Zurück auf gerader Linie

Der Schreibgerätehersteller Lamy hat sich unter seinem ersten familienfremden Geschäftsführer Bernhard Rösner in den vergangenen Jahren zu einer internationalen Lifestyle-Marke gemausert. Der Erfolgskurs wirkt in der heutigen Zeit paradox.

Vor seinem Engagement bei Lamy hatte der neue Geschäftsführer Rösner beim Plüschtierhersteller Steiff sowie bei Daimler im Segment Lifestyle-Accessoires als Führungskraft gearbeitet. Bei Lamy wollte und musste er den Turnaround schaffen. Seine Ambitionen von damals klingen aus heutiger Sicht einfach wie ehrgeizig. Rösner vergleicht seinen Managementstil mit einer Pyramide: An der Spitze ist das Ziel, sich in einer schrumpfenden Branche als Marktführer zu positionieren. Als tragender Baustein zeigt sich eine Strategie, die Lamy vom Erwachsenenprodukt verjüngen soll hin zu einer Lifestyle-Marke. Eine Vielzahl von Maßnahmen bildet hierfür das Fundament, auf dem sich die Strategie und das Ziel realisieren lassen.
Als die roten Zahlen trotz der Finanzkrise im Jahr 2008 auf drei, vier Prozente schrumpften, hat es bei Rösner „klick gemacht“ – er war überzeugt, dass seine Strategie aufgehen würde. Seitdem hat er den Spagat geschafft, die Marke neu zu justieren, ohne dabei das kulturelle Erbe des Unternehmens zu verletzen.

Outsourcing ist ein Fremdwort

Entwicklungszentrum von Lamy: Der futuristische Bau soll die klare Designsprache repräsentieren. Die Außenfassade ist mit Photovoltaik-Modulen bestückt.

In vielerlei Hinsicht ist das Unternehmen heute gegen den Trend strukturiert. Einer dieser paradoxen, weil unmodernen Erfolgsfaktoren ist der in sich geschlossene Standort in Heidelberg-Wieblingen. Das Werk ist 18.000 Quadratmeter groß und beherbergt in einem Carré alle Einheiten des Unternehmens. Die Produktion ist im selben Gebäudekomplex wie die Verwaltung, das Lager und die Logistik.
In einem der Flügel schließt sich eine Produktionshalle an die nächste. Ein riesiger, transparenter Kasten steht neben dem anderen, das Innenleben besteht aus verwinkelten Eisenmodulen, Kolben, Schläuchen und Führungsarmen. Es rattert und klackt im Takt, Spritzgeräusche und mechanisches Quietschen bilden den Grundpegel. An einigen separierten Tischen sitzen weibliche Mitarbeiter und polieren, schleifen oder montieren Schreibgeräte. Vor allem hochwertige Modelle mit geringer Stückzahl werden manuell veredelt. Von Kugelschreiberminen über Schreibfeder bis hin zu Gehäusen und Tintenpatronen produziert Lamy alles selbst, teilweise rund um die Uhr. Sogar die Spritzgusswerkzeuge, die als Negative für bestimmte Baugruppen dienen, werden in einer eigenen Abteilung entwickelt. Die Fertigungstiefe beträgt 95 Prozent – Outsourcing ist bis heute wahrlich ein Fremdwort bei Lamy.
Hinter dem romantischen Ideal des authentischen Made in Germany steckt aber auch eine Anpassung an die neue Zeit. Seit Geschäftsführer Rösner da ist, hat sich die Arbeitszeit der Belegschaft von damals 35 Stunden auf 39 Stunden erhöht. Im Gegenzug gab es eine Arbeitsplatzgarantie für alle Stellen: „Wir haben uns das damals sehr genau angeschaut und kalkuliert, dass wir mit zehn Prozent mehr Kapazität die Produktion in Deutschland halten können“, erklärt Rösner. Ab 2009 ging es steil bergauf mit zweistelligen Wachstumsraten, bis heute hat sich der Umsatz im Vergleich zu damals verdreifacht.

Fokus auf den Point of Sale

Bei der Wachstumsstory spielt neben der höheren Produktivität auch das Marketing eine entscheidende Rolle. Hierbei setzt Rösner voll auf den direkten Kundenkontakt. Anzeigenkampagnen oder Spots, sogenannte Streuwerbung, gibt es bei Lamy nicht mehr. Rösner ist überzeugt, dass Schreibgeräte angefasst werden müssen, bevor man sie kauft: „Schreiben ist ein sehr haptischer und gefühlvoller Vorgang. Wir glauben daran, dass gute Beratung etwas bewirken kann.“

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