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Zwischen Wert und Werten

Philosophische Frage: Welches Geschäft ist im Ausland ethisch vertretbar?

Philosophische Frage: Welches Geschäft ist im Ausland ethisch vertretbar?

Die Affäre Khashoggi um einen ermordeten saudischen Regimekritiker zeigt: Das Thema Compliance ist aktuell wie nie. Menschenrechte, Korruption und Arbeitsbedingungen in Drittländern finden heute im Mittelstand mehr Beachtung. Dabei wird klar: Nicht jedes Unternehmen kann alle Faktoren beeinflussen.

Der Mann zögert, bevor er antwortet. Er vertritt einen Mittelständler aus dem Lebensmittelbereich, das muss als Information genügen. Vor Kurzem habe er auf Geschäftsreise nach Saudi-Arabien fliegen sollen, „aber ich habe abgesagt. Auch wegen Khashoggi. Ich will das einfach nicht.“ Und dann ist ja noch die Sache mit dem saudischen Geschäftspartner, der vor einigen Wochen plötzlich verschwand. Von heute auf morgen war er weg. Nachfragen bei den saudischen Behörden ergaben, dass er seine Firma aufgelöst habe, aber in Deutschland glaubt das niemand so recht. „Der Partner hatte schon viel Geld investiert“, betont der Mann. Mehr sagt er nicht, aber sein Blick spricht Bände: Man weiß ja, was mit Leuten passiert, die in Saudi-Arabien verschwinden.

Geschäfte machen ohne Menschenrechte?

Auch der saudische Journalist und Regimekritiker Jamal Khashoggi verschwand plötzlich. Anfang Oktober wollte er in der saudischen Botschaft in der Türkei Papiere abholen. Inzwischen weiß man: Er wurde ermordet. Die Hinweise verdichten sich, dass der Prinz Mohammed bin Salman, der die Staatsgeschäfte in Riad führt, von den Mordplänen zumindest wusste. Seitdem steht Saudi-Arabien am Pranger – und die Frage im Raum, wie weit unternehmerisches Handeln gehen darf: Kann man mit einem Land Geschäfte machen, in dem Menschenrechte oft nichts gelten? Oder anders formuliert: Soll Wirtschaft auch Politik machen? Viele Unternehmer tun sich mit einer klaren Antwort schwer. Natürlich beobachten sie mit Sorge, was in Saudi-Arabien und anderswo auf der Welt passiert. Wie allerdings damit umgehen, das ist die große Frage. Im Mittelstand gibt es dazu viele Haltungen – und noch mehr Schwierigkeiten, eine klare zu finden.

Immer wieder treibt die Politik Unternehmer an, sich mit moralischen Fragen zu beschäftigen. Die politischen Entscheidungen selbst kann man dabei sinnvoll finden oder übertrieben, Stichwort Iran. Der Freedom House-Index, ein Gradmesser für die Freiheit einer Gesellschaft, listet das Land als „unfrei“: In den Gefängnissen sitzen politische Häftlinge, demokratische Teilhabe ist nur eingeschränkt möglich. Trotzdem war der Aufschrei im deutschen Mittelstand groß, als Anfang November die USA neue Sanktionen gegen Teheran ankündigten. Die Exporte in den Iran waren zuletzt stark gestiegen. Trotzdem sahen sich nun viele Unternehmer genötigt, ihr Geschäft dort zurückzufahren – nicht wegen Menschenrechtsverletzungen, sondern um nicht auf einer schwarzen Liste der USA zu landen. Ähnlich war es bei den Sanktionen, welche die Europäische Union anlässlich der Krim-Krise gegen Moskau verhängte. Klar gebe es in Russland Demokratiedefizite, heißt es seitdem regelmäßig von Firmen- und Verbandsvertretern. Aber erstens lösten Sanktionen das Problem nicht. Zweitens verhinderten sie, im Dialog zu bleiben. Und drittens schade man sich selbst. Wobei es zur politischen Logik gehört, Argumente auch umzudrehen. Europa hat mit den Sanktionen ein Zeichen gesetzt, Gesprächsbedarf darüber herrscht auf beiden Seiten, und den Schaden trägt vor allem die russische Wirtschaft.

Die Affäre Khashoggi um einen ermordeten saudischen Regimekritiker zeigt: Das Thema Compliance ist aktuell wie nie. Menschenrechte, Korruption und Arbeitsbedingungen in Drittländern finden heute im Mittelstand mehr Beachtung. Dabei wird klar: Nicht jedes Unternehmen kann alle Faktoren beeinflussen.

Freiheit in der Welt © Freedom House

Zwischen Worten und Tagesgeschäft

Einen Eindruck, was deutsche Firmen im Ausland umtreibt, gibt der Exporttag Bayern im November. Die Messe wird von der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern organisiert. Hier bieten sich Erstkontakte zu neuen Märkten an. Die Außenhandelskammern haben Experten für 70 Länder geschickt, aufgereiht sitzen sie nebeneinander an Tischen. Sie beraten vertraulich, anonym fallen Einblicke leichter. Compliance-Themen spielen mal mehr, mal weniger eine Rolle. Ob er Fälle von Korruption kenne? Ein Vertreter der Außenhandelskammer wirkt nicht überrascht: „Wir raten es niemandem, aber die Versuchung ist manchmal groß.“ Ob es eine Rolle spiele, wenn Brasilien nun einen rechtsradikalen Präsidenten habe, der von der Restaurierung der Militärdiktatur träumt? Eine Unternehmerin schaut irritiert: „Nein. Wieso?“ Der Firmenvertreter, dessen Geschäftspartner verschwunden ist, sagt: „Wenn wir ehrlich sind, dürften wir alle auch mit China oder Russland keine Geschäfte machen.“

Christian Schmid mit dem saudischen Energieminister und zwei saudischen Geschäftspartnern im Oktober in Riad: Das Familienunternehmen ist an einem saudisch-deutschen Joint Venture mit einer Gesamtinvestition von 430 Mio. Euro beteiligt. © SCHMID SABIC

Ob gegen Umweltverschmutzung und Rassismus oder umgekehrt für Menschenrechte und Arbeiterschutz – Anlässe für Compliance-Regeln gibt es genug. Fast jeder größere Betrieb hat Leitsätze für sich formuliert, schöne Worte, von denen oft niemand weiß, wie viel Substanz dahintersteckt. Unternehmer lassen sich bei der Frage nach ihrer praktischen Haltung ungern in die Karten schauen. Das ist verständlich. Ein Imageschaden ist schnell angerichtet.

Christian Schmid ist so gesehen eine Ausnahme. Er steht weiter zu seiner Entscheidung, mit Saudi-Arabien Geschäfte zu machen. Seine Schmid Group aus Freudenstadt bietet System- und Prozesslösungen für die Elektronik-, Batterie- und Solarindustrie an. Trotz der Khashoggi-Affäre reiste Schmid nach Riad zu einem Wirtschaftsgipfel und schloss ein Joint Venture mit einem örtlichen Metall- und Chemieunternehmen ab – ein 450-Mio.-Dollar-Deal. Über die „widerliche Gräueltat“ an Khashoggi sei er genauso schockiert wie seine saudischen Geschäftspartner, sagte Schmid dem Handelsblatt. Eine Verschiebung des Projekts sei allerdings zu kritisch gewesen. Und: „Ich frage mich, mit welchen Ländern noch Geschäfte gemacht werden dürften, von denen ich mit meinen persönlichen Grundwerten überzeugt bin.“ Ähnlich formulierte es auch Siemens-CEO Joe Kaeser vor dem Wirtschaftsgipfel, sagte dann aber doch seine Teilnahme in Riad ab. Bei der nächsten saudischen Konferenz Anfang Dezember war er wieder dabei, Siemens fungierte laut Programm als Platinsponsor. Wenn selbst Großkonzerne auf bestimmte Aufträge nicht verzichten können, wie sollen es dann Mittelständler tun?

Die Affäre Khashoggi um einen ermordeten saudischen Regimekritiker zeigt: Das Thema Compliance ist aktuell wie nie. Menschenrechte, Korruption und Arbeitsbedingungen in Drittländern finden heute im Mittelstand mehr Beachtung. Dabei wird klar: Nicht jedes Unternehmen kann alle Faktoren beeinflussen.

Wo „alternativlos“ noch alternativlos ist

Stefan Simon weiß, was den Mittelstand bei solchen Fragen umtreibt. Er ist Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht. Seine Kanzlei Spitzweg Partnerschaft hat sich früh auf Compliance-Fragen spezialisiert. Simon sagt, Politik und Fälle wie der um Khashoggi würden natürlich im Mandantenkreis diskutiert. „In der unternehmerischen Realität spielen sie allerdings selten eine Rolle.“ Compliance werde für den Mittelstand oft erst aktuell, wenn er gezwungen sei, sich damit auseinanderzusetzen. Die große Frage sei stets: „Wie weit kann ich es mir als Unternehmer leisten, darauf Rücksicht zu nehmen?“ Gefährde er damit das Unternehmen, seinen Erfolg, die Arbeitsplätze und all die anderen Menschen, für die er hierzulande Verantwortung trage? „Viele Unternehmer haben noch keine Idee, wie sie humanitäres Völkerrecht und wirtschaftliche Tätigkeit miteinander in Verbindung bringen können und sollen.“

Der Exporttag Bayern im November: Vorfühlen, was die neuen Entwicklungen bedeuten.” © Maximilian Gerl

Auf dem Exporttag läuft derweil alles nach einem festen Plan. Die Beratungstermine sind im Voraus vereinbart, wie gewohnt herrscht viel Interesse an China und den USA. Aber auch die Experten für den Iran und Saudi-Arabien haben diesmal mehr zu tun. Offenbar wollen viele Firmen vorfühlen, was die neuen Entwicklungen für sie bedeuten. Unternehmer und Berater machen sich während der Gespräche Notizen. Gehen sie in den nächsten Termin, schlagen sie eine neue Seite im Block auf. Vielleicht ist ja das größte Problem an der Sache, dass man alles drehen und wenden kann. Compliance bleibt schwer greifbar. Es wird immer Graubereiche geben. Compliance ist ein soziales Konstrukt – wie alle Werte kann es seine Bedeutung ändern, je nach Zeit, Ort und Kontext. Was in einem Teil der Erde völlig in Ordnung geht, ist in einem anderen verpönt oder sogar verboten. Auch deshalb ist nicht automatisch legitim, was legal ist. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2010 mehrere ihrer Entscheidungen als „alternativlos“ begründete, hagelte es Kritik. Der Begriff wurde sogar zum Unwort des Jahres gewählt, mit der Begründung, er suggeriere, dass keine Notwendigkeit einer Debatte bestehe. Seitdem ist das Wort „alternativlos“ in der Politik verpönt. Doch in Wirtschaft und Finanzindustrie lebt es weiter. Immer noch dient es zur Beschreibung von Entscheidungen, die betriebswirtschaftlich Sinn machen, aber gesellschaftlich geächtet sind. Unpopuläre Entscheidungen dürfen zwar weiter getroffen werden. Dabei darf man es sich allerdings nicht zu leicht machen. Vielmehr muss man sich den Debatten stellen, statt betriebswirtschaftliche Zahlen vorzuschicken. Das alles bedeutet, Position zu beziehen, Glaubwürdigkeit zu erhalten. Auch wenn das wehtut oder anstrengend ist.

Würth und Nomos Glashütte zeigen klare Kante

Tendenziell scheinen Familienunternehmer oder Inhaber leichter zu einer Haltung zu finden. Vielleicht, weil sie nicht so sehr auf Zahlen schauen müssen, vielleicht, weil sie so erzogen wurden, dass ihre Verantwortung nicht am Firmentor endet. Ein Beispiel: Reinhold Würth, Senior-Chef des gleichnamigen Schraubenhändlers aus Künzelsau. Offiziell hat er sich aus dem Geschäft zurückgezogen und steht dem Stiftungsaufsichtsrat vor, der über das Familienerbe wacht. Inoffiziell hat sein Wort weiter Gewicht. Nachdem in den USA Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde, sorgte Würth dafür, dass die Firma dort nicht noch mehr investiert. Auf Nachfragen zeigte er damals klare Kante: „Ich habe gesagt, wir warten ab, ob Präsident Trump in vier Jahren wiedergewählt wird. Würth kehrt zurück, wenn er geht.“ Ein anderes Beispiel hierzulande ist Judith Borowski von der sächsischen Nomos Glashütte, einem Uhrenfabrikanten. Bei der letzten Bundestagswahl hatten 35,5 Prozent der Wähler im Wahlkreis des Unternehmens für die AfD gestimmt. Borowski stellte daraufhin klar, dass sie die Partei für fremdenfeindlich halte. „Wir wollen dieses Klima von Rassismus und Intoleranz nicht in unserem Unternehmen haben“, sagte sie dem Magazin Der Spiegel.

Ethik und Moral

Würth und die Nomos Glashütte sind Ausnahmefälle und werden es wahrscheinlich bleiben. Das Schwierige an gesellschaftlichen Haltungen ist, dass man sie schwer beeinflussen kann, schon gar nicht als einzelner Mittelständler unter vielen. Anders sieht es da bei den eigenen Produktionsbedingungen aus. Hier ist der eigene Einfluss naturgemäß größer, sind die Ansprüche in und gegenüber Unternehmen entsprechend höher. Einige haben die Notwendigkeit universaler Standards früh erkannt – so Claus Hipp, der den gleichnamigen Babynahrungshersteller aus Pfaffenhofen aufbaute. Der Katholik leitete sein Handeln stets aus seinem Glauben ab. In einem Interview sagte er mal, er führe seine Firma nach den Zehn Geboten der Bibel, mehr brauche es im Grunde nicht. Und dass die Wirtschaft kein Spiel sei, „wir haben ja auch noch ein Gewissen und Selbstachtung“. Schon 1999 führte er eine Ethik-Charta in seinem Unternehmen ein.

Die Affäre Khashoggi um einen ermordeten saudischen Regimekritiker zeigt: Das Thema Compliance ist aktuell wie nie. Menschenrechte, Korruption und Arbeitsbedingungen in Drittländern finden heute im Mittelstand mehr Beachtung. Dabei wird klar: Nicht jedes Unternehmen kann alle Faktoren beeinflussen.

Christian Parsow, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater bei Ebner Stolz in Köln, beobachtet häufiger das Gegenteil. „Es muss oft erst etwas passieren“, sagt er, „intrinsisch werden selten Präventivmaßnahmen getroffen.“ In Deutschland habe die Debatte 2006 mit der Siemens-Affäre begonnen, einem der größten Schmiergeldskandale der deutschen Wirtschaftsgeschichte. „Danach sagten viele Unternehmer: In Zukunft schauen wir uns genauer an, mit welchen Partnern wir Geschäfte machen.“ Der nächste Schritt sei 2013 erfolgt: Damals stürzte eine Textilfabrik in Bangladesch ein, mehr als 1.000 Menschen starben, der öffentliche Aufschrei war groß. Anschließend rückten die Arbeitsbedingungen vor Ort in den Fokus der Unternehmen (siehe auch Infokasten weiter unten). In seinem Berufsalltag hat Steuerberater Parsow oft mit solchen Fällen zu tun, das erinnert mitunter an Detektivarbeit. Er ermittelt dann, ob beim Zulieferer unter menschenwürdigen Bedingungen gearbeitet wird oder Schmiergeld fließt. Gerade Korruption sei allerdings oft schwer zu identifizieren, gibt Parsow zu bedenken. „Wo hören Aufmerksamkeiten auf, wo fängt Bestechung an?“ Es gebe viele solche Graubereiche, die es schwierig machen, als Unternehmen die Mitarbeiter richtig anzuweisen. Natürlich kosten Compliance-Maßnahmen auch etwas, doch Mehrausgaben lassen sich auf anderem Wege wieder hereinholen – sei es über Marketing, sei es auf dem Arbeitnehmermarkt, auf dem Fachkräfte zunehmend zum Mangel werden. „Wenn ich merke, die Firma verhält sich integer, bewerbe ich mich dort eher als bei der Konkurrenz“, sagt Parsow. „Compliance ist ein Siegel für ein Unternehmen.“

Update: Die Klage wurde mittlerweile abgewiesen: https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/textildiscounter-klage-gegen-kik-nach-fabrikbrand-in-pakistan-wegen-verjaehrung-abgewiesen/23851010.html?share=twitter&ticket=ST-1477983-KWzjVdzlbGKy4dV0kLUL-ap4

Ein Dreieck, das stabil bleiben muss

Doch dieses Siegel ist kompliziert zu erwerben. Das Spannungsfeld, in dem sich die Unternehmer bewegen, ist eigentlich ein Dreieck, mit den Eckpunkten unternehmerischer Erfolg, Ethik und Gesetzen. Ändern sich an einem der Punkte die Bedingungen, verschiebt sich das Dreieck. Dafür gibt es ein schönes Beispiel. Vor Kurzem hielt Wirtschaftsanwalt Simon eine Schulung für Unternehmer, es ging um sogenannte Konfliktmineralien. Warlords im Kongo finanzieren ihre Kriege unter anderem mit dem Abbau von Zinn, Wolfram, die viele Industrien benötigen. Anders als bei den ähnlich gelagerten Blutdiamanten, für die es ein anerkanntes Zertifizierungssystem gibt, wurde nach der Herkunft solcher Mineralien selten gefragt. Doch eine Gesetzesänderung in den USA zwingt nun alle Firmen dort, die Lieferkette von potenziellen Konfliktmineralien lückenlos nachzuweisen. Das heißt für die deutschen Kollegen: Wer mit den USA weiter Geschäfte machen will, braucht künftig auch einen Nachweis, dass seine Ware sauber ist – so will es die Politik. „Die Unternehmen machen sich darüber vehement Gedanken“, berichtet Simon aus der Schulung. „Kann ich meinen Lieferanten fragen, woher sein Zinn stammt? Und was, wenn der aus dem Kongo kommt?“ Simon rät dann unter anderem dazu, Transparenz zu schaffen, nach innen wie nach außen.

Er ist sich sicher, dass sich für Unternehmer diese Reise am Ende auszahlt – auch weil es keine Möglichkeit gebe, dem Thema auszuweichen. Schließlich verschieben sich die geopolitischen Verhältnisse, Brennpunkte auf der ganzen Welt rücken stärker in die öffentliche Wahrnehmung. Simon formuliert einen Tipp an Unternehmer: „Ihr müsst euch den Themen stellen. Fangt lieber heute an, zu überlegen, wie weit Ihr gehen wollt.“ Sein Kollege Parsow empfiehlt unter anderem, ausländische Zulieferer regelmäßig kontrollieren zu lassen und in allen Verträgen von Anfang an ein Menschenrechts-Audit mit zu verhandeln, um das eigene Risiko zu minimieren. „Wenn jemand betrügen will, können Sie das nie zu 100 Prozent verhindern.“ Wenn also einmal was passiert? Dann gelte es, konsequent und transparent die eigene Linie umzusetzen, den Regeln zu folgen, die man sich selbst einst gegeben hat. „Da darf man nicht abweichen“, sagt Parsow. „Sonst fällt es einem auf die Füße.“

Die Affäre Khashoggi um einen ermordeten saudischen Regimekritiker zeigt: Das Thema Compliance ist aktuell wie nie. Menschenrechte, Korruption und Arbeitsbedingungen in Drittländern finden heute im Mittelstand mehr Beachtung. Dabei wird klar: Nicht jedes Unternehmen kann alle Faktoren beeinflussen.

Start-ups setzen ihre eigenen Standards

Waldemar Zeiler und Philip Siefer vom Start-up Einhorn Products: 50 Prozent des Gewinns gehen in soziale Projekte entlang der Lieferkette © einhorn products GmbH

Ethische Ansprüche können auch Spaß machen. Das beobachtet man vor allem bei Start-ups und jungen Unternehmen. Sie versuchen, sich so Vertrauen auf dem Markt zu erarbeiten, definieren über ihre Standards sogar ihre Marke. Einhorn Products etwa, ein Kondomhersteller aus Berlin, setzt sich offen mit den manchmal schwierigen Produktionsbedingungen in Malaysia auseinander – und reinvestiert 50 Prozent des Gewinns in soziale Projekte entlang der Lieferkette. Auch das Ökostrom-Start-up Polarstern spendet einen Teil des Umsatzes an Kambodscha und Mali, um dort eine nachhaltige Energieversorgung mit Biogasanlagen zu unterstützen. Der Taschenhersteller Fond of Bags aus Köln macht alle Beschwerdefälle auf der Firmenwebsite öffentlich, die ihre Fabrikmitarbeiter in Fernost einreichen. So kann jeder selbst nachlesen, wie Missstände aufgearbeitet werden. Fond of Bags ist sogar mit der gesamten Belegschaft nach Vietnam gereist, um sich persönlich mit den Arbeitern zu treffen. Sowohl Einhorn Products als auch Fond of Bags haben ihre Reisen gefilmt und prominent auf die Website gestellt – klassischer Start-up-Spirit eben.

Fairerweise muss man dazu sagen, dass die jungen Wilden in Compliance-Fragen im wahrsten Sinne des Wortes einen Startvorsprung haben. Es gibt weniger tradierte Verpflichtungen, stattdessen viel Spielraum, Neues auszuprobieren. Und natürlich sind Maßnahmen, die sich auf die eigene Firma beziehen, leichter zu gestalten, als einen geschlossenen Boykott gegen Saudi-Arabien zu organisieren. Der Fokus ist verschieden: In dem einen Fall geht es um Menschenrechte im Kleinen, in der eigenen Produktion. Im anderen geht es um Menschenrechte im Großen, in der gesamten Gesellschaft.

Nichtsdestotrotz braucht die Welt mehr erfolgreiche Vorbilder. Nur so wirkt gutes Handeln ansteckend auf Konsumenten, Wettbewerber und Branchen, im besten Fall auf ganze Volkswirtschaften. Ein Kartell der Sittlichen könnte entstehen. Oder, wer es weniger moralisch mag, ein Kartell, das global denkt und lokal handelt. Es ist eine Utopie, die gerade in der heutigen Zeit vom Alternativlosen abweicht.

 

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