Doppelter Boden oder halbe Sache?

Trennung von Listing und Kapitalaufnahme beim Börsengang

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Rezessionsangst, Bankenkrise und zuletzt die drohende Zahlungsunfähigkeit der USA – das Kapitalmarktumfeld zeigte sich auch 2023 bisher extrem anspruchsvoll. Dennoch erreichte der DAX zuletzt ein neues Rekordhoch und Techwerte blühen wieder auf. Wir sprachen mit Thomas Stewens, Vorstand der BankM. 

Unternehmeredition: Herr Stewens, was raten Sie Unternehmen, die mit einem Börsengang liebäugeln?

Thomas Stewens: Das kommt ganz klar auf die Motivation an. Wer auf eine Umplatzierung der Aktien von Altaktionären an neue Investoren hofft oder mit dem Börsengang eine große Kapitalmaßnahme verbinden möchte, geht ein hohes Risiko ein und sollte sich das gut überlegen. Gehen die Gründe für den Börsengang jedoch über die unmittelbare Kapitalbeschaffung hinaus, dann ist die Sache anders zu beurteilen; etwa mit Blick auf die langfristige Sicherung des Unternehmens, die Erhöhung des Bekanntheitsgrads oder der Attraktivität für Mitarbeiter.

Warum bestehen bei anderer Motivationslage bessere Chancen?

Während eine Kapitalaufnahme stets abhängig von der momentanen Marktlage ist, können strategische Überlegungen grundsätzlich immer umgesetzt werden. Dazu müssen Emittenten nur eines beherzigen: die Trennung des Going Public, also des eigentlichen Börsengangs, von dem damit möglichen und zugegebenermaßen auch bisher üblichen öffentlichen Aktienangebot oder IPO an Dritte, neue Aktionäre.

Aber ist ein Börsengang ohne Emissionserlös nicht eine halbe Sache? Der Aufwand der Vorbereitung mit der Prospekterstellung, der Aufrüstung des Rechnungswesens, der Transparenzpflichten ist doch weitgehend derselbe, mit oder ohne öffentliches Angebot …

Grundsätzlich ist das klassische IPO der Königsweg – aber es ist eben auch mit Unwägbarkeiten und Risiken verbunden, die viel zu oft zum Scheitern geführt haben. Falls das Marktumfeld die Platzierung zum gewählten Zeitpunkt nicht zulässt, ist es deshalb wichtig, zumindest einen guten Plan B in der Tasche haben.

Worin besteht für Emittenten der Vorteil eines solchen zweistufigen Börsengangs?

Ganz klar: Man ist mit einem reinen Listing schon einmal an der Börse. Die Vorbereitungen, allen voran die Erstellung, Einreichung und Genehmigung des Börsenprospekts, sind damit erledigt; allein dieser Prozess dauert ja meist schon sechs Monate. Ist die Zweiteilung von Anfang an geplant, ist zunächst auch ein prospektfreies Listing in München oder Düsseldorf möglich, über das dann eine Xetra-Notiz herbeigeführt werden kann, um die Aktie europaweit handelbar zu machen. Ein solches reines Listing mit Börsennotiz ist erheblich günstiger und schafft die Möglichkeit, Börse erst einmal zu lernen und eine Kapitalmaßnahme erfolgreich vorzubereiten.

Und natürlich kann man auch im Zuge eines Listings schon einmal die eigene Aktionärsbasis verbreitern, indem im Vorfeld zum Beispiel Anteile an die Belegschaft, nahestehende Family Offices oder enge Geschäftspartner verkauft werden, mit der Aussicht auf eine Handelbarkeit der Anteile. Wenn man dann an der Börse notiert ist, kann in aller Ruhe eine weitere Umplatzierung und/oder auch ein öffentliches Angebot nachgeholt werden.

Wie lange kann man ein Listing von einer Kapitalmaßnahme trennen?

Ein Prospekt kann für ein Jahr genutzt werden, also erst für ein Listing, etwa an einem regulierten Marktsegment, und dann in über sogenannte Nachträge aktualisierter Form für ein öffentliches Angebot nochmals. Diese Nachträge müssen der BaFin vorgelegt werden, aber eben nur diese, was die Abläufe verkürzt und eine zügige Reaktion auf veränderte Marktverhältnisse bei der Platzierung ermöglicht.

Besteht eigentlich ein Unterschied zwischen der Börsenreife und der nach dem IPO geforderten Kapitalmarktfähigkeit?

Der Börsenreifeprozess beschreibt den Weg zur Kapitalmarktfähigkeit. Diese muss ein Unternehmen sich dann natürlich erhalten. Auch nach dem Börsengang muss ich dafür sorgen, dass mein Bilanz- und Rechnungswesen gut aufgestellt ist und dass ich eine plausible Kapitalmarktstory habe beziehungsweise behalte, die ich auch glaubwürdig lebe. Ich muss dazu Prognosen erfüllen, muss „liefern“, wie es so schön heißt, also Ziele erreichen, die ich angekündigt habe, oder – und das ist noch wichtiger – Zielverfehlungen frühzeitig, offen und transparent kommunizieren. Am Ende geht es um Vertrauen, das ich mir am Kapitalmarkt erarbeiten muss.

Was ist, wenn sich im IPO-Readiness-Prozess herausstellt, dass ein Unternehmen zwar operativ profitabel ist und durchaus auch noch Wachstumspotenzial hat, die Börsenreife jedoch aus anderen Gründen nicht oder nicht mehr gegeben ist? Kapital wird ja meist dennoch benötigt. Gibt es eine Alternative zu Listing und IPO?

Man muss sicher nicht alle Themen zum Börsengang perfekt erledigt haben in diesem Readiness-Prozess, vor allem nicht, wenn man ihn wie skizziert aufteilt, aber der Vorstand muss bereit sein, die nötigen Prozesse zu optimieren, personenunabhängige Strukturen auszubauen und vor allem Transparenz zu schaffen. Eigentümer und Topmanagement müssen einen Plan haben, Personen dauerhaft zur Entlastung einzustellen. Die Alternative ist, sich anderweitig zu finanzieren, dauerhaft über Private Equity oder über den traditionellen Weg der Bankkredite. Transparenz gegen Kapital – das ist ganz klar der Deal für die Börse. Dafür erhält man sich, je nach Streuung der Anteile, die eigene unternehmerische Unabhängigkeit.

Wie beurteilen Sie für den weiteren Jahresverlauf die Chance auf Börsengänge in Deutschland?

Ich würde die Frage gerne anders beantworten: Wenn wir jetzt von einem Unternehmen gefragt werden, ob wir es an die Börse bringen, fragen wir zunächst nach den Zielen. Sollten diese strategisch sein, würden wir zuraten, gegebenenfalls mit dieser Teilung des Prozesses von Listing mit anschließendem öffentlichem Angebot. Die Verbreiterung der Finanzierungsmöglichkeiten ist ein Motiv, das für viele Unternehmer wichtiger wird. Die Banken werden ja nicht sicherer für eine nachhaltige Finanzierung von Wachstums- unternehmen. Deshalb können und sollten diese auch jetzt schon Kapitalmarktoptionen aufbauen, wenn sie sich in der zunehmend volatilen Finanzlandschaft langfristig sicher finanzieren wollen.

Welche Branche könnte in diesen schwierigen Zeiten am ehesten Eisbrecher sein, um das IPO-Fenster auch für andere Kandidaten zu öffnen?

Aufmerksamkeit erhalten vor allem Unternehmen, die eine sehr konkrete Antwort auf die aktuellen Herausforderungen liefern: etwa in bestehenden Prozessen bei einer etablierten Kundenbasis Energie einzusparen, alternative Energien zu gewinnen oder systematische Ineffizienzen zu beseitigen. ESG, Sicherheit und nach wie vor Technologie – das sind die Themen, die im laufenden Transformationsprozess benötigt werden und somit auch am aussichtsreichsten für die Börse sind.

Alle anderen gehen leer aus?

So pauschal kann man das sicher nicht sagen. Für eine Kapitalmaßnahme eines Börsenneulings brauchen Investoren im derzeitigen Umfeld aber schon sehr überzeugende Argumente. Sind Sie erst einmal an der Börse, ist das anders: Bestehende Aktionäre lassen Ihr Unternehmen ja nicht gleich fallen, weil nun gerade die Makrolage schwierig ist. Im Gegenteil – seit Gründung der BankM haben wir schon viele Fälle betreut, bei denen die Aktionäre das Unternehmen gerettet haben, während alle anderen Finanzierungsoptionen ausgefallen sind. Die Börse kann so gerade in der Krise eine entscheidende Finanzierungsalternative für das Überleben eines Unternehmens bieten.


ZUR PERSON

Thomas Stewens ist Gründungspartner und Vorstand der BankM.

www.bankm.de

 

 

Der Beitrag ist in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 2/2023 erschienen.

Autorenprofil
Simone Boehringer

Dipl.-Volkswirtin Simone Boehringer ist als Redaktionsleiterin Kapitalmarktmedien für die GoingPublic Media AG tätig. Seit 25 Jahren arbeitet sie als Redakteurin, davon die meiste Zeit als Wirtschafts- und Finanzjournalistin für Tages-, Monats- und Onlinemedien.

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