Viel Wind um Nichts

„Jeden zweiten Tag eine kritische Netzsituation“

Interview mit Dr. Bernd Benser, CBO, GridLab GmbH, Cottbus

Unternehmeredition: Herr Benser, was verbirgt sich hinter der GridLab GmbH?

Benser: Die GridLab GmbH betreibt im Kern eine Art Flugsimulator für Stromautobahnen. Hier lernen die Kollegen von den Netzleitwarten, wie man kritische Situationen und Krisen meistert. Wir sind auf dem Weg, das europäische Trainings- und Forschungszentrum für Systemsicherheit der Elektrizitätsnetze zu werden. Hervorgegangen sind wir 2010 aus einem Spin-off der Brandenburgisch Technischen Universität (BTU) Cottbus und den ursprünglich noch zum Vattenfall-Konzern gehörenden Netzbetreiber 50Hertz Transmission GmbH. Unser langfristiges Ziel ist, den Betrieb der Energienetze zu synchronisieren, zu harmonisieren sowie Standards für die Krisenprävention bei möglichen Netzzusammenbrüchen – sogenannten Blackouts – mit zu entwickeln und zu zertifizieren.

Unternehmeredition: Sind die großen Energiekonzerne nicht gut genug auf mögliche Blackouts vorbereitet?

Benser: Prinzipiell ja. Doch wenn man sich die Karte der Grundversorger für den Strom, also der regionalen Energieversorger und kleinen Stadtwerke anschaut und eine Karte des Heiligen Römisches Reiches zu Zeiten des dreißigjährigen Krieges daneben legt, sind gewisse Parallelen erkennbar. Diese Kleinstaaterei lässt also auch in der deutschen Elektrizitätswirtschaft grüßen. Jeder Stromversorger hat seine eigene Philosophie, sein eigenes Informations- und Datensystem und eigene Maßnahmen und Vorschriften bei Stresssituationen und Störfällen. Da kann es ganz schnell zu Missverständnissen kommen, insbesondere wenn die sogenannte Schaltkommandosprache unterschiedlich ist. Teilweise verfügt man sogar über unterschiedliche Termini für ein und dasselbe. So etwas kann Menschenleben kosten.

Unternehmeredition: Dramatisieren Sie die Lage nicht zu stark?

Benser: Wir müssen uns auch mit den nötigen Konsequenzen befassen, wenn wir sie verhindern wollen. Wir haben in Deutschland schätzungsweise 60.000 bis 80.000 Dialysepatienten und noch einmal so viele mit Herzinsuffizienzen, welche geräte- und damit stromabhängig sind. Man schätzt, dass 80 bis 90% aller Krankenhäuser so ausgerüstet sind, dass sie keine Notstromversorgung von mehr als 24 Stunden haben. Experten gehen davon aus, dass ein europaweiter Blackout nicht unter sechs Tagen dauert. Daran lässt sich erahnen, welche möglichen Folgen ein Blackout nach sich ziehen kann. Dazu kommt, dass sich die Zahl der Eingriffe, um das System zu stabilisieren, vervielfacht hat. Mittlerweile haben wir fast jeden zweiten Tag eine kritische Netzsituation.

Unternehmeredition: Herr Dr. Benser, vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Torsten Holler.
redaktion@unternehmeredition.de

Autorenprofil

Torsten Holler ist Gastautor.

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