„Die Krise hat dazu geführt, dass man die Dinge auf den Prüfstand stellt“

Interview mit Guy Selbherr, Geschäftsführer der MBG Baden-Württemberg

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Die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg feierte im vergangenen Jahr ihr 50-jähriges Bestehen – Grund genug, sich mit den Höhepunkten zu befassen. Darüber hinaus haben wir den Geschäftsführer Guy Selbherr auch zu aktuellen Trends und Entwicklungen befragt.

Unternehmeredition: Was waren die Highlights der letzten 50 Jahre?

Guy Selbherr: Das ist gar nicht so leicht und pauschal zu beantworten. Spontan würde ich sagen, dass wir jüngst eine großartige Phase für die Unternehmen im Land einläuten konnten. So wurden die in fünfjährigem Turnus stattfindenden Gespräche mit Bund und Land zu Rückbürgschaften und -garantien zu einem guten Abschluss geführt. Das Setting war sicherlich förderlich: In Krise und Rezession ist die Bereitschaft größer, als Stakeholder Bund und Land einen Beitrag zu leisten, weil der Benefit sichtbar wurde, den Bürgschaftsbanken und Beteiligungsgesellschaften hier geleistet haben.

Wir bewegen uns aktuell in Krisenzeiten, da ist es aber immer schwierig von Highlights zu sprechen. Das war und bleibt eine schwierige Phase für unsere Kunden, sich an die Pandemie und ihre Auswirkungen zu gewöhnen. Wir haben bisher keine Insolvenzwelle gehabt. Jetzt stehen wir wieder vor der Frage: Schaffen es die Betriebe, die vielleicht noch ein bisschen angeschlagen sind, mit dieser extremen Energiekostenverteuerung durch diese schwere Zeit? Gerade jetzt zeigt sich, wie wichtig stabilisierende Instrumente wie Bürgschaften und Beteiligungen sind, um Ruhe in die Finanzierung zu bringen, bei den Hausbanken die Blankoanteile zu reduzieren und weitere Mittel in einer Phase bereitzustellen, in der sich andere vielleicht vorzugsweise lieber zurückziehen möchten.

Lässt sich das vielleicht in Zahlen ausdrücken?

Wir hatten ein Coronahilfsprogramm, das zunächst deutlich aufgestockt wurde und nun zum 30. Juni 2022 ausgelaufen ist. In Zahlen zeigt sich das wie folgt: Bis Ende Juni 2022 haben wir über 5.000 Vorhaben mit einem Volumen von circa 1,6 Mio. EUR genehmigt.

Ab 2023 beginnen wir mit 2 Mio. EUR Bürgschaftsbetrag und 1,5 Mio. EUR Beteiligungsgrenze. Das sind deutliche Erhöhungen, denn wir kommen von 1,25 Mio. EUR bei der Bürgschaftsbank und 1 Mio. EUR bei der MBG. Das ist eine gute Nachricht für die Kreditwirtschaft, aber auch für alle kleinen und mittleren Unternehmen im Land.

Wie ist das Verhältnis zwischen offener und stiller Beteiligung? Offene Beteiligungen bilden bei Ihnen eher die Minderheit, richtig?

Wir steigen nicht mit offenen Beteiligungen im Mittelstand ein, das Instrument der Wahl ist hier die typisch stille Beteiligung/Mezzanin. Anders sieht es im Segment Venture aus. 5-6% unserer knapp 800 Engagements, also etwa 40-50 Fälle, sind offene Beteiligungen. Der Bereich entwickelt sich aber, vor ein paar Jahren waren die Zahlen noch deutlich geringer. Aber unser Kerngeschäft bleibt auch aufgrund der Unterstützung durch die garantiegebende Bürgschaftsbank natürlich schon das Mezzanine-Geschäft. Mezzanine funktioniert u.E. von den Unterstützungsmöglichkeiten her fast ähnlich, es wird i.d.R. durch die Ausgestaltung als erweiterte Kapitalposition betrachtet, es ist weitgehend flexibel einsetzbar und das Chancen-Risikoverhältnis ist ausgewogen. Bei spezifischen vertraglichen Vereinbarungen hat man übrigens ein ähnliches Upside-Potenzial.

Steigt bei Ihnen angesichts der aktuellen Krise(n) die Nachfrage nach Krisenfinanzierungen und spüren Sie bereits Auswirkungen im Portfolio?

Also zum Thema Ukraine-Betroffenheit gibt es ja ein spezifisches Unterstützungsprogramm des Bundes bei der KfW und bei den Bürgschaftsbanken das sogenannte UKR-Programm, das negative Auswirkungen aus den Ländern Ukraine, Russland, Belarus abfedern helfen soll. Der Zugang ist relativ eng, man muss vor Ort in einem dieser drei Länder produzieren, die Lieferkettenstörung muss aus der Produktion in diesen Ländern oder durch Vorlieferanten resultieren oder der Umsatz muss weggebrochen sein. Diesbezüglich haben wir bisher nur wenige Vorhaben begleitet, für die betroffenen Unternehmen war die Hilfe natürlich Gold wert. Bei einem, das zu 40% vom russischen Markt abhing, musste das Geschäft vollkommen neu ausgerichtet werden.

Wir gehen davon aus, dass dieses Programm verlängert werden wird, die Frage ist noch zu welchen Bedingungen. Bisher ist das Programm von den Zugangskriterien recht eng und bietet bis auf 2,5 Mio. EUR Obergrenze keinen zusätzlichen Fördervorteil, mal abgesehen davon, dass der EU spezifische Krisenbeihilferahmen genutzt werden kann, der an dem Programm hängt. Beihilferegularien sind ja manchmal auch ein Engpass, der dann eine weitere Förderung ausschließt.

Insgesamt zeigt es uns, dass die unmittelbare Betroffenheit nicht so groß ist. Anders ist es bei den Energiekosten, hier ist die Betroffenheit natürlich gewaltig. Da hoffen wir, dass es nicht nur Zuschüsse im Rahmen des 200-Milliarden-Euro-Pakets gibt, sondern dass hier auch an Liquiditätsüberbrückungen gedacht wird. Die Länder arbeiten teilweise daran, hier Hilfen auf den Weg zu bringen

Das Neugeschäft ist nicht so explodiert, wie man vielleicht denken könnte. Wir gehen davon aus, dass diese Krise dazu geführt hat, dass man Dinge auf den Prüfstand stellt und untersucht, wo sich etwas einsparen lässt. Wir merken das bei Voranfragen, die schon verhandelt und bearbeitet sind, bei denen der Antrag dann nicht kommt, und das Vorhaben zurückgestellt wird, weil man nicht weiß, wie sich die Konjunktur entwickelt und die Energiekosten für die Zukunft nicht absehbar sind.

Insgesamt werden die Entscheidungen schwieriger, Anfragen bei einzelnen Instituten gehen nicht mehr so einfach durch. Die ifo-Kredithürde hat einen extremen Sprung gemacht. Geldgeber schauen nun etwas genauer, Energiekostenquoten werden genauer unter die Lupe genommen. Wir haben noch keine signifikanten Zuwächse in der Risikovorsorge und auch noch keinen spürbaren Anstieg der Insolvenzen, die jetzt unmittelbar aus der Energie- oder Ukrainekrise herrühren. Allerdings stellen wir fest, dass die Anzahl stiller Liquidationen, also Betriebsschließungen beziehungsweise Betriebsaufgaben, zunimmt. Das ist dann zwar keine Insolvenz, weil der Unternehmer noch im rechten Moment die Reißleine zieht, aber es geht dabei natürlich unternehmerische Substanz verloren.

Rechnen Sie mit einer starken Zunahme der Insolvenzen?

Wir rechnen schon damit. Ich glaube, es gab viele Hilfen in der Coronakrise, die auch ankamen und gewirkt haben, und ich glaube, viele würden es auch schaffen, wenn wir jetzt eine Phase der Erholung hätten und das Geld bei den Leuten wieder lockerer säße. Wenn Sie mit dem Gastgewerbe sprechen als Beispiel, dann sind die Themen Konsumverzicht, Kostenanstieg im Bereich Lebensmittel,, Personalmangel und hohe Energiekosten ein gefährlicher Mix, der die Betriebe enorm belastet. Ich glaube also schon, dass es spürbare Auswirkungen geben wird und dies nicht nur bei energieintensiven Industrie- oder Handwerksbetrieben.

Aber die große Insolvenzwelle lässt ja immer noch auf sich warten.

Man darf diese schnellen und richtigen Entscheidungen, die Flexibilität bei kleinen Unternehmen nicht unterschätzen. Wir haben eine Bäckerei gehabt, die schon vor einem Dreivierteljahr auf CO2-Reduzierung, Energierückgewinnung und Demeter-Produktion gesetzt hat. Wer zuvor schon weiter war, profitiert jetzt natürlich davon. Außerdem gibt es ganz konkrete Einsparungen, die auch die Kunden mittragen, also einfach das Sortiment reduzieren. Gebacken werden nicht mehr fünf verschiedene Brötchensorten, sondern es wird nur noch ein Blech reingeschoben. Das klingt so banal, es gibt natürlich noch viele andere Dinge, die jetzt aber in der Summe helfen können über die Zeit zu kommen.

Einige Experten behaupten ja, dass die jetzige Krise die Finanzkrise und die Coronapandemie in den Schatten stellt. Diese Krise wäre wuchtiger als die beiden vorangegangenen zusammen. Auch solle die Herausforderung im nächsten Winter noch größer sein. Die aktuelle Situation könnte also auch in gewisser Hinsicht die Ruhe vor dem Sturm sein. Aber wir sind dennoch gut beraten, zuversichtlich zu bleiben. Wirtschaft und Konjunktur haben ja auch viel mit Psychologie zu tun.

Haben Sie Krisengewinner im Portfolio?

Die Frage ist, ob einer, der rechtzeitig digitalisiert hat, Krisengewinner ist, oder ob er einfach nur Glück gehabt und die richtigen Entscheidungen getroffen hat. Energiehersteller oder Mineralölkonzerne sind natürlich schon Krisengewinner. Wir haben in unserem Portfolio beispielsweise das Unternehmen Envola. Es hat Wärmepumpen mit einem Speicher kombiniert und dadurch den Wirkungsgrad erhöht, sodass Energie günstiger und effizienter produziert werden kann. Das ist ein boomender Markt, der jetzt natürlich durch die Decke geht. Es gibt eine Reihe von Unternehmen, die jetzt auf dem richtigen Weg sind. Ich glaube, alle, die das Thema Effizienz bereits im Fokus hatten, können jetzt die Ernte einfahren.

Wie entwickelt sich das Nachfolgegeschehen?

Der Verband der Deutschen Bürgschaftsbanken arbeitet mit der FOM zusammen, um das Nachfolgegeschehen wissenschaftlich zu begleiten. Jedes Jahr veröffentlichen wir den Nachfolgemonitor. Aufgrund des demografischen Wandels steigt das Alter in den Chefetagen und diese Generation geht nun langsam in den Ruhestand. Sie trifft auf eine relativ kleine Gruppe an potenziellen Nachfolgern. Nachfolge muss nicht immer nur eine Gründung für denjenigen sein, der das Unternehmen übernimmt, sondern es gibt auch Unternehmen, die sich in ihrem Geschäftsfeld erweitern und Fachkräfte sowie Ressourcen einkaufen. Wir haben relativ viel gemacht im Nachfolgebereich. Dieser ist kontinuierlich von Zuwächsen und hohen Unternehmenswerten geprägt gewesen. Man hofft natürlich, dass es jetzt trotz allem genauso weiter geht. Die Energiekosten steigen um das 3-, 4- oder 5-fache. Da überlegt man schon, ob die Nachfolgen, die man in den letzten Jahren schon recht sportlich begleitet hat, jetzt alle durch diese Krise kommen werden. Viele sind schon jetzt höher verschuldet und bräuchten ein paar gute Jahre, um davon wieder runterzukommen. Es bleibt also herausfordernd.

Wie ist Ihre Einschätzung für die noch bevorstehenden Nachfolgen?

Es geht dabei in der Regel um ein Zeitfenster von fünf bis zehn Jahren. Wenn man aus gesundheitlichen Gründen oder altersbedingt verkaufen muss, dann zieht man das auch durch. Selbst in der Coronaphase waren die Nachfolgen stabil bis hin zu leichten Zuwächsen. In den letzten Jahren davor ohnehin. Ich persönlich glaube, dass das relativ smooth weiterläuft. Problematisch wird es für die Käufer, die hohe Preise bezahlt haben und deren Geschäft jetzt schlechter ist, sodass ihnen die Margen wegbrechen. Die Kaufpreise dürften aber tendenziell sinken, weil diese natürlich auch die künftige Ertragskraft abbilden. Mit den gestiegenen Zinsen wird die Bewältigung der Nachfolgen aber sicherlich nicht einfacher.

Herr Selbherr, wir danken Ihnen für das interessante Gespräch!


ZUR PERSON

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Guy Selbherr ist seit 2004 Geschäftsführer der MBG Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg und Vorstand der Bürgschaftsbank Baden-Württemberg.

www.mbg.de

Autorenprofil
Markus Rieger

Markus Rieger ist Gründer und Vorstand der GoingPublic Media AG sowie Geschäftsführer der Tochtergesellschaft China Investment Media GmbH.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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