Die Renaissance des Working Capital Management 

Working Capital optimieren – Wachstum finanzieren

Foto: © Kiattisak_AdobeStock

Working Capital braucht es so viel wie nötig und so wenig wie möglich. Eigentlich ein einfaches Prinzip, doch nie war dessen Umsetzung komplexer als heute. Zinser­höhungen, Disruption globaler Lieferketten, steigende Preise und wachsende Un­sicherheiten stellen das Working Capital Management derzeit vor enorme Heraus­forderungen.

Viele Mittelständler weisen seit 2021/22 wieder hohes Umsatzwachstum auf, kämpfen aber mit Engpässen bei der Finanzierung dieses Wachstums, insbesondere vor dem Hintergrund der zumeist deutlich höheren erforderlichen Lagerbestände und der aktuell steigenden Zinsaufwände.

Working Capital Management als strategische Unternehmensaufgabe

Eine effektive Steuerung und Überwachung des Working Capital gehört heute wieder mehr denn je zu den zentralen strategischen Unternehmenszielen. Eine entsprechende Reduktion des Working Capital ist ein wesentlicher Baustein für die Schaffung von Finanzierungsspielräumen und damit Investition in weiteres Wachstum.

Insofern ist es wenig überraschend, dass bei zunehmend mehr Unternehmen ein aktives Working Capital Management wieder in den Fokus gerät. Es verbessert unabhängig von der Ausgangslage Liquidität wie auch Rentabilität und steigert damit den Unternehmenswert sowie die Resilienz!

Die Optimierung des Working Capital und der relevanten Prozesse bezieht die Einflussfaktoren der gesamten Wertschöpfungskette ein

Quelle: Schaubild Helbling; Ableitung Optimierungspotenziale aus zahlreichen Projekten

Maßnahmen zur Working-Capital-Optimierung wurden in vielen Unternehmen vereinzelt angestoßen. Beispiele sind die Bereinigung beziehungsweise der Abverkauf von alten Lagerbeständen, die Erhöhung der Lieferantenzahlungsziele et cetera. Dennoch ist den meisten Unternehmen gar nicht bewusst, welche Liquiditätsreserven durch ein ganzheitliches Working Capital Management mobilisiert werden können. Zudem fehlt häufig auch der passende Ansatz zur effektiven Steuerung.
Der Schlüssel für ein erfolgreiches Working Capital Management liegt in der organisationsübergreifenden Transparenz und der Beseitigung von Störgrößen in den Prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Darüber hinaus sind die Produkt- und Kundenstrategie sowie die entsprechenden Vertriebs- und Supply-Chain-Strategien zu analysieren und gegebenenfalls anzupassen. 

“Der Schlüssel für ein erfolgreiches Working Capital Management liegt in der organisationsübergreifenden Transparenz und der Beseitigung von Störgrößen in den Prozessen entlang der gesamten Wertschöpfungskette.”

Erfolgsfaktoren für ein wirksames Working Capital Management

1. Prozess- und Digitalisierungs-Know-how

In vielen Fällen fehlt ein entsprechend ganzheitlicher Ansatz zur Identifikation der wesentlichen Optimierungshebel. Ein solch ganzheitlicher Ansatz zur Identifizierung und Bewertung der Optimierungshebel verbindet die Ende-zu-Ende-Sicht in den Prozessen Purchase to Pay, Forecast to Fullfill und Order to Cash mit den spezifischen Anforderungen des Geschäftsmodells. Unterstützt durch quantitative Analysen werden Störgrößen transparent. So wird die Nachhaltigkeit der abgeleiteten Maßnahmen sichergestellt. Aus den Analysen und Maßnahmen ergeben sich häufig weitere Ansatzpunkte zur Performanceverbesserung, zum Beispiel wenn die Transparenz über die Zahlungskonditionen für Anpassungen bei der Rabattierung genutzt wird oder Transportkosten durch Bündelungen reduziert werden können.



Was ist Working Capital Management?
Das Working Capital im operativen Sinne oder auch Betriebskapital ist ein Indikator für den Kapitalbedarf zur Umsetzung des operativen Geschäfts. Es besteht aus dem gebundenen Kapital in Lager- und Vorratsbeständen und dem Finanzierungsbedarf für Forderungen abzüglich Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen. Beim Management beziehungsweise der Optimierung geht es nicht um eine einfache Reduktion, sondern um eine teilweise komplexe Abwägung zwischen verschiedenen Zielen – beispielsweise Lieferfähigkeit über hohe Lagervolumina versus Liquiditätsbedarf.


2. Fachliche Expertisen bündeln

Die Expertisen aus den Fachbereichen Finance, Vertrieb, Einkauf und Produktion/Operations inklusive Materialwirtschaft sind zu bündeln – häufig anzutreffende reine Top-down-Ansätze auf Geschäftsleitungsebene greifen zu kurz. Gegebenenfalls ist sogar technische Expertise notwendig, um das Produktdesign anzupassen (Gleichteilestrategie et cetera). Auch der fokussierte Einsatz von Beratungen mit entsprechendem Know-how kann quantitativ und qualitativ unterstützen. Hierbei steht jedoch längerfristig die Befähigung des Unternehmens im Vordergrund, um diese Daueraufgabe der Working-Capital-Optimierung allein und wiederholt stemmen zu können. Ein strukturiertes, an das Geschäftsmodell des Unternehmens angepasstes Vorgehen über die gesamte Wertschöpfungskette ist absolut erfolgsentscheidend.

3. Umsetzungsprogramm und Roadmap definieren

Im Rahmen fachübergreifender Management Meetings sind konkrete Inhalte und Meilensteine eines Maßnahmenprogramms zu bestimmen. Die Inhalte der Maßnahmen sind mit den zukünftigen Verantwortlichen bis auf Aktivitätenebene in Form von Steckbriefen zu detaillieren. Bereits hier ist auf die Messbarkeit der Ziele zu achten. Der Umsetzungserfolg basiert auf einer geeigneten Projektorganisation mit Projekt-Management-Office und geeigneten Kommunikationsinstrumenten.

“Ein strukturiertes, an das Geschäftsmodell des Unternehmens angepasstes Vorgehen über die gesamte Wertschöpfungskette ist absolut erfolgsentscheidend.”

4. Cash is King − Fokus auf Liquidität und messbare Ziele setzen

Der Fokus auf Liquidität in den Geschäftsprozessen erfordert neben einer anhaltenden Aufmerksamkeit des Managements häufig einen echten kulturellen Wandel bei den Prozessverantwortlichen. Ziel muss in der gesamten Organisation das Erreichen eines Best-Practice-Levels beim Working Capital Management mit entsprechenden kontinuierlichen Verbesserungsprozessen sein. Dies erfordert neben Prozessoptimierungskompetenz auch wirksame Schritte zur Digitalisierung in der gesamten Wertschöpfung: unter anderem von der automatisierten Rechnungserstellung und -verbuchung im Finanzbereich bis zum KI-basierten Forecast im Produktionsprozess, um die Sicherheitsbestände zu optimieren.

Fazit

Aktuell steigende Finanzierungskosten und Finanzierungsbedarfe rücken die Optimierung des Working Capital wieder in den Vordergrund. Dabei geht es nicht nur um eine einfache Reduktion, sondern um eine differenzierte Abwägung zwischen Liquidität und Lieferfähigkeit sowie weiteren Kundenanforderungen. Quick Wins sind häufig einfach umzusetzen und ein geeigneter erster Schritt, um den Fokus auf Liquidität zu lenken und die kontinuierliche Optimierung beim Working Capital Management als Ziel zu verankern.

Autorenprofil
Dr. Marius Weinberger

Dr. Marius Weinberger ist Director bei Helbling Business Advisors. Er hat über 25 Jahre Erfahrung in operativer Linienverantwortung sowie als Berater bei mittelständischen Unternehmen und Konzerndivisionen in wertorientierter Unternehmenssteuerung, Transformationen und M&A.

www.helbling.de

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