Paradigmenwechsel beim Scheitern

Mit einem neuen Gesetz wurde in Deutschland vor fünf Jahren die Insolvenzordnung reformiert. Wer heute in eine Liquiditätskrise gerät, kann sich frühzeitig selbst sanieren. Bislang eignet sich die vorläufige Insolvenz nur in wenigen Fällen. Betroffene Unternehmer sehen darin indes eine strategische Chance.

Das ESUG schreibt hingegen fest, dass der Geschäftsführung im vorläufigen Verfahren ein Sachwalter zur Seite gestellt wird, der wesentlich geringere Befugnisse hat als ein Insolvenzverwalter (siehe Tabelle auf Seite XY). Beschließt der vorläufige Gläubigerausschuss die Eigenverwaltung für das eröffnete Verfahren, kann der Sachwalter die Entscheidung nicht beeinflussen. Im eröffneten Verfahren behält die Geschäftsführung ihre Kompetenzen, der Sachwalter überwacht lediglich, ob alle Schritte rechtlich einwandfrei sind, und steht als Partner zur Verfügung.

 Mehr Einfluss für die Gläubiger, weniger für den Richter

„Die große Angst eines mittelständischen Unternehmers ist im Falle einer Insolvenz sicher die des Kontrollverlustes“, sagt Rechtsexperte Specovius. Hier hole das ESUG Firmenlenker gut ab. Bei der vorläufigen Eigenverwaltung muss ein Gericht den gewünschten Sachwalter akzeptieren, wenn sich der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig für ihn entscheidet. Im Schutzschirmverfahren kann sich die Geschäftsführung den Sachwalter sogar selbst aussuchen. „Ich denke schon, dass eine gute Zusammenarbeit mit dem Sachwalter ein Insolvenzverfahren beschleunigt“, findet Specovius. Zudem räume das Gesetz den Gläubigern mehr Mitspracherechte ein. Nicht nur, dass sie über die Wahl des Sachwalters mitbestimmen können. Es geht auch kein Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung durch, wenn der vorläufige Gläubigerausschuss ihn nicht einstimmig abgesegnet hat.


„Ob das ESUG aber dazu geführt hat, dass Unternehmen früher Insolvenz anmelden, wage ich zu bezweifeln“

Detlef Specovius, Fachanwalt für Insolvenzrecht Schultze & Braun


„Ob das ESUG aber dazu geführt hat, dass Unternehmen früher Insolvenz anmelden, wage ich zu bezweifeln“, gibt Specovius allerdings zu bedenken. Dagegen sprechen auch die Zahlen der jüngsten Studie der Boston Consulting Group. Von den zwischen März 2012 und Januar 2017 beantragten 1.200 Verfahren in Eigenverwaltung wurden immerhin 432 am Ende in eine Regelinsolvenz überführt. Die hohe Quote von rund 40 Prozent könne davon zeugen, dass Unternehmer einen Antrag auf Insolvenz nicht früher stellen als vor Einführung des ESUG, schlussfolgern die Autoren. Der Paradigmenwechsel, Scheitern nicht als Stigma, sondern als Chance zu sehen – er scheint noch lange nicht vollzogen zu sein.

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