„Transformation beginnt im Kopf – und braucht Struktur“

Interview mit Christiane Räbiger, Geschäftsführerin von twinnovativ, und Robert Leonhardt, Mitglied der Geschäftsleitung bei Helbling Business Advisors

Die Unternehmeredition beleuchtet im Interview Erfolgsfaktoren, Stolpersteine und Best Practices in der ganzheitlichen Unternehmenssteuerung.
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Globalisierung, Digitalisierung, volatile Märkte – viele Unternehmen stecken mitten im Umbruch. Doch während Investitionen in neue Technologien längst auf der Tagesordnung stehen, bleiben grundlegende Fragen zur Unternehmenssteuerung oft unbeantwortet: Wie bringe ich Organisation, Prozesse und Führung in Einklang? Wie überzeuge ich Menschen und wie finanziere ich das alles? Die Unternehmeredition im Gespräch mit zwei erfahrenen Unternehmensberatern über Erfolgsfaktoren, Stolpersteine und Best Practices in der ganzheitlichen Unternehmenssteuerung.

Unternehmeredition: Frau Räbiger, Herr Leonhardt, beginnen wir mit einer grundlegenden Frage: Was bedeutet für Sie „intelligente Unternehmenssteuerung“?

Robert Leonhardt: Für mich ist das Bild eines großen Dampfers hilfreich: Ein Unternehmen ist wie ein Schiff, das in eine klare Richtung fährt. Alle an Bord – vom Maschinenraum bis zur Kapitänsbrücke – wissen, was zu tun ist. Die Vision, die Strategie, die Abläufe und die Kultur müssen miteinander synchronisiert sein. Jeder dreht an den richtigen Stellschrauben zur richtigen Zeit. Erst dann sprechen wir von intelligenter Steuerung.

Christiane Räbiger: Ich würde den Begriff Effektivität in den Vordergrund stellen. Jedes Glied der Organisation, jede Rolle braucht die richtigen Tools und Methoden, um wirksam zu steuern. Das können Reports, Dashboards oder Zielsysteme sein – aber entscheidend ist, dass alles auf ein gemeinsames Ziel einzahlt. Nur dann kann Führung auf allen Ebenen funktionieren.

Klingt utopisch – alle ziehen an einem Strang?

Räbiger: Das ist machbar, wenn das Topmanagement wirklich als Führungsteam auftritt und Verantwortung systematisch delegiert. Eine starke Unternehmenskultur ist entscheidend. Wenn jeder weiß, wofür er verantwortlich ist, und auch eigenverantwortlich handelt, entsteht dieses gemeinsame Vorwärts. Es ist harte Arbeit – keine Frage.

Leonhardt: Und ganz wichtig: Die Prozesse, Systeme und Kennzahlen müssen abgestimmt sein. Es bringt nichts, wenn jede Abteilung eigene Dashboards mit 30 KPIs hat. Drei gemeinsame Ziele, drei gut definierte KPIs, die durch alle Ebenen wirken – das ist unser Credo.

Wenn Sie in Unternehmen kommen – wie ist der Zustand, den Sie antreffen?

Räbiger: Sehr heterogen. Aber es gibt Muster. Die End-to-End-Prozesse sind meist lückenhaft, der Wertefluss entlang dieser Ketten ist kaum vorhanden oder gar nicht bekannt. Die Datenqualität ist oft erschreckend schlecht – Excel dominiert, obwohl wir im Jahr 2025 leben. Und viele Unternehmen haben zehn bis 15 Jahre versäumt, sich organisatorisch und digital weiterzuentwickeln.

Leonhardt: Manchmal hat man ein Topprodukt, aber eine brüchige Lieferkette. Oder einen exzellenten Vertrieb, der nicht mit Einkauf und Produktion verzahnt ist. Silos sind ein Riesenproblem – in Prozessen wie auch im Denken. Unsere Aufgabe ist dann herauszufinden: Wo fehlen die Puzzlestücke? Was sind die relevanten Stellschrauben?

Wie analysieren Sie diese komplexen Strukturen trotz mangelhafter Datenlage?

Räbiger: Oft reicht es schon, gezielte Fragen zu stellen: Mit welchen Reports arbeiten Sie? Vertrauen Sie Ihren Daten? Wissen Sie, wie hoch Ihre tatsächlichen Produktmargen sind? Viele können das nicht beantworten. Dann ist klar: Es gibt keine valide Steuerungsgrundlage.

Leonhardt: Wir führen Interviews, entwickeln Hypothesen und analysieren entlang unserer sechs Kern-Dimensionen: Strategie, Prozesse, Organisation, IT-Systeme, Kennzahlen und Kultur. Innerhalb von zwei bis drei Wochen ist meist klar, wo Handlungsbedarf besteht.

Was sind die Erfolgsfaktoren für gelungene Transformationen?

Leonhardt: Das Wichtigste ist das Commitment der obersten Führungsebene. Ohne CEO und CFO, die mitziehen, funktioniert es nicht. Transformation ist ein Top-down-Prozess. Wir entwickeln mit dem Führungsteam ein gemeinsames Zielbild – das ist das Rückgrat jeder Veränderung.

Räbiger: Und es ist ein Personalthema. Widerstände kommen meist von Menschen – oft aus Angst vor Kontrollverlust. Manche verteidigen ihre Komfortzone. Wir sagen: Transformation bedeutet auch, Machtstrukturen aufzubrechen. Das muss man aushalten – aber am Ende profitieren alle, weil Prozesse schlanker und Rollen klarer werden. Deshalb sagen wir auch ganz bewusst: Transformation beginnt im Kopf – und braucht Struktur. Ohne inneres Commitment und ohne eine klare, belastbare Organisationsarchitektur bleibt der Wandel oberflächlich.

Wie gelingt es Ihnen, diese Widerstände zu überwinden?

Räbiger: Wir sehen Widerstände nicht als Störung, sondern als wertvolle Information – meist Ausdruck von Unsicherheit oder Angst vor Veränderung. Entscheidend ist, zuzuhören, Betroffene einzubeziehen und gezielt zu befähigen. Wenn wir einflussreiche Skeptiker überzeugen, dreht sich oft die Stimmung.

Leonhardt: Klarheit ist dabei zentral. Unklare Ziele erzeugen Unsicherheit und Widerstand. Deshalb setzen wir auf offene Kommunikation, nachvollziehbare Ziele – und dort, wo Blockaden destruktiv werden, auch auf konsequentes Führungsverhalten.

Können Sie ein konkretes Erfolgsbeispiel nennen?

Leonhardt: Wir hatten ein Unternehmen mit 3.000 Kennzahlen. 80% wurden nicht genutzt. Der Monatsabschluss dauerte sechs Wochen. Lieferantenpreise konnten nicht rechtzeitig an Kunden weitergegeben werden – ein Fiasko. Wir haben die KPIs auf 400 reduziert, strukturiert auf sieben Hierarchieebenen. So entstand ein Steuerungssystem, bei dem der Mitarbeiter an der Maschine wusste, wie seine Arbeit das EBIT beeinflusst.

Räbiger: Die Planung wurde strategisch neu aufgesetzt, Prozesse wurden End-to-End gedacht, die Organisation in eine Matrixstruktur überführt. Allein durch die schnelleren Abschlüsse – Ziel ist: unter sieben Tagen – konnten Ressourcen effizienter genutzt werden. Und ja: Digitalisierung war ein Baustein, aber nicht der erste.

Was sind aus Ihrer Sicht die wichtigsten Hebel?

Leonhardt: Zuerst die Prozesse: Diese gilt es End-to-End zu denken, zu harmonisieren und zu standardisieren. Dann die Organisation: Rollen, Verantwortlichkeiten, Aufbau- und Ablauforganisation müssen zusammenpassen. IT-Systeme kommen danach. Digitalisierung ist kein Allheilmittel – sie verstärkt nur, was vorher gut oder schlecht war.

Räbiger: Und dann kommt das Thema Führung. Führung bedeutet: Verantwortung übertragen, klare Zielsysteme definieren, kontinuierlich reflektieren. Transformation ohne Führungswandel funktioniert nicht. Wir sagen immer: Erst optimieren, dann digitalisieren – nicht umgekehrt.

Welche Rolle spielt agiles Projektmanagement?

Räbiger: Eine wichtige. Aber wir favorisieren hybride Modelle. Die Gesamtsteuerung muss strategisch bleiben – sonst verliert man den Kurs. In der Umsetzung aber braucht es Agilität, Kreativität, Fehlerkultur. New Work ist kein Trend, sondern ein Werkzeug für Transformation. Aber es muss zur Organisation passen – kein One-size-fits-all.

Was können Unternehmen durch so eine Transformation konkret gewinnen?

Leonhardt: 3-5% Produktivitätssteigerung pro Jahr sind realistisch. Schnellere Abschlüsse, bessere Margenkenntnis, klarere Prozesse, reduzierte Durchlaufzeiten – das sind Ergebnisse, an denen wir uns messen lassen.

Räbiger: Und ein riesiges Potenzial liegt auch in der Personalentwicklung. Transformation bringt viele Chancen für HR – neue Rollen, neue Kompetenzen, neue Karrierepfade. Das motiviert und bindet Mitarbeitende langfristig.

Wie gehen Unternehmen mit der Finanzierung solcher Prozesse um – und was raten Sie ihnen?

Räbiger: Finanzierung ist heute kein unüberwindbares Hindernis mehr. Es gibt Modelle, mit denen sich Projekte leasen lassen – also IT-Infrastruktur, Beratungsleistungen oder Software-Einführungen. Auch Banken gehen diesen Weg mit, wenn das Ziel klar ist und der Business Case sauber gerechnet wurde. Entscheidend ist: Ein durchdachter Masterplan mit klaren Meilensteinen, erwarteten Einsparungen und konkreten Nutzenargumenten – dann ist auch die Kapitalbeschaffung realistisch.

Leonhardt: Und ein Tipp aus der Praxis: Viele Effizienzpotenziale liegen schon vor der Digitalisierung. Wenn ich durch bessere Prozesse oder optimierte Strukturen schon erste Einsparungen hebe, kann ich damit die nächsten Schritte finanzieren. Transformation muss nicht sofort in Millionenhöhe starten – sie kann intelligent gestaffelt und modular geplant werden. Und gute Vorbereitung spart am Ende auch viel Geld.

Was bringt Transformationsprozesse typischerweise ins Straucheln?

Räbiger: Fehlendes Commitment von oben und zu knappe Ressourcen. Wenn Transformation „nebenbei“ laufen soll, scheitert sie meist.

Leonhardt: Viele klammern sich an veraltete Strukturen – und digitalisieren ineffiziente Prozesse. Das bringt nichts. Ohne echte Prozess- und Kulturveränderung bleibt Digitalisierung Kosmetik.

Räbiger: Und oft fehlt der funktionale Change: Wer nicht versteht, was sich konkret ändert, wird nicht mitziehen.

Warum sind Silos so problematisch?

Räbiger: Sie verhindern Fluss und Verantwortungsübernahme – in Prozessen und im Denken. Wenn Abteilungen nur auf eigene Ziele schauen, entsteht Reibung. Besonders gefährlich wird es, wenn auch die Führung im Silo denkt.

Leonhardt: Silos betreffen Kultur und Struktur. Transformation gelingt nur, wenn übergreifende Ziele, abgestimmte Kennzahlen und ein gemeinsames Führungsverständnis gelebt werden.

Abschließend: Was würden Sie einem Unternehmen mit auf den Weg geben, das eine Transformation anstoßen will?

Leonhardt: Ein klares Zielbild, Führungsverantwortung und eine realistische Roadmap. Transformation ist kein Projekt mit Enddatum – sondern eine Reise.

Räbiger: Und: Lernbereitschaft. Wer offen für neue Fragen, neue Perspektiven und neues Wissen ist, legt den Grundstein für nachhaltigen Wandel.

Herr Leonhardt, Frau Räbiger – vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Eva Rathgeber. 


ZU DEN INTERVIEWPARTNERN

Foto: © Helbling

Robert Leonhardt ist Mitglied der Geschäftsleitung bei Helbling Business Advisors. Nach Stationen in der Industrie und der internationalen Unternehmensberatung liegt sein Schwerpunkt heute auf der ganzheitlichen Organisationsentwicklung, der Optimierung operativer Prozesse sowie der erfolgreichen Steuerung von Transformationsprojekten.

 

Foto: © twinnovativ

Christiane Räbiger ist Geschäftsführerin von twinnovativ und arbeitet als Expertin für Steuerungs- und Finanztransformation eng mit Helbling Business Advisors zusammen. Nach langjähriger Führungserfahrung im Controlling sowie zahlreichen Beratungsmandaten in Mittelstand und Konzernumfeld begleitet sie Unternehmen bei der Entwicklung leistungsfähiger Steuerungsmodelle.

Autorenprofil

Als Chefredakteurin der Unternehmeredition berichtet Eva Rathgeber regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Sie verfügt über langjährige Erfahrung im Wirtschaftsjournalismus und in der PR.

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