Vom Beckenrand ins echte Leben: Franziska van Almsick kennt Siege, Niederlagen – und den Mut, immer wieder aufzustehen. Im Interview mit der Unternehmeredition spricht die einstige Schwimm-Ikone über Rückschläge als Wendepunkte, was Unternehmer vom Leistungssport lernen können – und warum Scheitern oft der Anfang von etwas Großem ist.
Unternehmeredition: Frau van Almsick, mit nur 14 Jahren wurden Sie über Nacht zum Weltstar. Was hat Ihnen damals geholfen, mit diesem plötzlichen Erfolg umzugehen?
Franziska van Almsick: In diesem Alter realisiert man vieles gar nicht. Ich war ganz auf den Sport fokussiert, was mir geholfen hat, bei mir zu bleiben. Ich hatte zudem das Glück, ein stabiles Umfeld zu haben – gute Berater, ein diszipliniertes Elternhaus. Zu Hause wurde viel Wert darauf gelegt, dass ich „bodenständig“ bleibe. Das war entscheidend, um nicht abzuheben.
Im Laufe Ihrer Karriere haben Sie viele Höhen erlebt – aber auch Rückschläge. Was war Ihr prägendstes Learning aus schwierigen Momenten?
Definitiv: dass es immer eine Wendung geben kann – selbst wenn alles verloren scheint. Das habe ich 1994 bei der WM in Rom gelernt, als ich erst nicht im Finale war und dann doch starten durfte – und Weltmeisterin wurde. Das war emotional eine Achterbahnfahrt. Aber ich habe gemerkt: Solche Situationen prägen. Sie lehren einen, dass Rückschläge nie das Ende bedeuten müssen – sondern oft ein Wendepunkt sind.
Sie galten als „Gesicht der Nation“, Olympiagold blieb Ihnen jedoch verwehrt. Wie sind Sie damit umgegangen, dass sich dieser große Traum nicht erfüllt hat?
Heute sehe ich das erstaunlich gelassen. Natürlich wäre ein Olympiasieg das größte gewesen – das bleibt auch so. Aber ich habe gelernt, dass es ein gutes Gefühl ist, nicht vollkommen zu sein. Das Scheitern an einem Ziel hat mich letztlich zu der Person gemacht, die ich bin. Und ich bin heute sehr zufrieden mit meinem Leben – vielleicht gerade deshalb.
Ihr Comeback 2002 mit fünf EM-Titeln war spektakulär. Was war Ihre Motivation?
Ich wollte meine Karriere nicht in dem Licht beenden, in das ich damals gerückt wurde – als „satte“ Athletin. Ich wollte beweisen, dass ich mehr bin. Die Heim-EM war meine Chance, zu zeigen, dass ich kämpfen kann – und dass man auch nach dem Fallen wieder aufstehen kann. Ich habe alles investiert. Und ich glaube, diese Haltung hat mich geprägt: Es gibt nichts, was nicht geht – bis man es versucht hat.
Wenn Sie diese Erfahrungen auf Unternehmertum übertragen – was sind Ihre zentralen Learnings für Mittelständler?
Ganz klar: Mut. Man muss bereit sein, zu scheitern, Risiken einzugehen, auch mal an seine letzten Reserven zu gehen. Wer etwas erreichen will, muss ein bisschen früher aufstehen als andere, ein bisschen mehr investieren. Aber man muss auch akzeptieren, dass nicht jeder Plan funktioniert. Die entscheidende Frage ist: Was mache ich daraus?
Was empfehlen Sie Unternehmerinnen und Unternehmern konkret im Umgang mit Niederlagen?
Unsere Einstellung zu Niederlagen ist oft falsch – besonders in Deutschland. Fehler zu machen, wird als peinlich angesehen. Aber wer nichts wagt, wird nie Neues schaffen. Wichtig ist, aus Fehlern zu lernen und beim nächsten Mal klüger zu handeln. Ich habe schon früh gelernt: Eine Niederlage kann auch ein Geschenk sein – wenn man bereit ist, weiterzugehen.
Sie betonen auch, wie wichtig es ist, Chancen zu geben. Können Sie das näher erläutern?
Wenn mir 1994 Dagmar Hase nicht ihre Finalplatz-Chance überlassen hätte, wäre vieles anders gelaufen. Deshalb: Nicht nur sich selbst, sondern auch anderen eine zweite Chance geben. Ein Fehler ist keine Endstation – sondern oft der Beginn von etwas Neuem. Solche Kultur wünsche ich mir auch in Unternehmen.
Sie engagieren sich heute stark für Kinder. Was motiviert Sie da besonders?
Mit meiner Stiftung setze ich mich dafür ein, dass jedes Kind am Ende der Grundschule sicher schwimmen kann. In einem Land voller Seen, Flüsse und Schwimmbäder darf es nicht sein, dass so viele Kinder nicht schwimmen können. Und über die Deutsche Sporthilfe unterstütze ich junge Leistungssportler – weil ich weiß, wie herausfordernd der Weg ist.
Sie haben sogar Kinderbücher geschrieben. Was möchten Sie den Kindern damit mitgeben?
Mir ist wichtig, dass Kinder früh ein Gefühl für Sicherheit im Wasser entwickeln. Es gibt zu wenig Bücher darüber. Ich möchte dieses Thema kindgerecht erzählen und ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wichtig Schwimmen ist. Es geht dabei immer um Verantwortung – und um Selbstvertrauen.
Sie sind in der DDR aufgewachsen und wurden später zur ersten gesamtdeutschen Sport-Ikone. Wie hat Sie das geprägt?
Ich hatte eine schöne Kindheit und habe vom starken Jugendsportsystem der DDR profitiert. Als die Mauer fiel, war ich elf – ich habe die Wende also fast nahtlos erlebt. Das war für mich ein Glück: Ich durfte das Beste aus zwei Welten mitnehmen und mich im wiedervereinigten Deutschland entfalten.
Zum Schluss: Was treibt Sie heute an?
Mein zentrales Engagement gilt meiner Stiftung und der Sporthilfe – und einem neuen Dokumentarfilm, der im Herbst ausgestrahlt wird. Es ist mir wichtig, meine Erfahrungen weiterzugeben – ob im Sport, in der Bildung oder als Frau, die nie aufgehört hat, für ihre Träume zu kämpfen.
Und was wäre Ihre wichtigste Botschaft an Unternehmerinnen und Unternehmer?
Wenn ich einen Satz weitergeben dürfte, dann diesen: Habt Mut. Gebt nicht auf. Fehler gehören dazu. Aber wer dranbleibt, kann am Ende Großes erreichen.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau van Almsick.
Das Interview führte Eva Rathgeber.
KURZPROFIL
Geboren: am 5. April 1978 in Ost-Berlin
Familienstand: in einer Partnerschaft, zwei Söhne
Beruf: ehemalige Schwimmerin, Stiftungsgründerin, Buchautorin
Erfolge:
• Mehrfache Welt- und Europameisterin im Schwimmen
• 10 olympische Medaillen (Barcelona 1992, Atlanta 1996, Sydney 2000, Athen 2004)
• Rekordhalterin über 200 m Freistil (1994–2002)
• Welt- und Europarekorde auf mehreren Strecken
• Trägerin zahlreicher Auszeichnungen, u. a. Bambi, Goldene Kamera
Website: www.franziska-van-almsick.de