„Die Qualität der Bewerbungen hat deutlich zugenommen“

Dennoch sind Beratungsgesellschaften oder Großkonzerne immer noch die erste Anlaufstelle für junge Bewerber. Woran liegt das?

Diese Firmen haben schon auch was zu bieten, gerade jungen Leuten, die frisch von der Uni kommen. Wer einen weißen Lebenslauf hat, möchte natürlich eher zu den großen Namen, das ist völlig verständlich. Es ist aber interessant, dass dieselben Leute nach ein paar Jahren nicht mehr das Image und das Gehalt des Arbeitgebers am wichtigsten finden, sondern ganz andere Dinge wie etwa kurze Entscheidungswege oder die Möglichkeit, sich einzubringen. Das sind Vorteile, die speziell Familienunternehmen bieten können. Durch den Karrieretag können sich junge Bewerber den steinigen Weg der Erfahrung eventuell sparen. Aber beide Unternehmensformen sind wichtig und sie ergänzen sich gegenseitig.

Müssen Familienunternehmen jungen Bewerbern deshalb noch bessere Rahmenbedingungen bieten? Viele befinden sich ja nicht gerade in Metropolregionen und sie müssen Bewerber durch Sportangebote, Mobilitätslösungen oder die Vereinbarkeit von Beruf und Familie locken.

Das bieten Familienunternehmen so oder so. Gerade die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist für viele selbstverständlich. Aber sie stellen es noch zu wenig heraus. Ihnen ist oft nicht bewusst, wie sich der Recruiting-Markt in den letzten Jahren verändert hat, zum Beispiel durch das Internet oder Jobbörsen. Auf der Homepage stellen sie oft mehr ihre Produktspezifikationen in den Vordergrund und nicht die Karrieremöglichkeiten. Potenzielle Bewerber klicken aber nach wenigen Sekunden weg. Hier können Familienunternehmen noch viel lernen. Aber auch, wenn es darum geht, die Besonderheiten einer Karriere in dem jeweiligen Unternehmen herauszustellen, etwa durch Testimonials oder Berichte früherer Mitarbeiter.      

Stefan Heidbreder (l.) mit Richard Oetker von der Dr. August Oetker AG und Stefan Klemm, Gründer und Betreiber des Entrepreneur Club
Stefan Heidbreder (l.) mit Richard Oetker von der Dr. August Oetker AG und Stefan Klemm, Gründer und Betreiber des Entrepreneur Club

Was müssen Bewerber mitbringen, um sich in den Kosmos Familienunternehmen einzufügen? 

Das kommt ganz auf die Position an. Bewerber für Fach- und Führungspositionen müssen ein sehr gutes Generalistentum mitbringen, sie müssen also in der Lage sein, unternehmerisch und in Lösungen zu denken. Das setzt eine gewisse Flexibilität und Leistungsbereitschaft voraus. Hinzukommt sicherlich auch, dass man große Loyalität gegenüber dem Inhaber zeigen sollte. Denn allein größenbedingt läuft bei Familienunternehmer alles viel persönlicher, Ownership und Mitarbeiter sind bei weitem nicht so entkoppelt wie bei einem Großkonzern. Darauf muss man sich natürlich auch einlassen.

Fällt das manchen auch schwer?

Das kommt immer auf die Kombination der Personen an, gerade bei Familienunternehmen. Hier ist es umso wichtiger, dass die Chemie stimmt. Deshalb ist es so entscheidend, dass durch Formate wie den Karrieretag Inhaber und Bewerber die Möglichkeit haben, sich vorab kennenzulernen. Das war vorher ja gar nicht möglich. Dadurch kann jeder Unternehmer den für ihn richtigen kennenlernen. Das führt oft zu lustigen Anekdoten.

Welche zum Beispiel?

Der Inhaber denkt oft weiter, für ihn zählen nicht einfach nur die offenen Stellen, die zu besetzen sind. Ich habe selbst einmal erlebt, wie ein Personalleiter einen Ingenieur, der perfekt Hindi sprach, wieder vom Stand gehen ließ. Der Unternehmer schaltete sich jedoch ein und rief, ‚Lassen Sie den ja nicht gehen, den brauchen wir doch in zwei Jahren für unsere neue Niederlassung in Indien!‘. Er wurde dann quasi schon auf Vorrat eingestellt.

Vielen Dank für das Gespräch!

Autorenprofil

Verena Wenzelis war bis Juli 2016 Redakteurin bei der Unternehmeredition.

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