Es gibt zwei Worte, die derzeit in aller Munde sind, wenn es um die „neue“ Arbeitswelt geht: Künstliche Intelligenz und der Fachkräftemangel. Und beide haben auch noch viel miteinander zu tun! Denn die KI kann dabei helfen, die richtigen Fachkräfte zu finden – wenn sie richtig eingesetzt wird.
Als ich mich vor mehr als dreißig Jahren zum ersten Mal beworben habe, waren Bewerbungen eine teure Angelegenheit: Die Kosten für Fotos, Mappen, Porto und die aufwendige Suche nach offenen Stellen sorgten dafür, dass ich mich nur bei einer Handvoll Stellen bewarb. Bei der nächsten Jobsuche waren Stellen über das Internet leichter zu finden und Bewerbungen über E-Mail mit Lebenslauf im Anhang einfacher zu versenden − und davon schickte ich um die 20 weg. Heute ist es Bewerbern und Bewerberinnen möglich, mit KI automatisiert auf Stellen angepasste Lebensläufe und Anschreiben zu generieren, und dies hundertfach auf einmal.
Auch die Stellenanbietenden haben immer weiter automatisiert: Es gibt inzwischen eine große Bandbreite an Tools, die versprechen, die richtigen Bewerber und Bewerberinnen auszufiltern. Und manchmal passiert es heute bereits, dass KI mit KI spricht: Bewerber versenden KI-optimierte Bewerbungen, die von Stellenanbietenden mittels KI mit eben jenen Stellenanzeigen verglichen werden, für die sie vorher optimiert worden waren. In diesem Fall würde ich sagen: Hier ist die KI unter dem Strich nicht hilfreich. Ich als Unternehmerin würde nicht darin investieren.
Ein ähnlicher Effekt entsteht inzwischen bei Online- oder Video-Bewerbungsgesprächen: Es gibt Unternehmen, die bereits Analysetools verwenden, um etwas über die Persönlichkeit der Bewerbenden herauszufinden. Gleichzeitig gibt es Anwendungen für Bewerbende, die bei Video-Bewerbungsgesprächen in Echtzeit die passenden Antworten auf Fragen der Recruiter liefern, die dann nur noch abgelesen werden müssen. Auch hier scheint mir: Einen echten Fortschritt bringt die KI im Ergebnis hier für die Personalauswahl nicht.
Grenzen des Einsatzes von KI
Ein weiterer wichtiger Punkt ist die sich wandelnde Gesetzgebung: Am 21. Mai 2024 wurde der AI Act, die KI-Verordnung der EU, von den Mitgliedstaaten auf den Weg gebracht. Nach einer zweijährigen Übergangsfrist wird es unter anderem KI-basierten Anwendungen in der Personalauswahl enge Grenzen setzen.
Was heute eingesetzt oder eingekauft wird, muss also in Kürze einige Voraussetzungen erfüllen, um weiter genutzt werden zu dürfen: Die Anwendungen müssen transparent und von Menschen steuerbar sein und den Nachweis erbringen, dass sie nicht diskriminieren.
Dies hat einen guten Grund: Wenn eine Anwendung auf Mustererkennung basiert, wie es in vielen KI-Systemen für die Personalauswahl der Fall ist, ist die Gefahr groß, dass der Mainstream (also das stärkste Muster) gewinnt und Individualität dagegen verliert. Auch das würde mich persönlich, abgesehen von den rechtlichen Problemen, davon abhalten, eine solche KI einzusetzen, da dann nicht die beste Person für die Stelle gefunden wird.
Ist KI also überhaupt geeignet, um die richtigen Fachkräfte zu finden? Ja, wenn man sie sorgfältig auswählt, konzipiert und einsetzt: Wenn man sich Mühe dabei gibt, die wirklich relevanten Kriterien für den Job zu definieren. Und wenn man Bewerbende und Stellenanbietende dabei unterstützt, ihre Wünsche und Angebote ehrlich und individuell zu formulieren. Aus meiner Sicht ist eine Kombination aus herkömmlicher Software und KI-Bestandteilen am besten geeignet, um gleichzeitig die Recruiting-Prozesse optimal zu unterstützen und zu qualitativ sehr guten Ergebnissen zu kommen. So stellen wir tatsächlich auch selbst als eher kleines Unternehmen unsere Mitarbeiter ein.
Fachkräfte werden durch KI produktiver
Manchmal wird KI menschliche Arbeitsplätze verschwinden lassen. Aber noch öfter werden Menschen, die mit KI umgehen können, einen großen Produktivitätsvorsprung erzielen. KI-Unterstützung wird bei so ziemlich jeder Aufgabe und in fast jede Software Einzug halten. Mir fallen nur sehr wenige Tätigkeiten ein, die davon nicht profitieren können – wenn die KI sorgfältig ausgewählt und eingesetzt ist: Generative KI zur Erstellung von Texten, Bildern oder Präsentationen, Predictive Maintenance, zerstörungsfreie Tests oder Mustererkennung in der Buchhaltung sind nur einige Beispiele für produktivitätssteigernde Einsatzbereiche.
FAZIT
Eine wichtige Future Skill für jede und jeden für uns wird sein zu entscheiden, in welchen Fällen welche KI-Bausteine wirklich einen Vorteil bringen: Wo also beispielsweise eine etablierte Software durch KI-Elemente besser wird und wie man sie am besten integrieren kann. Oder wo ein Arbeitsablauf durch KI-Unterstützung schneller oder besser erledigt werden kann.
Eine einfache Faustregel kann aus meiner Sicht sein: KI, die auf Mustererkennung beruht, ist bei Entscheidungen über Menschen mit Vorsicht zu genießen. KI, die auf Mustererkennung beruht, bringt aber zum Beispiel bei Entscheidungen darüber, welche Bauteile eingesetzt oder ausgetauscht werden sollten, viele Chancen.
Rosmarie Steininger
Rosmarie Steininger ist Gründerin und Geschäftsführerin von Chemistree. Nach einem BWL-Studium mit Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik entwickelte sie acht Jahre in der BMW Group Algorithmen für Logistiksysteme und leitete internationale Projekte. Während ihrer sechs Jahre in der Geschäftsführung der Eberhard von Kuenheim Stiftung der BMW AG entwarf und leitete sie gemeinnützige Projekte. Beide Facetten brachte sie 2017 bei der Gründung der Chemistree GmbH zusammen. Exzellenz und Vertrauen in der Softwareentwicklung sind Rosmarie Steininger wichtig – sowohl in ihrem Unternehmen als auch in ihrer Rolle als Expertin bei der KI-Strategie der Bundesregierung sowie der Normungsroadmap KI.