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„Der industrielle Mittelstand ist längst wieder da“

Als Vorstandsvorsitzender seines Familienunternehmens und IHK-Präsident hat Eric Schweitzer einen guten Blick für Wirtschaft und Politik der Hauptstadtregion. Wir sprachen mit ihm über die Zukunft des Standorts, die Bedeutung von Zalando und was die Unternehmen von der großen Koalition erwarten. 

Unternehmeredition: Herr Schweitzer, Sie sind Familienunternehmer, IHK- und DIHK-Präsident. Wie bewerten Sie mit diesem Background den Standort Berlin?

Schweitzer: Die Berliner Wirtschaft ist auf der Überholspur. Seit 2005 entwickeln wir uns deutlich besser als der Bundesschnitt. Ob bei der Entstehung sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze, bei der Senkung der Arbeitslosigkeit, beim Bruttoinlandsprodukt oder bei der individuellen Leistungsfähigkeit – überall holt die Berliner Wirtschaft auf. Und nebenbei gibt es ganz spannende Trends: Beispielsweise fließt in keine andere deutsche Stadt so viel unternehmerisches Wagniskapital wie nach Berlin. Alle 19 Stunden wird hier ein digitales Start-up gegründet, alle zwölf Minuten ein Unternehmen. Und sogar die industrielle Basis wächst derzeit. Das war über Jahrzehnte die große Schwachstelle Berlins. 2014 wird Berlin voraussichtlich um mehr als 2% wachsen. Ich bin optimistisch, dass es so weitergeht.

Wo sehen Sie Berlin in 20 Jahren? Was werden die wirtschaftlichen Stärken des Standortes sein?

Gelingt es, die wirtschaftlichen Potenziale der Stadt weiter auszuschöpfen, könnte die Wirtschaftsleistung Berlins 2020 den Bundesdurchschnitt erreichen. Bis 2030 würde Berlin dann eine ähnliche ökonomische Position in Deutschland einnehmen wie beispielsweise Rom innerhalb Italiens. Dazu müssen Politik und Gesellschaft in Berlin allerdings wieder lernen, mit ökonomischem Wachstum umzugehen. Dabei gilt es beispielsweise, das im Vergleich zu anderen Metropolen enorme Flächenpotenzial intelligent einzusetzen, um Platz für neue Arbeitsplätze und neue Mitbürger zu schaffen – ohne Nischen für Experimente oder dass kreative Szenen verschüttet werden.Wird es in Berlin jemals wieder einen industriellen Mittelstand geben, wie er bis 1989 in Ost- und West-Berlin vorhanden war?

Den industriellen Mittelstand gibt es in Berlin doch schon längst wieder – und oftmals gerade in den Zukunftsindustrien, unseren Clustern. Ein guter Indikator für die wachsende internationale Wettbewerbsfähigkeit der Berliner Industrie ist übrigens ihre Exportquote, die in den letzten zehn Jahren deutlich zugelegt und inzwischen das Bundesniveau erreicht hat. In Betrieben des verarbeitenden Gewerbes mit 50 und mehr Beschäftigten lag der Anteil der Exporte 2012 bei 54,9% des Umsatzes. Die Durststrecke dürften wir hinter uns gelassen haben. Jetzt laufen auch in Berlin die Maschinen wieder schneller. So schnell, dass viele Unternehmen zusätzliche Investitionen ins Auge fassen.

Wird in Berlin eines Tages mal wieder ein DAX-Konzern mit seiner Zentrale zu finden sein?

Damit rechne ich in den kommenden fünf bis zehn Jahren. So macht beispielsweise der vor sechs Jahren in Berlin gegründete Online-Händler Zalando jetzt schon weit über 1 Mrd. EUR Umsatz im Jahr. Das hätte damals keiner erwartet. In der Unternehmenszentrale hier in Berlin arbeiten 1.500 gut ausgebildete Menschen. In Berlin fallen die strategischen Entscheidungen von Zalando, beispielsweise wo künftig investiert wird. Das ist für die Stadt ein großer Fortschritt – und zeigt, wo unsere Stadt ihre Stärken hat und wo wir uns noch mehr ins Zeug legen müssen: Eine gute Schul-, Aus- und Weiterbildung junger Menschen ist Basis für die wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit Berlins.

Wie stehen Sie zu einer Länderfusion von Berlin und Brandenburg?

Seien wir doch mal ehrlich – eine Länderfusion steht derzeit überhaupt nicht zur Debatte. Und das ist auch nicht notwendig, sofern sich beide Länder in der Sache einig sind: Es geht um Bürokratieabbau! Dort wo es Berührungspunkte gibt, müssen sich die Verwaltungen beider Länder gut abstimmen; vor allem in konkreten Fragen der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik können Vorteile für die hiesigen Unternehmen zum Tragen kommen. Der Trend der wachsenden Wirtschaftsbeziehungen spiegelt deshalb auch nur bedingt die Haltung der Unternehmen zur Länderfusion.Wie kann die Hauptstadtregion im Wettbewerb mit Regionen wie der Rhein-Neckar-Region oder Ostwestfalen – wo alle Akteure an einem Strang ziehen – punkten?

Die Berliner Landespolitik hat in den vergangenen Jahren einige richtige Entscheidungen getroffen. So gibt Berlin direkt und indirekt 1,7 Mrd. EUR jährlich für die Wissenschaft aus. Das ist im Verhältnis zur Wirtschaftskraft mehr als in jedem anderen Bundesland. Außerdem hat Berlin seine Stärken in der Gesundheitswirtschaft, Mobilität und Kreativität erkannt und diese Bereiche zu Clustern definiert. Sie werden nun gezielt gefördert, anstatt wie früher mit der Gießkanne die Fördergelder zu verteilen. Die Tourismuswirtschaft hat sich zu einem wichtigen Standbein der Berliner Wirtschaft entwickelt, Berlin ist weltweit „angesagt“. Auch hier stehen wir im internationalen Wettbewerb mit anderen Städten wie Paris und London. Wir werden weiter hart daran arbeiten müssen, attraktiv für unsere Gäste zu sein. International hat Berlin einen hervorragenden Ruf als weltoffene und tolerante Stadt. Hier leben Menschen aus aller Welt friedlich zusammen. Diese Interkulturalität gibt es in diesem Ausmaß in keiner anderen Stadt in Deutschland und ist für Berlin ein großer Vorteil.

Herr Schweitzer, welche vordringlichen Herausforderungen muss das neue Kabinett anpacken, um die Hauptstadtregion voranzubringen?

Unser Kernproblem in Berlin ist immer noch eine zu geringe Wirtschaftskraft im Verhältnis zur Größe der Stadt. Man muss das Problem bei der Wurzel packen und die wirtschaftliche Substanz der Stadt weiter verbessern. Dieser Prozess findet gerade statt. Die grundsätzliche Einstellung zur Wirtschaft ändert sich, wenn auch nur langsam. Unternehmer werden nicht mehr als etwas Störendes angesehen, sondern positiv wahrgenommen. Das muss sich weiter fortsetzen.

Sie bemängeln die zu geringe Investitionsquote in Deutschland. Wo sollte mehr investiert werden und vor allem: Aus welchen Töpfen soll das Geld kommen?

Vor allem im Verkehr. Unsere Straßen verrotten. Wir haben einen Instandhaltungsstau von 2,5 Mrd. EUR pro Jahr – und da spreche ich nur von der Ausbesserung von Schlaglöchern und anderen Schäden. Im Koalitionsvertrag sind für die gesamte Legislatur 5 Mrd. EUR zusätzlich vorgesehen. Nach unserer Ansicht liegt der Mehrbedarf aber bei 5 Mrd. EUR pro Jahr! Eine funktionierende Infrastruktur ist das Rückgrat der deutschen Warentransporte und somit der gesamten exportorientierten Wirtschaft. Was die Finanzierung angeht: Der Bund nimmt an Steuern und Abgaben im Verkehrsbereich jährlich 54 Mrd. EUR ein, wendet aber lediglich 20 Mrd. EUR für Investitionen in die Verkehrswege auf. Die restlichen gut 30 Mrd. EUR werden anderweitig ausgegeben. Das muss sich ändern.Nach Ihren Aussagen stieg die bundesweite Konjunktur im vergangenen Jahr nur um 0,3%. Sie fordern grundlegende Reformen. Wie sollen die gestaltet sein, wo sollen die Schwerpunkte liegen?

Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir den Wohlstand sichern können, damit wir nicht wieder zum kranken Mann Europas werden. Ich habe den Eindruck, dass es eine Schlagseite hin zu sozialen Wohltaten gibt und zu wenig über Marktwirtschaft gesprochen wird. Wir brauchen eine tragfähige und europarechtskonforme Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG). Sie muss sicherstellen, dass Strom in Deutschland bezahlbar bleibt und zuverlässig fließt. Weiterhin brauchen wir bezüglich des Demografieproblems intelligentere Ansätze als die Rolle rückwärts bei der Rente mit 67. Außerdem brauchen wir eine Exzellenzinitiative nicht nur für Universitäten, sondern auch für Schulen. Das können die Länder aber nicht alleine finanzieren, hier muss der Bund helfen. Eine falsche Reform ist der einheitliche Mindestlohn, denn er wird zahlreiche Arbeitsplätze kosten. 8,50 EUR Mindestlohn sind vor allem für Unternehmen in Ostdeutschland ein Problem, weil dort ein Viertel der Arbeitnehmer darunter liegt. Die Steigerung kann von den Kunden nicht bezahlt werden.

Haben Sie das Gefühl, das die neue Regierung das Thema Energiewende richtig angeht?

Um das klarzustellen: Die Wirtschaft ist für die Energiewende! Denn sie ist eine Riesenchance für Deutschland. Hier geht es um Zukunftstechnologien. Was wir aber dringend ändern müssen, ist das EEG. Die Förderung von Windkraft und Solarenergie war zu Beginn richtig, doch sie ist völlig aus dem Ruder gelaufen. Vor zehn Jahren kostete der von den Stromkunden zu zahlende Aufschlag noch unter 2 Mrd. EUR im Jahr. Derzeit steigt der Umlagebetrag noch einmal um 4 Mrd. auf knapp 24 Mrd. EUR. Für viele Betriebe sind die gestiegenen Energiekosten heute ein größeres Risiko als die Lohnkosten. Drei Viertel der Industrieunternehmen machen sich laut Umfrage große Sorgen über die steigenden Strompreise. Und 25 Prozent erwägen Investitionstätigkeit im Inland einzuschränken. In den USA ist der Strompreis nur halb so hoch. Vor diesem Hintergrund ist es ein falsches Signal, dass die Bundesregierung mit der EEG-Reform gerade diejenigen Unternehmen besonders belastet, die mit einer eigenen Energieversorgung in Klimaschutz und Versorgungssicherheit investieren. Wir rechnen deutschlandweit mit Mehrkosten von rund 500 Mio. EUR, die die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft unmittelbar beeinträchtigen werden.

Herr Schweitzer, vielen Dank für das Gespräch.

redaktion@unternehmeredition.de

 

Zur Person

Dr. Eric Schweitzer ist Vorstandsvorsitzender des Berliner Recycling-Unternehmens Alba Group. Schweitzer wurde in Malaysia geboren, studierte und promovierte in Berlin zu Betriebswirtschaftslehre und stieg im Unternehmen seines Vaters ein. Gemeinsam mit seinem Bruder formte er die heutige Firmengruppe, die zuletzt knapp 2 Mrd. EUR Gesamtumsatz erwirtschaftete. Seit 2004 ist Schweitzer Präsident der Industrie- und Handelskammer Berlin, seit 2013 außerdem Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertages. www.dihk.de 

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