Abschied von der Klangkonsole

Dem früheren Autoradiohersteller Schaidt Innovations gelang es während der Insolvenz, mit einem anderen Geschäftsmodell einen neuen Eigentümer zu finden. Unter dem Namen Webasto Mechatronics werden in Schaidt jetzt unter anderem Ladestationen produziert.

1949 gründete Max Egon Becker im badischen Pforzheim eine Reparaturwerkstatt und entwickelte kurz danach ein Autoradio für Mercedes-Benz. Das war der Startschuss für eine erfolgreiche Expansion. 1970 errichtete Becker in Schaidt in der Südpfalz ein Werk, in dem fortan Autoradios und später ganze Klangkonsolen für die Automobilindustrie produziert wurden. 1995 übernahm der amerikanische Konzern Harman International den Audiospezialisten, der auch Navigationsgeräte herstellte.

Mehr und mehr verlagerte Harman die Produktion in Niedriglohnländer. Im Jahr 2010 entschloss sich der Konzern, aus dem Markt für Navigationssysteme auszusteigen und seine deutschen Standorte zu verkaufen. Drei Jahre später ging das Werk in Schaidt an zwei Münchner Finanzinvestoren, das Unternehmen wurde in Schaidt Innovations umbenannt. Damit begann der Niedergang des Standortes. Mit seinen 530 Beschäftigten konzentrierte sich Schaidt Innovations hauptsächlich auf die Fertigung der Hi-Fi-Komponenten für Porsche. Doch dieser Auftrag lief 2016 aus. Die Finanzinvestoren stiegen auf Druck der Gewerkschaft 2015 aus, das Werk kam unter treuhänderische Verwaltung. Ralf Beuse, der Ende 2014 als Sanierer zu Schaidt kam, lief die Zeit davon. Das Steuer konnte er nicht mehr herumreißen. Im Frühjahr 2016 musste Beuse mithilfe des Restrukturierungsanwalts Wolf von Fecht einen Insolvenzantrag stellen, im Rahmen der Eigenverwaltung sollte das Unternehmen fortgeführt werden. Zum Sachwalter wurde der Rechtsanwalt Biner Bähr von der Kanzlei White & Case LLP bestellt.

Peter E. Rasenberger: Er adaptierte die Business Model Innovation für den europäischen Markt. © Grantiro
Peter E. Rasenberger: Er adaptierte die Business Model Innovation für den europäischen Markt. © Grantiro

Business Model Innovation statt klassische Sanierung

Zu diesen Zeitpunkt kam Peter E. Rasenberger ins Spiel. Sein Beratungsunternehmen Grantiro entwickelte gemeinsam mit der Management-Hochschule im schweizerischen St. Gallen die aus den USA stammende Business Model Innovation (BMI) weiter. BMI sieht im Kern vor, mit der Restrukturierung ein völlig neues Geschäftsmodell zu entwerfen. „Das war bei Schaidt der Fall, denn die zukünftige Generation von Automobilen basiert auf der Basis von Smart Devices“, analysiert Rasenberger. Nach kurzer Bedenkzeit brachte Sachwalter Bähr den Vorschlag von Rasenberger in den Gläubigerausschuss ein. „Das war Neuland, und es war eine gewisse Skepsis vorhanden, ob dieses Modell auch funktioniert“, erinnert sich Bähr an das Pilotprojekt. „Die einfachste Lösung wäre gewesen, den Schlüssel umzudrehen und das Werk zu schließen. Priorität sollte jedoch der Erhalt der Arbeitsplätze haben. Darauf hat vor allem die IG Metall gedrungen.“ Bei allen Beteiligten reifte die Einsicht, dass eine klassische Sanierung nicht mehr zum Ziel führen würde. Durch die vorhandenen Aufträge war noch genügend Masse vorhanden, um das Modell zu wagen.

1
2
Vorheriger Artikel„Wir mögen nach wie vor eigentümergeführte Unternehmen“
Nächster ArtikelInsolvenzfactoring als Finanzierungsmodell