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Proaktives Risikomanagement für Wertschöpfungsketten

Foto: © Parradee_AdobeStock

Krisen sind in der Regel unvorhersehbar: erst COVID-19, nun der Ukrainekrieg. Insbesondere der Angriff Russlands auf die Ukraine ist zweifelsfrei ein immenser Schrecken – menschlich und wirtschaftlich. Die Sanktionen gegen Russland und Weißrussland haben auch zahlreiche deutsche Industrieunternehmen eiskalt erwischt, indem ein erneuter Zusammenbruch der Wertschöpfungskette ausgelöst wurde. Dabei gibt es nicht nur zahlreiche, sondern relativ simple Möglichkeiten, wie sich Unternehmen bereits im Vorfeld krisenfest aufstellen können.

Risiken rund um die Supply Chain sind schon seit vielen Jahren ein Dauerthema in produktionsorientierten Unternehmen. Aus einem von der Zurich Insurance Group unterstützten “Supply Chain Resilience Report” ging bereits 2015 klar hervor, dass ineffektives Management von Lieferketten zu gravierenden Betriebsunterbrechungen und dadurch zu hohen finanziellen Kosten für das Unternehmen führt. Nahezu jedes zehnte Unternehmen kannte seine wichtigsten Lieferanten nicht und war somit nicht in der Lage, diese effektiv zu verwalten − bereits vor sieben Jahren ein klarer Weckruf an die Wirtschaft. Und dann kam die COVID-19-Pandemie, die zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen geführt hat. Spätestens jetzt wäre es an der Zeit gewesen, ein echtes proaktives Risikomanagement zu implementieren, die Transparenz innerhalb der Wertschöpfungskette zu erhöhen und auch die gesamte Supply Chain strategisch zu überdenken, um daraus zukunftssichere Maßnahmen abzuleiten. Doch auch in der aktuellen Krisensituation zeigt sich erneut, dass aus den Fehlern der letzten Jahre und Jahrzehnte nichts oder zu wenig gelernt wurde, die eigene Supply Chain in geordnete und vor allem vorausschauende Bahnen zu lenken.

Das „New Normal“ erfordert ein proaktives Risikomanagement

Trotz zahlreicher Hinweise und Mahnungen stand und steht dieses Risiko bei vielen Managern nach wie vor nicht auf der Prioritätenliste – die Schmerzgrenze ist scheinbar noch nicht erreicht und es herrscht ein massiver Mangel an Transparenz und Nachvollziehbarkeit. Immer noch finden sich in vielen Unternehmen und Organisationen Insellösungen und starre Siloarchitekturen, wobei es an abteilungsübergreifenden Lösungen mangelt. Einerseits besteht eine extreme Abhängigkeit von einzelnen Akteuren, andererseits fehlt das Wissen um mögliche Engpässe und die Flexibilität. Auch im Jahr 2022 existieren zahlreiche Informationen noch auf dem Papier oder bestenfalls in Exceltabellen. Die Sichtbarkeit der Lieferkette endet in vielen Unternehmen bei dem Lieferanten, mit dem sie in direktem Kontakt stehen. Ein proaktives Supply Chain Risk Management fehlt komplett.

Strukturierte Risikobewertung der Supply Chain mit Analysetools

Eine Ursache dafür ist die „high-level“-Sicht der Führungsetage auf die vorhandenen Bestände. Sie überlässt es allein den zuständigen Abteilungen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, ohne Kenntnis davon zu haben, ob an der richtigen Stelle ausreichend Puffer für den Fall eines unvorhersehbaren Ereignisses vorhanden ist. So ist das Management im Glauben, es sei ausreichend Bestand vorhanden, ohne die hierfür notwendigen Details wie Bestandsmenge, Lagerort etc. zu kennen. Dadurch kann nicht rechtzeitig auf plötzliche exogene Schocks reagiert werden, mit zum Teil fatalen Folgen für das Unternehmen.

Das Problem ließe sich vergleichsweise einfach mit entsprechenden Analysetools beheben, die die Supply Chain nach Risiken durchsuchen und rechtzeitig vor zu geringen Beständen oder möglichen Engpässen warnen. Doch leider zeigt die Praxis immer wieder, dass solche leicht bedienbaren und kostengünstigen Tools beim Management auf große Ablehnung stoßen. Dabei würde gerade hier ein strukturierter Prozess und die damit verbundene präventive Risikobewertung zu einer resilienten und transparenten Supply Chain führen. In der neuen VUCA-Welt ein maßgeblicher Faktor, um zukunfts- und wettbewerbsfähig zu sein. VUCA steht für „volatility“ (Volatilität), „uncertainty“ (Ungewissheit), „complexity“ (Komplexität) und „ambiguity“ (Vieldeutigkeit).

Doch selbst die besten Tools können nur dann helfen, wenn auch das Management sein oft über Jahrzehnte angewandtes Mindset anpasst und agiert, statt nur zu reagieren. Eine zukunftsorientierte Führungsebene muss im New Normal agil sein, Visionen entwickeln und diese „mit Leben füllen“. Um das zu erreichen und die rein operative Sicht auf die Dinge zu verändern, sind strategische Visionäre gefragt.

Damoklesschwert Lieferkettengesetz

Aber nicht nur aktuelle Krisensituationen fordern ein Umdenken, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Spätestens seit Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes (LkSG) am 1. Januar 2023, das die nachhaltige und sozialverträgliche Transformation von Lieferketten zum Pflichtprogramm für Unternehmen macht, müssen die Verantwortlichen agieren, anstatt wie bisher nur zu reagieren. Im Jahr 2023 gilt dieses Gesetz zunächst nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten. Ab 2024 werden auch Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitern in die Pflicht genommen und die EU-Kommission will hier noch weitergehen: aktuell arbeitet sie an einem Entwurf, der schon Unternehmen ab 500 Mitarbeitern einschließen soll.

Die Umsetzung dieser neuen Pflichten ist mit massiven Herausforderungen verbunden. Spätestens dann müssen die Transparenz über die Herkunft von Produkten erhöht und klare Standards in Einkaufs- und Managementprozesse eingebunden werden. Getrieben durch die Regulatorik, wird der Ruf nach einem proaktiven Supply Chain Risk Management absehbar. Damit steigt auch die Hoffnung, dass künftig krisenbedingte unvorhergesehene Schocks in der Wertschöpfungskette endlich der Vergangenheit angehören.

Lesen Sie dazu auch unser Interview mit Robert Leonhardt: https://www.unternehmeredition.de/die-unternehmen-muessen-flexibler-und-agiler-werden/

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