Zwischen Unternehmen, die zur Nachfolge anstehen und deren potenziellen Nachfolgern klafft eine gewaltige Lücke. Immer mehr Unternehmen setzen deshalb auf den Verkauf statt auf die familieninterne Nachfolge. Zugleich steigt die Bedeutung des transformativen Wandels hin zu mehr Nachhaltigkeit und Digitalisierung in der Unternehmensführung, was insbesondere Chancen für die nachfolgenden Generationen schafft. Unternehmeredition sprach mit Beatrice Rodenstock über diese Trends und Herausforderungen in der Unternehmensnachfolge.
Unternehmeredition: Frau Rodenstock, seit unserem letzten Interview vor zwei Jahren hat sich viel im Bereich Unternehmensnachfolge getan. Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die wichtigsten Trends und Entwicklungen?
Beatrice Rodenstock: Es sind zwar schon mehr Frauen in Kontrollgremien und Führungspositionen als noch vor ein paar Jahren. Belief sich der Frauenanteil in den Geschäftsführungen der 100 größten Familienunternehmen 2022 laut der Frühjahrsstudie von Albright noch auf 8,3%, lag dieser 2023 immerhin bei 12,6%. Mehr als die Hälfte, 53%, haben aber laut der Studie noch immer keine einzige Frau in der Geschäftsführung. Es sind also immer noch viel zu wenig Frauen in Führung, aber die Tendenz ist zum Glück steigend.
Gleichzeitig ist das Prinzip der Primogenitur, also das Vorrecht des Erstgeborenen auf die Nachfolge, etwas auf dem Rückzug. Das ist eine ungenutzte Chance. Das heißt, wir müssen weiter daran arbeiten, dass sich die Rahmenbedingungen verändern und mehr Frauen in Führungspositionen kommen, sowohl im Management als auch auf der Inhaberebene.
Insgesamt fehlt es sowohl intern als auch extern an Nachfolgern und Nachfolgerinnen: nach DIHK-Angaben stehen dreimal so viele Unternehmen wie Interessierte zur Übergabe an, 25% erwägen die Schließung.
Gleichzeitig steht die Attraktivität des Unternehmertums generell in Frage, unter anderem auch deshalb, weil weniger Bereitschaft vorhanden ist, Verantwortung zu übernehmen, und die Next Gens mehr Wert auf die Ausgewogenheit zwischen Beruf und Familie beziehungsweise Freizeit legen, um nur einige der mannigfaltigen Gründe zu nennen.
Grundsätzlich lässt sich allerdings sagen, dass das Thema Nachfolge und Generationswechsel hoffähiger geworden ist. So sprechen auch die Unternehmerfamilien mehr darüber, es ist weniger Tabu. Und die Anfragen zur Erarbeitung einer Inhaberstrategie oder Familienverfassung und Governance nehmen weiter zu.
Das aktuelle Nachfolge-Monitoring Mittelstand von KfW Research zeigt, dass bis Ende 2027 insgesamt 626.000 Mittelständler ihre Nachfolge planen. Welche Herausforderungen sehen Sie also in der Umsetzung dieser Nachfolgepläne?
Tatsächlich stehen jährlich immer mehr Unternehmen zur Übergabe an. Noch vor ein paar Jahren waren es im Schnitt 140.000 Unternehmen. Das heißt die erfolgreiche Nachfolgeplanung und -umsetzung wird mehr denn je zum Engpass für den Mittelstand und damit für unsere gesunde Wirtschaftsstruktur.
Neben den regulatorischen und steuerlichen Rahmenbedingungen, die sich ändern müssen, um Übergaben attraktiver und weniger komplex zu machen, muss sich weiterhin der Blick der Inhaberfamilien auf unterschiedliche Übergabeoptionen richten, wie Management-Buy-out, Management-Buy-in oder Fremdgeschäftsführung, und dies rechtzeitig. Auch eine aktive Gesellschafterrolle und eine passende Fremdgeschäftsführung können attraktiv sein. Man muss sich so früh wie möglich Gedanken machen, welche Optionen möglich sind und mit den Beteiligten ins Gespräch gehen.
Die passenden Kompetenzen der Nachfolger sind wichtiger denn je. Können und Wollen, unternehmerisches Herzblut und Passion dafür sind unbedingte Voraussetzungen. Ebenso sind finanzielle und steuerliche Themen langfristig zu planen, damit sie für alle tragbar sind.
Eine passende Übergabe, sowohl auf der Inhaberebene als auch auf der Managementebene braucht ausreichend Zeit, nicht nur für die Einarbeitung, sondern auch für die Überprüfung der Passung. Sowohl bei familieninternen als auch externen braucht es ein bis zwei Jahre, um festzustellen, ob es für alle klappt. Im Vordergrund sollte die rechtzeitige Klärung von Erwartungen und Rahmenbedingungen sowie der Rollen und Verantwortlichkeiten stehen.
30% der Unternehmer sind mittlerweile älter als 60 Jahre, während die Zahl der Gründungsinteressierten sinkt. Welche Auswirkungen hat der demografische Wandel auf die Unternehmensnachfolge und wie kann dem entgegengewirkt werden?
Wir müssen das Unternehmertum wieder attraktiver machen, nicht nur durch weniger Bürokratie und bessere finanzielle Anreize. Das ist auch eine gesellschaftlich Imagefrage. Positive Beispiele und die Wichtigkeit der unternehmerischen Tätigkeit für unsere Gesellschaft sind existentiell. Jeder ist aufgefordert, kein Unternehmer-Bashing zu betreiben, sondern auch Anerkennung dafür zu zeigen.
Familienunternehmen können sich mehr im Gründungsbereich engagieren und Start-ups mit aufbauen, die Ihnen wesentliche innovative Geschäftsfelder für die eigene weitere Geschäftsentwicklung liefern. Gerade hier können familieninterne potenzielle Nachfolger ihre eigenen Erfahrungen machen und unternehmerische Wege gehen, um dann später schneller die Nachfolge anzutreten.
Gleichzeitig muss sich auch die Perspektive für externe potenzielle Nachfolger, vor allem auch international, öffnen. Der Blick darf und muss über die eigenen familiären Grenzen hinausgehen, um diese Lücke schließen zu können.
Welche Vorteile und Herausforderungen sehen Sie bei der Einbindung externer Nachfolger in Familienunternehmen?
Es ist in der Tat eine zunehmende Offenheit für familienfremde Nachfolger zu verzeichnen. Immer mehr Unternehmen, die zur Nachfolge anstehen, werden sogar verkauft. Ungefähr 50% der Nachfolgeregelungen erfolgen über Verkäufe, nur noch 35% finden innerhalb der Familie statt. Diese Entwicklung folgt einer Notwendigkeit, da interne Nachfolger fehlen.
Eine der obersten Devisen für eine erfolgreiche Einbindung lautet Loslassen und Offen sein für Neues und Anderes. Wichtig ist auch, die Option der Nachfolge rechtzeitig mit den potenziellen Kandidaten zu besprechen. Dafür müssen auch klare Anforderungen wie beispielsweise Soft Skills/Führungskompetenzen und Werte, fachliche Kompetenz und Erfahrung festgelegt werden und ein entsprechender Plan für die Einarbeitung und Übergabe vorbereitet werden.
Eine Übereinstimmung der Werte und eine kulturelle Passung sind wesentlich. Um gleichläufige Ziele und eine Identifikation mit dem Unternehmen zu stärken, ist eine, wenn auch gegebenenfalls nur vorübergehende, Managementbeteiligung in Betracht zu ziehen.
Welche Faktoren sind Ihrer Meinung nach entscheidend für eine erfolgreiche Unternehmensnachfolge und wo sehen Sie die größten Stolpersteine?
Da die Nachfolge sehr komplex ist, ist die rechtzeitige Reflexion und Planung sowie die klare Kommunikation mit allen Beteiligten und die Einbindung von Experten ausschlaggebend.
Die Übergabe beinhaltet unterschiedliche Bereiche, die berücksichtigt werden müssen, wie Finanzen, Steuern, Kompetenzen, Familiäre Inhaberstrukturen und Inhaberinteressen, so müssen die Themen rechtzeitig geplant werden. Beispielsweise wenn es eine gesellschaftsrechtliche Umstrukturierung benötigt oder Anteilskäufe finanziert werden müssen, erbschafts- oder schenkungssteuerliche Rücklagen oder auch die Altersvorsorge, sollten diese Themen rechtzeitig angegangen werden, damit sie passend umgesetzt werden können. Auch der Aufbau von Kompetenzen und Erfahrung der Nachfolger muss rechtzeitig angegangen werden.
Dazu braucht es einen passenden Übergabeplan, der mit den Beteiligten rechtzeitig abgestimmt ist. Oftmals erlebe ich, dass Eltern wie selbstverständlich davon ausgehen, dass ihre Kinder die Nachfolge antreten wollen, weil es bei ihnen auch so üblich war. Dies ist aber nicht mehr selbstverständlich. Wenn es dann zur Übergabe kommt, ist die Enttäuschung oft groß, da sich erst dann herausstellt, dass die nächste Generation entweder kein Interesse oder nicht den passenden Weg eingeschlagen hat. Deshalb ist auch die frühzeitige Kommunikation mit den potenziellen Nachfolgern wichtig.
Dies gilt auch für familienexterne Nachfolgen, zum Beispiel im Management. Hier bestehen auch oft Hoffnungen auf Nachfolge, zum Beispiel in Führungspositionen oder in der Geschäftsführung. Ohne dies zu besprechen und zu planen, verlassen Wissensträger und Leistungsträger das Unternehmen, weil sie nicht entsprechend berücksichtigt oder eingeplant wurden.
Entscheidend ist eine rechtzeitige und regelmäßige gegenseitige Klärung von Erwartungen. Für die unterschiedlichen Herausforderungen sollte man sich Experten zur Beratung an die Hand nehmen, da die fachlichen Themen in der Tiefe kaum mehr selbst zu steuern sind. Ein professionelles Ecosystem ist hier das A und O, auch, wenn man sich entschließt das Unternehmen zu veräußern.
Welche Ratschläge haben Sie für Unternehmer, die einen Verkauf planen, um die Nachfolge zu regeln?
Wichtig ist zunächst die Reflexion darüber, ob der Verkauf wirklich die beste Option ist und was dies für die Inhaberfamilie bedeutet. Die Verkäuferfamilie sollte sich frühzeitig Gedanken machen, wie sie sich professionell im Verkaufsprozess aufstellt und an einem Strang ziehen kann. Plötzliche Rückzieher oder überhöhte Forderungen sprengen den Prozess.
Sodann sollte man die entsprechenden Experten, zum Beispiel eine M&A-Beratung, die bei der Vendor`s Due Diligence unterstützt, rechtzeitig mit einbinden. Wesentlich ist ferner ein realistischer Blick auf die Schritte des Verkaufsprozesses und dessen emotionale Schwierigkeiten, aber auch auf den Verkaufspreis. Oftmals verbinden Unternehmer einen höheren Wert des Lebenswerkes, als es realistisch auf dem Markt bewertet wird.
Eine essenzielle Rolle spielt auch die rechtzeitige Beschäftigung mit der Zeit nach dem Verkauf: worüber definiert sich die Unternehmerfamilie? Wie ist Zusammenhalt und Loslassen möglich? Auf der anderen Seite sind die Kultur und die Werte des Käufers und deren Passung mit der Unternehmenskultur auch wesentlich für den künftigen Erfolg des Unternehmens.
Welche Strategien empfehlen Sie, um familiäre Konflikte während des Nachfolgeprozesses zu minimieren?
Es ergeben sich zahlreiche emotionale Herausforderungen, da sich die einzelnen Rollen oft überschneiden. Wenn die Mutter die Verantwortung als Inhaberin oder die Geschäftsführung nicht abgeben kann, möchte man als Tochter die Mutter nicht verletzen, wenn man auf Verantwortungsübergabe pocht. Hierarchische Familienstrukturen stehen im Interessenskonflikt mit der Organisationslogik. Das Loslassen von der Rolle des Unternehmensoberhauptes bedeutet nicht gleichzeitig auch den Rückzug als Familienoberhaupt. Dies zu trennen ist schwierig. Das Unternehmertum ist existenziell, die eigene Identifikation mit und über das Unternehmen steht auf dem Spiel. Das kann tiefe Emotionen freisetzen, die den neutralen Blick auf das Faktische überdecken.
Der Familienfrieden kann besser erhalten und die unterschiedlichen Interessen berücksichtigt werden, wenn man gemeinsam und generationsübergreifend über diese Befindlichkeiten spricht, gegenseitiges Verständnis für die jeweilige Lage erzeugen kann und so gemeinsam Lösungen finden kann, die für alle gangbar sind. Dies kann zum Beispiel in Formeiner Familienverfassung geschehen, in der die wesentlichen unterschiedlichen Erwartungen geklärt werden und in Form von Regeln und Prinzipien für Inhaberschaft, Familieninteressen und Firmenzielsetzungen besprochen und beschlossen werden. So können die unterschiedlichen Bedürfnisse und Interessen im Konsens zusammengeführt und die Vereinbarungen und Ziele generationsübergreifend mitgetragen werden. Die Fragen nach ausschlaggebenden Prinzipien, wie Family first oder Business first sind zu besprechen. Dabei ist die Berücksichtigung der Familie und ihrer Bedürfnisse an sich wichtig und gegebenenfalls auch des Familienmanagements. Ebenso sind Konfliktmechanismen festzulegen: wie gehen wir vor, wenn es Meinungsverschiedenheiten, Pattsituationen oder Konflikte gibt? Hier kann es Stufenmodelle je nach Konflikteskalation geben. Bei Meinungsverschiedenheit wird ein Beirat oder Moderator hinzugezogen, bei schweren Konflikten ebenso ein Moderator oder ein Schiedsgericht.
Wie wichtig sind heute Digitalisierungs- und Innovationskompetenzen für Nachfolger und Nachfolgerinnen? Was können Familienunternehmen tun, um sicherzustellen, dass die nächste Generation diese Fähigkeiten mitbringt?
Die Grundkompetenzen in diesen Bereichen sind sehr wichtig für die Nachfolger und Nachfolgerinnen, die mitentscheiden, da sie die Unternehmensentwicklung maßgeblich beeinflussen und die Fortschrittlichkeit und Qualität zum Wettbewerbsvorteil gehören. Sie sollten State oft the Art sowie visionäre Vorgaben machen und wissen, was sie vom Management aus Inhabersicht erwarten und dieses Wissen auf der operativen Ebene mitbringen oder diese Kompetenzen im Management verankern. Eine Grundkenntnis sollte durch Studium oder praktische Erfahrung bei Leuchtturmunternehmen/Innovationsführern von Nachfolgern gemacht werden. Sie müssen den Fortschritt kennen und leben.
Inwiefern spielt das Thema Nachhaltigkeit bei der Nachfolgeplanung eine Rolle, und wie können Nachfolger diese Werte in ihre Unternehmensführung integrieren?
Nachhaltigkeit spielt eine immer größere Rolle, nicht zuletzt aufgrund der regulatorischen Vorgaben. Nachhaltigkeit könnte in der Tat ein Bereich sein, den die Nachfolger mit aufbauen, beziehungsweise für den sie Verantwortung übernehmen, entweder im Management selbst oder als Inhaber, zumal sie dafür meist besonders brennen. Zu geringe Nachhaltigkeitsausrichtung ist oftmals ein Grund, weshalb sich Nachfolger gegen die Nachfolge entscheiden. Die Zielsetzung dazu erfolgt unter anderem über die Vorgaben zur Nachhaltigkeit in der Inhaberstrategie und der konkreten Ziele in der Unternehmensstrategie. Ein Nachhaltigkeits-Assessment und Konzept sowie Kennzahlen, die erreicht werden sollen als KPIs in der Unternehmensführung sind hilfreich.
Können Sie uns aktuelle Beispiele von erfolgreichen Nachfolgeprozessen nennen? Was können andere Unternehmen aus diesen Erfolgsbeispielen lernen?
Die Otto Gruppe ist ein super Beispiel für Innovation im Geschäftsmodell (online) und Zukäufen von Start-ups (About you) sowie die Übergabe an die dritte Generation. Im Zuge dieses Generationswechsels gibt Herr Otto Senior geplant und rechtzeitig der Geschäftsführung einen Diversitätsschub und beruft 2025 erstmals eine weibliche Vorstandsvorsitzende und zugleich eine weibliche CFO.
Ein weiteres schönes Beispiel ist die Peri Gruppe, einer der weltweit größten Anbieter von Schalungs- und Gerüstlösungen. Die Brüder haben sich die Geschäftsleitung aufgeteilt, und die nächste Generation baut die innovative Fertighaussparte aus.
Oder ein anderes Beispiel, von denen es viele gibt: Möbel Schaumann. Lena Schaumann als dritte Generation hat erst einen Online-Lampenhandel sehr erfolgreich gegründet, bevor sie das elterliche Familienunternehmen übernommen hat. Sie hat sich dort ihre Sporen verdient und mit diesem Bewusstsein und der Erfahrung nicht nur die Familie, sondern auch die Mitarbeiter überzeugt, dass Kompetenz vor Herkunft gilt.
Liebe Frau Rodenstock, wir danken Ihnen für diese überaus spannenden Einblicke!
ZUR PERSON
Beatrice Rodenstock ist geschäftsführende Gesellschafterin der Rodenstock – Gesellschaft für Familienunternehmen mbH und unterstützt Familienunternehmen seit über 20 Jahren beim Generationswechsel. Sie ist Mitglied in der 5. Generation der Unternehmerfamilie Rodenstock und Mitglied in verschiedenen Aufsichtsgremien.
Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.