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„Es gab Landesfürsten“

Dr. Thomas Knecht kam vor drei Jahren als Unternehmensberater und Experte für Restrukturierung zum damals kriselnden Logistikunternehmen Hellmann. Seitdem hat er den Konzern zusammen mit dem Geschäftsführenden Gesellschafter Jost Hellmann umgebaut. Im Interview erklärt er, wie er die Strukturen professionalisiert hat und wie die Zukunft ohne ein Familienmitglied im Vorstand aussehen wird.

Unternehmeredition: Herr Dr. Knecht, im abgelaufenen Geschäftsjahr 2017 war der Gewinn mit rund 22 Mio. Euro vor Steuern gemessen am Umsatz relativ gering, wurde aber durchaus als Erfolg verbucht. Wie ordnen Sie persönlich das Ergebnis ein?

Dr. Thomas Knecht: Man muss sich wie bei einer Restrukturierung auch die Zeitreihe anschauen. In 2015 wurden noch tiefrote Zahlen geschrieben. Seit 2016 verdient der Konzern wieder Geld und wir konnten die Eigenkapitalbasis maßgeblich stärken. Im vergangenen Jahr haben wir gewinnseitig 40 Prozent und umsatzseitig 200 Mio. Euro zugelegt. Insgesamt ist das ein sehr akzeptables Ergebnis vor dem Hintergrund der Gesamtmarktsituation, beispielsweise mit der Pleite der Reederei Hanjin, die dramatische Spuren im Markt hinterlassen hat.

Welche Ziele setzen Sie sich nach dem Abschluss der Restrukturierung, die offiziell für Ende 2018 vorgesehen ist?

Es ist klar, dass die Zahlen sowohl beim Umsatz als auch beim Gewinn weiter nach oben gehen sollen. Im Gesamtmarkt beobachten wir wachsende Preis-Mengen-Effekte, und da vor allem Mengen-Effekte. Wenn wir mindestens mit dem Markt wachsen, dann entwickelt sich auch der Umsatz nach oben. Ergebnisseitig wollen wir das noch überkompensieren, indem wir die Strukturkosten überarbeiten und die operative Exzellenz weiter verbessern. Daneben spielt das Thema Digitalisierung eine Rolle. Wir streben an, schlanker und kosteneffizienter zu arbeiten. Insgesamt wollen wir auf Ebit-Niveau bis Ende 2020 über drei Prozent liegen.

Seefracht-Container von Hellmann: Die Sparte konnte im vergangenen Geschäftsfjahr durch die Pleite der Reederei Hanjin kaum wachsen.

Bei der Restrukturierung ging es vor allem darum, die über 190 legalen Einheiten des Konzerns neu zu bündeln. Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Das Unternehmen ist über die Jahre organisch zu einem echten Global Player gewachsen. Dabei hat man allerdings den Strukturaufbau nicht priorisiert. Dies nachzuholen war mein Ziel, um die Transparenz zu steigern und die Verantwortungszuweisung zu klären. Insgesamt ging es um einen Wechsel von einem shareholdergetriebenen hin zu einem Unternehmen mit professionellem Management. Deshalb haben wir unterhalb der Holding drei Teilkonzerne eingeführt. Bislang ist die Spartengründung national umgesetzt. Jetzt sind wir dabei, das Ganze global auszurollen, damit wir am Ende ein echtes Teilkonzern-Ergebnis ausweisen können.

Warum haben Sie nach Sparten klassifiziert und nicht nach Regionen, was auch viele Unternehmen machen?

Das ist eine Philosophiefrage. Es gibt Wettbewerber, die nach Ländern klassifizieren – aus dieser Welt kommen wir ein Stück weit. Heute sehen wir uns eher als produktgetriebenes Unternehmen. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir über die Länder hinweg produktbezogen eine Prozessstandardisierung hinbekommen müssen, um weitere Kosten rauszunehmen. Die Logistikindustrie ist kein Hochmargengeschäft, im Regelfall verdienen wir das Geld in der Nachkommastelle.

Dr. Thomas Knecht kam vor drei Jahren als Unternehmensberater und Experte für Restrukturierung zum damals kriselnden Logistikunternehmen Hellmann. Seitdem hat er den Konzern zusammen mit dem Geschäftsführenden Gesellschafter Jost Hellmann umgebaut. Im Interview erklärt er, wie er die Strukturen professionalisiert hat und wie die Zukunft ohne ein Familienmitglied im Vorstand aussehen wird.

Wie kann man sich diesen Wechsel von einer alten in eine neue Welt innerhalb des Konzerns vorstellen – welche neue Hierarchie hat sich dadurch ergeben?

Da reden wir über Spezifika eines Familienunternehmens. Das Unternehmen ist vor allem über einzelne Ländergesellschaften gewachsen, ohne einheitliche Strukturen und Prozesse. Es gab also Landesfürsten, die ihr Geschäft vor allem über ihr Verhältnis zu den Shareholdern entwickelt haben. Das entspricht natürlich nicht einem professionellen Management, um international Transparenz und Messbarkeit zu garantieren. Heute haben wir eine Matrixstruktur. Es gibt Zentralbereiche auf der einen Achse mit den Teilkonzernen und sieben sogenannte Lead Countries auf der anderen Achse, unter denen die Ländergesellschaften gebündelt werden.

Ein weiterer Krisenfaktor bis 2016 war das Forderungsmanagement, das sich negativ auf die Bilanz und in der Folge auf das Verhältnis zum Bankenkonsortium ausgewirkt hat. Was haben Sie dort umgestellt?

Das ist, glaube ich, ein Thema für die gesamte Industrie. Wir haben ein hohes Umlaufvermögen, damit ist das Forderungsmanagement ein zentrales Thema. Eine Langfristlösung ist ein sauberer End-to-End-Prozess, sodass es keine Stockfehler gibt. Daneben arbeiten wir auch mit verschiedenen Factoring-Programmen, je nach Art der Forderung oder der Factoring-Quote. In manchen Ländern, die weniger reguliert sind als Deutschland, setzen wir auch das Instrument Trade Finance ein, das die Ware an sich besichert.

Wie hat sich das Verhältnis zum Bankenkonsortium gegenüber 2014/2015 entwickelt?

Wir haben die Finanzierung Anfang des Jahres neu aufgesetzt. Die Partner sind nahezu alle bei uns geblieben. Die Bedingungen haben sich in der Zwischenzeit zu unseren Gunsten verändert, weil wir die Ergebnisse liefern, auch 2018 liegen wir bisher über Plan.

Ein Faktor für die gute Entwicklung ist sicherlich auch die robuste Weltkonjunktur. Inwieweit kann man sich darauf verlassen?

Bei uns zählt die transportierte Menge, unabhängig von der Logistiksparte. Wir gehen stark davon aus, dass sich die Mengenströme in den verschiedenen Regionen positiv entwickeln. Die Interneteinkäufe beispielsweise nehmen stetig zu. Auch im B2B-Bereich wächst die globalisierte Wirtschaft. Davon profitieren wir als Logistikdienstleister.

Ein wachsender Markt zieht neue Teilnehmer an, die davon profitieren wollen. In letzter Zeit sind Online-Plattformen ohne eigene Infrastruktur dazugekommen. Wie nehmen Sie die neue, digitale Konkurrenz wahr?

Wir sehen tatsächlich neue Marktteilnehmer, die sehr stark aus der Kundensicht agieren. Dieses Geschäftsmodell hat allerdings seine Grenzen, beispielweise bei der Seefracht. Die Ladung kann zwar auf einer superdigitalen Plattform gebucht werden, in der Praxis kommt sie aber an Ort XY vielleicht nicht durch den Zoll. Wenn sie dort dann keine Station haben, steckt die Ladung fest. Auch digitale Intermediäre brauchen physische Netzwerke um die Welt.

Die Digitalisierung hält auch sonst Einzug in die Logistikbranche. Neue Softwares versprechen komplexe Prognosen und letztendlich schnellere Lieferungen. Wie gehen Sie mit dem Thema Big Data und Künstliche Intelligenz um?

Die Wertschöpfungskette lässt sich bei uns auf 39 Arbeitsschritte runterbrechen. Bei fast jedem Schritt können Sie ein Digitalprodukt einsetzen. Die Prognose-Software ist sicherlich eine gute Anwendung, absolut.

Dr. Thomas Knecht kam vor drei Jahren als Unternehmensberater und Experte für Restrukturierung zum damals kriselnden Logistikunternehmen Hellmann. Seitdem hat er den Konzern zusammen mit dem Geschäftsführenden Gesellschafter Jost Hellmann umgebaut. Im Interview erklärt er, wie er die Strukturen professionalisiert hat und wie die Zukunft ohne ein Familienmitglied im Vorstand aussehen wird.

Auf welche Wachstumsmärkte fokussieren Sie sich strategisch?

Da gibt es mehrere. Indien ist sicherlich ein Thema, andere Länder in Asien auch. Grundsätzlich sehen wir überall dort Potenzial, wo die Märkte noch unterentwickelt sind.

Bleiben Deutschland beziehungsweise die EU auch langfristig in einer globalisierten Wirtschaft der Kernmarkt?

Wir sind und bleiben ein Familienunternehmen, wir sind ein deutsches Unternehmen. Beim Landverkehr machen wir drei Viertel des Geschäfts in Deutschland und nahezu 100 Prozent in Zentraleuropa. Von daher bleibt das unser angestammter Markt.

In dieser Rolle als Familienunternehmen haben Sie große Konkurrenten wie die Deutsche Bahn, DHL oder Kühne + Nagel. Wollen Sie Ihre Position als selbsternannter Mittelständler festigen oder irgendwann auch zu den Großen aufschließen?

Die Frage müssten Sie eigentlich den Gesellschaftern stellen. Wir sehen uns weiter als Mittelständler. Aus meiner Sicht bleibt das so. Diesbezüglich gibt es auch ein klares Commitment der beiden Vettern Klaus und Jost Hellmann.

Die beiden Vettern Jost (li.) und Klaus Hellmann: Sie sind nach wie vor die beiden Gesellschafter des milliardenschweren Familienunternehmens.

In anderen globalisierten Branchen, die stark wachsen, gibt es einen Konsolidierungskurs. Müssen Sie sich nicht irgendwann entscheiden, ob Sie sich eingliedern oder selbst zukaufen?

Das ist sicherlich normal in Branchen, die unter Preisdruck stehen. Wir schauen uns natürlich Kandidaten an und schließen nicht aus, in bestimmten Bereichen zuzukaufen. Die Entwicklung gerade in den vergangenen drei Jahren zeigt uns aber, dass unser Kurs der richtige ist. Wenn Sie mit Ihrer Frage meinen, dass wir in Zukunft keinen Platz mehr in der Branche haben, frage ich zurück: Warum denn nicht?

Vor Kurzem hat der Gesellschafter und Vorstand Jost Hellmann bekannt gegeben, ab nächstem Jahr in den Aufsichtsrat zu wechseln. Gibt es Nachfolgepläne für den Vorstandsposten – mit oder ohne die Gesellschafterfamilie?

Wir werden uns nun Gedanken über die Führungsstruktur machen und personelle Entscheidungen zu gegebener Zeit mitteilen. Wir haben in den vergangenen Jahren ein Executive Board aus erfahrenen Top-Managern geschaffen. Dieses besteht nicht nur aus dem Vorstand, sondern auch aus den Geschäftsführern der Produkte und den Leitern der Zentralfunktionen. Das Board führt gemeinsam das Unternehmen. Was eine mögliche Nachfolge betrifft: Derzeit sind die Kinder der beiden Gesellschafter dafür noch nicht alt genug. Es gibt auch keinen Mechanismus, man wird also nicht per Geburt Vorstandsvorsitzender der Hellmann-Gruppe. Es wurden aber Möglichkeiten geschaffen, wie die Kinder ins Unternehmen eintreten und sich qualifizieren können.


Zur Person

Dr. Thomas Knecht ist seit 2015 Geschäftsführer und seit 2017 Vorstandsvorsitzender der Hellmann Worldwide Logistics SE & Co. KG. Dort ist er unter anderem für die Bereiche Finance, Strategie, IT/Digitalisierung sowie für die drei Produktsparten zuständig. Davor war er Senior Partner und Spezialist für Restrukturierungen bei der Unternehmensberatung Roland Berger, die Hellmann auch beim Sanierungskonzept beraten hat. Seine berufliche Laufbahn begann Knecht als Investmentbanker.

Zum Unternehmen

Die Hellmann Worldwide Logistics SE & Co. KG ist ein global aufgestellter Logistikdienstleister mit über 250 Standorten in 56 Ländern. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Hellmann einen Konzernumsatz von 2,5 Mrd. Euro, der Umsatz der Unternehmensgruppe betrug 3,2 Mrd. Euro. Bis heute gehört das Osnabrücker Familienunternehmen mit den beiden charakteristischen Wildgänsen im Logo den beiden Vettern Jost und Klaus Hellmann. Klaus Hellmann ist bereits Ende 2016 aus der damaligen Geschäftsführung in den neuen Aufsichtsrat gewechselt. Jost Hellmann ist neben Dr. Knecht im Vorstand des Unternehmens, hat aber angekündigt, das Gremium zum Ende 2018 zu verlassen. Seit 2015 durchlief das Unternehmen unter der Leitung von Dr. Knecht nach Verlustjahren eine Phase der Restrukturierung. Statt Ländereinheiten gibt es nun Produktsparten. Ein Executive Board mit sieben Mitgliedern inklusive Vorstand wurde eingeführt und die Gruppe von einer GmbH in eine SE umfirmiert. Seit 2016 schreibt Hellmann wieder schwarze Zahlen.

www.hellmann.net

 

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