraktien hat sich seit Anfang des Jahres spürbar verbessert. Trotz weiter bestehender Unsicherheiten könnte damit eine langfristige Trendwende einsetzen.

 

Attraktiv dank höherem Wachstum

Michael Bolliger: CIO, UBS Wealth Management
Michael Bolliger: CIO, UBS Wealth Management

Die Gewitterwolken, die vor dem letzten Meeting der US Fed aufgezogen sind und auch in den Schwellenländern für einige Turbulenzen sorgten, haben sich schnell wieder verflüchtigt. In einem Anlageumfeld, das weiter von der lockeren Geldpolitik in der Europäischen Union, Japan, den USA, China und vielen weiteren Zentralbanken getrieben wird, erscheinen Titel aus Schwellenländern zusehends attraktiv. Die Gründe dafür sind vielfältig: Neben der lockeren Geldpolitik spielen die volkswirtschaftliche Erholung in zahlreichen Schwellenländern und vorteilhafte Wechselkurse eine wichtige Rolle. Aber auch globale Faktoren wie höhere Rohstoffpreise und wachsende Sorgen um das schwache Wachstum sowie die politischen Entwicklungen in Europa unterstreichen die Attraktivität von Schwellenländertiteln. Auf der Aktienseite sehen wir Brasilien und Indien als zwei der interessantesten Märkte.


Vorsicht ist geboten

Alexander Krös: Asset Allocation Research, BHF-Bank
Alexander Krös: Asset Allocation Research, BHF-Bank

Die Finanzmärkte der Schwellenländer konnten sich im Zuge einer sehr vorsichtig agierenden US-Notenbank, steigender Rohstoffpreise sowie durch aktive Investoren im aktuellen Jahresverlauf größtenteils positiv entwickeln. Aufgrund der bisherigen Performance raten wir risikobewussten Investoren jedoch zur Vorsicht: So dürfte vor allem an den Anleihenmärkten die Zinsdebatte in den USA den primären Kurstreiber der kommenden Monate darstellen. Sollte die US-Notenbank die Zinsen schneller als allgemein erwartet erhöhen, würde dies die Kurse von Schwellenländeranleihen merklich belasten. Ein ähnliches Bild dürfte sich dann auch an den entsprechenden Aktienmärkten abzeichnen. Diese notieren aktuell auf aggregierter Ebene – im Hinblick auf das Kurs-Gewinn-Verhältnis – deutlich über dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre. Inhomogene politische und wirtschaftliche Entwicklungen innerhalb tragen zusätzlich zum komplexen Investmentprofil bei.

 

Reformwillige Schwellenländer bevorzugen

Robert Reichle: Leiter Emerging Markets Selection, Berenberg Asset Management
Robert Reichle: Leiter Emerging Markets Selection, Berenberg Asset Management

Die Emerging Markets sind wieder im Aufwind. Waren noch Anfang 2016 Investoren hinsichtlich der Entwicklung von China, der Rohstoffmärkte sowie der US-Notenbankpolitik verunsichert, hat sich dies im Jahresverlauf drastisch geändert. Die Jahresperformance von Emerging Markets ist bemerkenswert, entsprechend weisen Anleihen- und Aktienindizes prozentual zweistellige Wertzuwächse auf. Dies wird von entsprechend hohen Mittelzuflüssen begleitet. Schwellenländer sind wieder wettbewerbsfähiger. In vielen Staaten werden erfolgreich Strukturreformen vorangetrieben. Besonders reformwillige Länder wie Indonesien und Indien konnten sich überdurchschnittlich gut entwickeln. Auch das ehemalige Vorzeigeschwellenland Brasilien – im vergangenen Jahr noch ein Prügelknabe – legt derzeit eine starke Performance hin. Vieles spricht dafür, dass die gesamte Anlageklasse auch für die Zukunft gut aufgestellt ist. Anleger sollten jedoch weiterhin Vorsicht vor Euphorie walten lassen. Bei der Entscheidung für eine Anlage sind reformwillige Länder zu bevorzugen.

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