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Uni-Absolvent saniert Familienunternehmen

Junger Russe rettet schwäbischen Traditionsbetrieb: Der Fall Starmix zeigt, dass auch Ungewöhnliches funktionieren kann. Die Unternehmensziele werden nun höher gesteckt.

Da waren diese viralen Marketing-Videos auf Youtube. Eine US-Firma setzt darin ihren Mixer unmöglichen Härtetests aus – mal werden Steine geschreddert, mal Handys. Roman Gorovoy beschloss: So etwas müssten sie in Reichenbach auch versuchen, nur eben mit Staubsaugern für Handwerker. Das Ergebnis steht ebenfalls auf der Videoplattform YouTube. Einmal sieht die Versuchsanordnung vor, mit dem Sauger Wasserkübel zu leeren, was in einer Sauerei endet. Ein andermal fährt ein Pkw durchs Bild, im offenen Kofferraum sitzt ein Mitarbeiter und hält den Schlauch fest. Hinter ihm rast der Allessauger auf kleinen Rollen über den Hof. Erst eine Pfütze bringt ihn ins Schleudern. Gorovoy sagt: „Wir hatten sehr viel Spaß.“

Als Gorovoy vor zwölf Jahren Chef des Traditionsbetriebs Electrostar wird, befindet sich der in einer prekären Lage. Der Hersteller von Lufthändetrocknern und Industriesaugern erzielt bei 20 Mio. Euro Umsatz einen siebenstelligen Verlust. Der Neue muss einiges ändern, um die Insolvenz abzuwenden. Das Problem: Das haben schon andere versucht. Und Gorovoy ist erst 24 Jahre alt. Der Russe kommt frisch von der Uni, von der Branche hat er keine Ahnung. Dafür weiß er, wie man einen konservativen Mittelständler im Web als hippes Spaßunternehmen präsentiert.

Nach dem schweren Einstieg kommt der erste Höhenflug

Montage eines Industriesaugers: Geschäftsführer Gorovoy fokussierte die Marke auf das B2B-Segment.

2003 sucht Gorovoys Vater, Chef der russischen Algo-Gruppe, ein Investment und findet Electrostar.
In Etappen übernimmt er die Firma. Der Gründer Robert Schöttle Senior hatte 1921 den Warmlufthändetrockner erfunden, heute bekannt aus öffentlichen Toiletten. In den 50er-Jahren brachte seine Firma Küchenmaschinen auf den Markt. Die Marke Starmix wurde zum Verkaufsschlager, bald trugen alle Produktlinien den Namen. Zu Hochzeiten arbeiteten 600 Menschen in Reichenbach. Im Laufe der 90er-Jahre fielen Stammkunden weg.

Als Gorovoy von seinem Vater nach Baden-Württemberg geschickt wird, findet er verängstigte Mitarbeiter vor. Diese hatten bereits eine Sanierung hinter sich. Als Erstes arbeitet er mit ihnen eine weitere Verzichtserklärung aus: kein Urlaubsgeld und Weih-nachtsgeld, dafür Mehrarbeit ohne Entgelt. Ein einfacher Einstieg für einen neuen Ge-schäftsführer sieht anders aus.

Doch Gorovoy weiß die Alteigentümer hinter sich. Robert Schöttle Junior sitzt bis heute im Beirat. Gorovoy schätzt auch heute an ihm, das Unternehmen übergeben zu haben: „Letztlich hat er beschlossen, sich selbst zu entlassen, weil er dem Unternehmen keine nachhaltigen Wachstumsimpulse mehr geben konnte. Das anzuerkennen bedarf großer persönlicher Stärke.“

Junger Russe rettet schwäbischen Traditionsbetrieb: Der Fall Starmix zeigt, dass auch Ungewöhnliches funktionieren kann. Die Unternehmensziele werden nun höher gesteckt.

Gorovoy tourt sechs Monate durch die Firma, um alles kennenzulernen. Dann führt er eine Kostenkontrolle ein, streicht Posten wie das Messebudget zusammen. Der Bereich Haushaltsgeräte, der nur 2 Mio. Euro bringt, wird aufgegeben. Bis 2008 steigt der Umsatz auf 26 Mio. Euro, der Gewinn auf rund 700.000 Euro. „Ich war extrem zufrieden“, sagt Gorovoy. Einen „Höhenflug“ habe er erlebt und gedacht: „Jetzt habe ich geschafft, was so viele Berater nicht geschafft haben.“

Doch 2009 geht es schon wieder abwärts, der Markt bricht ein, der Umsatz sinkt. Offenbar muss die Restrukturierung tiefer gehen. Gorovoy investiert ins Marketing, fördert die Entwicklung neuer Produkte und saniert das Werk energetisch. Der erneute Erfolg bleibt erst mal aus. Sechs Monate lang versucht eine Task Force vergeblich, Fachhändler als Partner zu gewinnen. Auch das klappt nicht: Starmix bietet gegenüber der Konkurrenz zu wenig USPs.

Start-up-Mentalität trifft Tradition

Nebenbei investiert Gorovoy in Start-ups. Deren Mentalität beeindruckt ihn – schnell Dinge ausprobieren, Schlüsse ziehen, es noch einmal versuchen. 2012 beschließt er, das Konzept auf Starmix zu übertragen. Statt an Wettbewerbern soll sich die Marke künftig an sich selbst orientieren. Kunden werden in den Entwicklungsprozess neuer Geräte eingebunden, in Jahreszyklen kommen verbesserte Produkte auf den Markt. Die Ansprache im Marketing wird emotionaler und zielgruppenorientiert: Der Katalog für Handwerker etwa duzt seinen Leser, ein Herr mit aufgemaltem Stern im Gesicht führt durch die Seiten. Testimonials bezeugen die Qualität der Sauggeräte. Aus der Zeit stammt auch die Idee mit den Videos, über die Gorovoy heute sagt: „Das war nicht immer seriös, was wir gemacht haben.“ Andere Wettbewerber könnten sich das nicht erlauben. Aber es funktioniert. Bald kommen sogar Anfragen aus Fernost. Fachhändler nehmen Starmix in ihr Angebot auf. Bis 2017 steigt der Umsatz auf 34 Mio. Euro, nach teils zweistelligen Wachstumsraten.

Es scheint, als habe der heute 36-Jährige noch etwas vor. Die Rendite sei mit drei bis vier Prozent derzeit zu niedrig. Bis zum Firmenjubiläum 2021 solle sie bei zehn Prozent und der Umsatz bei 50 Mio. Euro liegen. Strukturen und Prozesse müssten digitaler und effizienter werden. Auch deshalb will er mit Electrostar bald ins nahe Ebersbach umziehen. Sein Chefzimmer wird Gorovoy aufgeben und mit allen Kollegen in einem Großraumbüro arbeiten.

Junger Russe rettet schwäbischen Traditionsbetrieb: Der Fall Starmix zeigt, dass auch Ungewöhnliches funktionieren kann. Die Unternehmensziele werden nun höher gesteckt.

„Ich hatte die Rolle eines Moderators“

Interview mit Roman Gorovoy, Geschäftsführer der Electrostar GmbH

©Philine von Sell, Circle of Values

Unternehmeredition: Sie waren erst 24 Jahre alt, als sie den Chefposten übernahmen. Welchen Tipp würden Sie Menschen in Ihrer Situation geben?

Gorovoy: Niemals mit voreingenommener Meinung in ein Gespräch gehen. Ich habe BWL studiert, aber Theorie ist das eine, Praxis das andere. Als ich hier anfing, habe ich erst ein-mal sechs Monate lang alle Abteilungen besucht, um Ideen zu sammeln. Jeder Mitarbeiter hat Ideen, was man im Unternehmen verbessern könnte, darum findet man auch fast alle Antworten bei den Mitarbeitern. Man muss ihnen zuhören, immer wieder fragen: Was würdest du denn machen? Mein Einfluss auf die Ergebnisse dieser ersten Ideenfindung war am Ende sehr gering. Ich hatte eher die Rolle eines Moderators. Wir haben das gemeinsam geschafft. Natürlich sagt sich so etwas hinterher leicht, auch ich habe damals Fehler gemacht.

Das klingt selbstkritisch. Lassen sich Mitarbeiter von einem 24-jährigen Jungspund über-haupt etwas sagen?

Natürlich herrscht bei uns keine Demokratie, am Ende entscheiden wir Führungskräfte. Aber stellen Sie sich vor: Sie sind seit drei Wochen im Unternehmen und erklären dann einem Mitarbeiter mit 30 Jahren Berufserfahrung, was er alles falsch macht. Da fühlt er sich doch gekränkt, das ist eine ganz menschliche Reaktion. Die Folge ist, dass er nur noch Dienst nach Vorschrift leistet. Es gibt bessere Wege, Kritik konstruktiv in die Unterneh-menskultur einzubringen. Man muss auf die Menschen zugehen, Verständnis für ihre aktuelle Arbeitsweise zeigen und gleichzeitig sie aus der Reserve locken. Das unterscheidet auch Top-Manager von mittelmäßigen Managern. Leider haben viele Manager hier Nachholbedarf.

Sie haben die Marke Starmix komplett umgekrempelt. Welche Herausforderungen warten noch auf Sie?

Meine größte Sorge ist: Wie kriege ich das alles gestemmt? Den Umzug an einen neuen Standort, die Entwicklung neuer Produkte, die Projekte zur Digitalisierung der Firma. Wir müssen den Online-Vertrieb ausbauen, dürfen aber gleichzeitig nicht unsere stationären Fachhändler aus den Augen verlieren. Die Welt wird immer schnelllebiger. Wenn wir nicht aufpassen, überholt uns der Markt. Außerdem hatten wir nun sechs Jahre in Folge ein Wirtschaftswachstum. Mein Bauchgefühl sagt mir, dass diese lange Phase ab 2019 vorbei sein könnte.


Kurzprofil ELECTROSTAR GmbH

Gründungsjahr 1921
Branche Sanitär, Handwerk, Industrie
Unternehmenssitz Reichenbach an der Fils
Umsatz 2017
34 Mio. Euro
Mitarbeiterzahl ca. 140

www.starmix.de

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