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Viel Wind um Nichts

Während es heutzutage trendy ist, mit der Nutzung ökologisch erzeugter Energie sein Image aufzubessern und sich damit als Klimaverbesserer zu rühmen, beklagen sich Mittelständler und Kammern nicht nur in der Hauptstadtregion über zu hohe Strompreise. Und auch Privatpersonen sind nicht davor gefeit: Pünktlich zu Jahresbeginn erhöhte der regionale nordostdeutsche Energieversorger Vattenfall in Berlin die Preise um 13%. Energiewende hin, Ökostrom her, unter der Decke gärt es gewaltig.

Netzen droht der Blackout

Denn die Netze und Überlandleitungen sind bei weitem noch nicht für die Energiewende gerüstet, um die Energie dorthin zu schicken, wo sie auch wirklich gebraucht wird. Streng genommen müssten das Land Brandenburg und die anderen Nordländer für mehrere Jahre ihren produzierten Anteil an erneuerbaren Energien konstant halten, bis die erforderlichen Netzkapazitäten vorhanden sind. Die Folge: Allein bei der Berliner 50Hertz Transmission GmbH, dem führenden Netzbetreiber in Ostdeutschland, müssen jährlich 120 Gigawatt-Stunden erneuerbarer Windenergie quasi „weggeworfen werden“, wie es ein Sprecher des Unternehmens formuliert.

Windräder werden gebremst – vergütet wird alles

Genauer gesagt: Es wird Geld in den Wind geblasen, denn laut Einspeiseverordnung nach dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) muss grundsätzlich alles vergütet werden, was an Wind- und Solarenergie ins Netz eingespeist wird. Weht der Wind im Nordosten besonders stark, weil hier in der Regel 30% mehr Wind herrscht, sind bei plötzlichen Änderungen in der Einspeisung die vorhandenen Netze extrem belastet, die Leitungen glühen und drohen zu kollabieren – klassisch Blackout genannt – und die Republik sitzt im Dunkeln. Gegensteuern heißt: Die Windräder müssen abgebremst werden. Zum Vergleich: Diese 120 Gigawatt-Stunden bedeuten schätzungsweise den Jahresverbrauch von 30.000 Haushalten. Nach den Worten von Boris Schucht, Geschäftsführer von 50Hertz Transmission, müsse man immer öfter ins Netz und damit in die Fahrweise von Kraftwerken eingreifen, um das Netz stabil zu halten. „Das kostet uns jährlich über 100 Mio. EUR“, so Schucht, „Tendenz steigend.“ Kosten, die den Unternehmen über erhöhte Netzentgelte in Rechnung gestellt werden. Rund 3,5 Mrd. EUR müsste der Netzbetreiber aus der Hauptstadtregion bis 2022 in vorhandene und neue Netze zu investieren, um der Energiewende Herr zu werden, doch die notwendigen Genehmigungen durch den Bund dauern schon heute viel zu lange.

Strukturschwache Uckermark mit viel Energie

Im Osten Deutschlands werden 40% der erneuerbaren Energien für ganz Deutschland produziert, benötigt werden aber in dieser eher strukturschwachen Region nur 20% der Last. Statt in der Uckermark Betriebe anzusiedeln, wurden Windräder hin- und landwirtschaftliche Brachen mit Photovoltaik-Anlagen voll gestellt. Nun muss die Elektrizität dorthin transportiert werden, wo sie dringend gebraucht wird – in den Süden und Westen Deutschlands. Derzeit gibt es Verbindungen in den Westen, das Hauptproblem sind die Nord-Süd-Verbindungen. Bis 2020 werden ca. 50 bis 60 Gigawatt über erneuerbare Energien zusätzlich erzeugt, geplant sind aber Leitungskapazitäten für nur 12 Gigawatt.

Herausforderung für das Energiecluster der Hauptstadtregion

Eine Herausforderung für das kürzlich neu gebildete Cluster Energietechnik Berlin-Brandenburg. Der Sprecher, Prof. Reinhard F. Hüttl: „Das Cluster Energietechnik sieht besonders aussichtsreiche Themenfelder beim Thema Flexible Kraftwerke und Regelenergiekraftwerke sowie sektorenübergreifenden intelligenten Netzinfrastrukturen.“ Dennoch sieht Clustersprecher Hüttl: „Generell wird sich die Tendenz der vergangenen Jahre mit einem Ausbau bei Wind-, Solar- und Bioenergie in der Hauptstadtregion weiter fortsetzen. Unerlässlich erscheint mir deshalb eine tief greifende Überarbeitung des EEG.“

Fazit 
So paradox es klingen mag, aber das Motto im Zuge der Energiewende sollte lieber „erneuerbare Netze statt erneuerbare Energien“ lauten. So löblich die Produktion ökologischer Energie ist, wenn sie dann wie ein verfaulter Blumenkohl in der Grünen Tonne landet, droht eher das Licht unfreiwillig auszugehen.

Torsten Holler
redaktion@unternehmeredition.de

„Jeden zweiten Tag eine kritische Netzsituation“

Interview mit Dr. Bernd Benser, CBO, GridLab GmbH, Cottbus

Unternehmeredition: Herr Benser, was verbirgt sich hinter der GridLab GmbH?

Benser: Die GridLab GmbH betreibt im Kern eine Art Flugsimulator für Stromautobahnen. Hier lernen die Kollegen von den Netzleitwarten, wie man kritische Situationen und Krisen meistert. Wir sind auf dem Weg, das europäische Trainings- und Forschungszentrum für Systemsicherheit der Elektrizitätsnetze zu werden. Hervorgegangen sind wir 2010 aus einem Spin-off der Brandenburgisch Technischen Universität (BTU) Cottbus und den ursprünglich noch zum Vattenfall-Konzern gehörenden Netzbetreiber 50Hertz Transmission GmbH. Unser langfristiges Ziel ist, den Betrieb der Energienetze zu synchronisieren, zu harmonisieren sowie Standards für die Krisenprävention bei möglichen Netzzusammenbrüchen – sogenannten Blackouts – mit zu entwickeln und zu zertifizieren.

Unternehmeredition: Sind die großen Energiekonzerne nicht gut genug auf mögliche Blackouts vorbereitet?

Benser: Prinzipiell ja. Doch wenn man sich die Karte der Grundversorger für den Strom, also der regionalen Energieversorger und kleinen Stadtwerke anschaut und eine Karte des Heiligen Römisches Reiches zu Zeiten des dreißigjährigen Krieges daneben legt, sind gewisse Parallelen erkennbar. Diese Kleinstaaterei lässt also auch in der deutschen Elektrizitätswirtschaft grüßen. Jeder Stromversorger hat seine eigene Philosophie, sein eigenes Informations- und Datensystem und eigene Maßnahmen und Vorschriften bei Stresssituationen und Störfällen. Da kann es ganz schnell zu Missverständnissen kommen, insbesondere wenn die sogenannte Schaltkommandosprache unterschiedlich ist. Teilweise verfügt man sogar über unterschiedliche Termini für ein und dasselbe. So etwas kann Menschenleben kosten.

Unternehmeredition: Dramatisieren Sie die Lage nicht zu stark?

Benser: Wir müssen uns auch mit den nötigen Konsequenzen befassen, wenn wir sie verhindern wollen. Wir haben in Deutschland schätzungsweise 60.000 bis 80.000 Dialysepatienten und noch einmal so viele mit Herzinsuffizienzen, welche geräte- und damit stromabhängig sind. Man schätzt, dass 80 bis 90% aller Krankenhäuser so ausgerüstet sind, dass sie keine Notstromversorgung von mehr als 24 Stunden haben. Experten gehen davon aus, dass ein europaweiter Blackout nicht unter sechs Tagen dauert. Daran lässt sich erahnen, welche möglichen Folgen ein Blackout nach sich ziehen kann. Dazu kommt, dass sich die Zahl der Eingriffe, um das System zu stabilisieren, vervielfacht hat. Mittlerweile haben wir fast jeden zweiten Tag eine kritische Netzsituation.

Unternehmeredition: Herr Dr. Benser, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Torsten Holler.
redaktion@unternehmeredition.de

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