Krisen schleichen sich langsam an − die Bedeutung des Working Capitals

Warum es sich lohnt, einen Blick auf das Working Capital zu werfen

Die Nachrichten in den vergangenen Wochen und Monaten werden nicht besser. Die weltweite Coronakrise, der Angriffskrieg in der Ukraine, die explodierenden Energiekosten und Lieferkettenabbrüche belasten die Unternehmen gleich mehrfach. Tillmann Peeters von Falkensteg rät, einen Blick auf das Working Capital zu werfen.

Zwischen der beinahe überstandenen Pandemie und den aktuellen Problemen durch den Krieg in der Ukraine sieht Tillmann Peeters, Gründungspartner und Geschäftsführer von Falkensteg, deutliche Unterschiede, die entsprechend anders auf die Unternehmen wirkten – im Prinzip sogar komplett gegenläufig. „In der Coronapandemie hatten wir eine längere Phase mit einem Stillstand. Die Lager waren voll mit fertiger Ware, aber die Kunden hatten keinerlei Interesse, diese abzunehmen“, schildert Peeters. Diese hohen Warenbestände stellten sich unter anderem als großes Problem der Automobilzulieferer heraus, die zu früh auf einen wieder anspringenden Markt gesetzt hatten. Der Krieg in der Ukraine und der neue Coronaausbruch in China führten hingegen zu einer genau anderen Entwicklung: „Die Kunden brauchen dringend Ware und versuchen auf allen möglichen Wegen, an die Produkte zu kommen. Aber die gestörten Lieferketten sowie die immer noch anhaltenden Personalausfälle verhindern die Lieferfähigkeit“, erklärt Peeters. Die Folge seien explodierende Preise und geradezu grotesk lange Lieferzeiten. Die Engpässe in der Logistik und stark steigende Transportkosten gelten jedoch nicht nur für Vorprodukte, sondern auch für die Auslieferung der eigenen Fertigprodukte. „Wenn Unternehmen die Fertigware nicht an die Kunden rausbekommen, dann kann das bei der Liquidität kritisch durchschlagen – bis hin zur Zahlungsunfähigkeit“, so der Sanierungsexperte.

Individuelle Lösungen sind gefordert

Krisen kommen nicht immer mit einem großen Knall, oft schleichen sie sich langsam an. Probleme mit Warenlieferungen können sich im Laufe der Zeit zu einer Gefahr für ein Unternehmen ausweiten, wenn die Produktion zusammenbricht oder Kunden ihre Bestellung nicht erhalten. Was also tun? „Man muss einfach wach sein – es ist eine Führungsaufgabe –, man muss dranbleiben“, sagt Peeters. Und er hat eine schlechte Nachricht für Unternehmer und Führungskräfte: „Es gibt leider kein Patentrezept oder eine einfache Softwarelösung, die schnell für Abhilfe sorgt.“ Vielmehr seien die Fälle von Unternehmen zu Unternehmen – und vielleicht auch innerhalb des Betriebs – zu individuell, um mit Schablonen zu arbeiten.

Liquidität im Auge behalten

Auf die wachsende Unsicherheit in der aktuellen Situation reagieren Geschäftspartner mit erhöhter Vorsicht: Lieferanten wollen früher ihr Geld erhalten und Kunden wollen später bezahlen – dabei jedoch die Ware möglichst schnell erhalten. Für ein Unternehmen kann hier eine gefährliche Schere aufgehen. „Wenn das Lager mit Vorprodukten randvoll ist, aber die Auslieferung der fertigen Waren an die Kunden nicht funktioniert, dann kann der Firma schnell das Geld ausgehen“, so Peeters. Er empfiehlt den ständigen Blick auf das Working Capital – also die Differenz zwischen Umlaufvermögen und kurzfristigen Verbindlichkeiten. In der reinen Betriebswirtschaftslehre soll dieser Wert „größer null“ sein: Dann sind das Anlagevermögen und Teile des Umlaufvermögens durch langfristige Kapitalreserven finanziert. Aber ein hoher Wert an sich ist kein Anzeichen für eine gute Unternehmensführung und gute Aussichten – vielmehr müsse häufig sorgsam abgewogen werden, ob ein volles Vorratslager in der jetzigen Situation zum Unternehmenserfolg beiträgt oder eher ein Risiko darstellt.

Produktion muss weiterlaufen

Als oberstes Ziel definiert Peeters, dass die Produktion nicht abgewürgt wird. Denn ohne Produktion keine Wertschöpfung – und damit keine Liquidität und kein Gewinn. Diesem obersten Ziel müssen sich nach seiner Ansicht die Maßnahmen unterordnen. Wenn also Ware nicht ausgeliefert werden kann, weil ein Container noch nicht voll oder nicht verfügbar ist, dann lohne sich ein Anruf beim Kunden, um eine kurzfristige Lösung zu erreichen. Eventuell kann der Kunde die Ware selbst abholen oder akzeptiert höhere Lieferkosten eines anderen Versandwegs. Ferner sei es für ein Unternehmen angesichts der Probleme mit der Logistik geradezu überlebenswichtig, dass die Vorprodukte ausreichend vorhanden sind. „Wir erleben inzwischen vermehrt Fälle mit einem ‚Pappa-ante-Portas-Effekt‘, bei dem Lager bis unter das Dach vollgemacht werden“, sagt Peeters. Das könne auch eine Lösung sein, aber nicht in jedem Fall.

Working Capital als KPI

Um die Flexibilität und die Liquidität der Firma zu sichern, müsse ein zu hoher Wert des Working Capital vermieden werden, denn „dies ist gleichbedeutend mit einem randvollen Vorproduktelager und zugleich hohen offenen Rechnungen gegenüber den Kunden“, erklärt Peeters. Das sei ungesund und mache die Firma unbeweglich. Aus diesem Grunde empfiehlt er eine regelmäßige, offene Kommunikation mit Lieferanten und Kunden. Im ureigensten Sinne des Unternehmens müsse hier eine intensive Abstimmung erfolgen – und: „Man muss einfach dranbleiben.“ Beide Enden der Lieferkette müssten sorgfältig beobachtet werden, um Probleme zu vermeiden. Hier könne auch eine Steuerung des Unternehmens mit bestimmten Kennzahlen aus den Bereichen Einkauf, Lagerhaltung, Produktion, Lieferfähigkeit und Vertrieb erfolgen. „Wie in vielen anderen Aufgabenfeldern der Unternehmensführung geht es darum, Ziele zu setzen und diese dann auch regelmäßig zu kontrollieren“, sagt Peeters.

Bereichsübergreifende Task-Force

Als eine mögliche Lösung schlägt Peeters eine interne Task-Force vor, die sich in kurzen Abständen mit der Lieferfähigkeit des Betriebs auseinandersetzt. Auf diese Weise würden Know-how-Träger aus verschiedenen Bereichen der Firma an einen Tisch gebracht, um auch unkonventionelle Lösungen zu finden. „Es lohnt sich in solchen angespannten Situationen stets, auch auf die Intelligenz und den Erfindungsreichtum der Mitarbeiter zu vertrauen“, fügt Peeters an. In jedem Fall sei es wichtig, das Team mitzunehmen und dabei offen zu kommunizieren. Gemeinsam können dann Wege gefunden werden, um an entscheidenden Stellen einen Hebel umzulegen.

Externe Berater können helfen

Auch wenn es kein Patentrezept zur Lösung der Probleme mit Lieferketten gibt, so sieht Peeters in diesem Bereich auch hervorragende Einsatzmöglichkeiten für externe Berater. Dafür könnten gleich mehrere Gründe sprechen: Oftmals scheitern die richtigen Maßnahmen schlicht an der fehlenden Manpower, sodass externe Hilfe für schnelle Lösungen sorgt. Weiterhin verfügen externe Experten auch über umfangreiche Erfahrung zur Optimierung des Working Capital. Diese können dadurch mit einem großen Repertoire von Werkzeugen agieren. Hilfreich kann es auch sein, für unangenehme Gespräche mit Kunden oder Lieferanten Hilfe von außerhalb zu organisieren. „Es kann von Vorteil sein, wenn mit einer Sicht von außen an die Schwierigkeiten herangegangen wird. Mit einem externen Berater finden sich nach unserer Erfahrung effektive, praktikable und schnelle Lösungen. Auf diese Weise lassen sich schlimmere Krisen bis hin zur Insolvenz vermeiden“, so Peeters.


Definition: Working Capital

Das Working Capital gibt Auskunft über die Finanzkraft eines Unternehmens. Der Betrag errechnet sich aus der Differenz des Umlaufvermögens und der kurzfristigen Verbindlichkeiten. Durch die Working-Capital-Berechnung wird somit das Nettoumlaufvermögen ermittelt. Weiterhin wird so die Veränderung der Liquidität gemessen.


Zur Person

Tillmann Peeters, Falkensteg

Tillmann Peeters ist Gründungspartner und Geschäftsführer von Falkensteg. Als Managing Partner verantwortet er die Geschäftsbereiche Restrukturierung und Insolvenzberatung. Peeters ist zugelassener Rechtsanwalt (Universität Trier) und Fachanwalt für Insolvenzrecht. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Insolvenzplanverfahren in Eigenverwaltung, Schutzschirmverfahren und Unternehmenssanierung.

www.falkensteg.com

Dieser Beitrag erscheint in der Unternehmeredition 2/2022.

Autorenprofil
Alexander Görbing

Als Redakteur der Unternehmeredition berichtet Alexander Görbing regelmäßig über Unternehmen und das Wirtschaftsgeschehen. Zu seinen Schwerpunkten gehören dabei Restrukturierungen, M&A-Prozesse, Finanzierungen sowie Tech-Startups.

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