Generation Y: blaue oder rote Pille?

Menschen zwischen 30 und 59 haben Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg – Mut ist gefragt

Traditionell versteht sich Deutschland als führende Wirtschaftsnation Europas mittelstandsgeprägt. Das hat sich über Jahre hinweg auch in den verschiedenen Indizes widergespiegelt. Die Entwicklungen im DAX waren immer träger als im SDAX oder im MDAX – ganz zu schweigen von den vielen Perlen, die sich im Freiverkehr der deutschen Börsen wiederfanden. VON KAI JORDAN

Das Institut für Demoskopie (IfD) Allensbach hat die „Generation Mitte“ als Leistungsträger der Wirtschaft, ergo als Rückgrat des starken Mittelstands definiert. Es handelt sich hier um Menschen in einer Altersrange zwischen 30 und 59 Jahren. Geflissentlich lässt sich darüber diskutieren, ob die Generation Y in einen Topf mit den Babyboomern gestopft werden kann. In der jährlichen Umfrage zur Stimmung der Generation Mitte für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) wurde festgestellt, dass diese wichtige Personengruppe Angst vor einem wirtschaftlichen Abstieg in den kommenden Monaten hat – und hier wird es besonders interessant, dass man sich von staatlicher Seite mehr Unterstützung wünscht. Weniger Zukunftsoptimismus als zu Corona-Lockdown-Zeiten ist vorhanden. Wie kommt das? Aus meiner Sicht können die Generation Y und die Babyboomer nicht gleich bewertet werden. Die Generation Y ist hochgebildet, aber musste nie wirklich um ihre Jobs oder existenziell kämpfen. Das ist bei den heute über 50-jährigen Babyboomern anders gewesen. Ich bin kein Militarist, aber es gab Ende der 1980er-Jahre in einem Liedtext folgende Passage: „Stand up and fight.“ Das ist momentan in unserer Gesellschaft – sprich: in der Generation Y – nicht zu spüren.Warum dieser gesellschaftspolitische Exkurs? Die Antwort ist einfach: Wirtschaft funktioniert nur durch handlungswillige Menschen. In diesem Jahr sehen wir leider genau das Gegenteil. Der Wille, sich gegen den Strom zu stellen und mutig zu sein, ist allenthalben kaum vorhanden.

Generelle Kursverluste auf dem Aktien- und Bondmarkt

Ein Beispiel: die Bauindustrie. In Wirklichkeit gibt es kein Platzen eines Baubooms. Die Bauministerin hat versprochen, dass jedes Jahr rund 400.000 neue Wohnungen gebaut werden, um die Wohnungsknappheit zu überwinden. Sicherlich wurden in manchen Gegenden unrealistische Preise aufgerufen. Nicht nur die Entwickler, sondern auch die Verkäufer von Grund und Boden wollten einen guten Schnitt machen. Nun kommt die Mutlosigkeit, die Zukunftsangst der Menschen, die es nicht gewohnt sind, um den eigenen Wohlstand zu kämpfen. Deswegen steht der Verkauf, der Bau von Wohneigentum fast still – unabhängig vom Preissegment. Dies führt direkt zu Umsatz-, Gewinn- und EBITDA-Einbrüchen, die wiederum dem Kapitalmarkt angezeigt werden müssen. Automatisch führte dies heuer zu Kursverlusten auf dem Aktien- wie auch auf dem Bondmarkt. Zum Glück basiert die Umfrage des IfD auf einem Blick in den Rückspiegel und nicht auf einem Blick durch die Frontscheibe.

Positive Kursentwicklung bei Automobilkonzernen

Verblüffenderweise fällt die Sicht auf verschiedene Branchen völlig unterschiedlich aus. Gerade haben die großen Automobilkonzerne ihre Quartalszahlen bekannt gegeben und Rekorde vermeldet. Mercedes stach hier besonders hervor – ein Konzern, der sich immer mehr aus dem Mittelklassengeschäft zurückzieht, weil er dort nur mit starken Rabattierungen punkten kann, die die Gewinne des Konzerns schmälern. Im Luxussegment konnte Mercedes so viele Autos verkaufen wie noch nie. Offensichtlich geht man in Asien mit Krisen anders um und setzt sein Geld dennoch für hochwertige Produkte und Statussymbole ein. Allerdings scheint es auch in Europa eine (ältere) Käuferschicht zu geben, die mit einer durch Erfahrung geprägten Portion Grundoptimismus durchs Leben geht und weiterhin investiert. Solche Zahlen kommen am Kapitalmarkt an. Die Entwicklung des Aktienkurses von Mercedes kann man als stark bezeichnen. Der DAX hat insgesamt einen guten Oktober und November vorzuweisen. Hier sieht man, dass es neben den speziellen Branchen auch auf die nationale oder internationale Ausrichtung ankommt, die sich im Zahlenwerk und damit auch am Kapitalmarkt bemerkbar macht.

Konsumzurückhaltung lähmt Märkte

Deutlich anders verhält es sich bei Unternehmen, die schon ewig kränkelten und/oder in Branchen tätig sind, die ohnehin schwierigkeitsbehaftet sind. Für diese ist die Mutlosigkeit der Generation Y ein Drama, denn sie schlägt sich im direkten Konsumverhalten nieder. Galeria Karstadt Kaufhof ist ein Beispiel. Sicherlich handelt es sich um kein Unternehmen, das besonders innovativ oder besonders gewinnträchtig ist. Dennoch: Durch die Konsumangst gefährden die Menschen ihre eigene Existenz, ihre eigenen Arbeitsplätze. Aber nicht nur bei solchen kriselnden Unternehmen macht sich die „gefühlte“ Kaufkraft bemerkbar. Auch Weltunternehmen wie Amazon müssen auf einmal sparen, weil der Konsum sich regelrecht wie eine Muräne Richtung Talstation bewegt. Der Einzelhandel in den Städten ist sowieso schon lange ein eigenes Thema. Gerade kleinere Luxus-Nobelmarken in der Textilindustrie mussten bereits ihre Tore schließen und konnten so den Kapitalmarkt nicht mehr bedienen. Mittlerweile sind aber auch größere Unternehmen, die gehobene Massenware bedienen, davon betroffen. Direkte Auswirkungen auf den Kapitalmarkt sind nicht ausgeschlossen, was die Menschen, die überhaupt noch gefühlt „risikoaffin“ handeln, zusätzlich in ihre Nische zurückdrängt.

FAZIT

Einerseits befindet sich Deutschland gewiss in einer der schwierigsten Situationen seit den 1950er-Jahren – und sie ist von außen bestimmt. Aufzählen lässt sich eine Vielzahl von Gründen, die auch immer wieder mantraartig von den Medien wiederholt werden. Andererseits legt die IfD-Studie den Finger in die Wunde, indem sie die Überempfindlichkeit der für Deutschland wichtigen Generation Mitte und ihre Zukunftsängste beschreibt. Kaum zuvor hat Wirtschaftspsychologie so konkrete Auswirkungen auf den Kapitalmarkt gezeigt. Größere international ausgerichtete Unternehmen hoffen schon Ende dieses Jahres auf eine Trendwende, die sie bereits heute an ihren Aktienkursen oder bei der Begebung von Bonds feststellen. Unternehmen mit eher nationaler Ausrichtung werden vom Glauben einer angeblichen Perspektivlosigkeit und dem Ruf nach staatlichen Sicherheitsnetzen der ehemaligen „Work-Life-Balance-Generation“ bis ins Mark getroffen – in der Bilanz und am Kapitalmarkt.

Der Artikel ist in der neuen Magazin-Ausgabe der Unternehmerediton zum Thema “Unternehmervermögen” erschienen.

Autorenprofil
Kai Jordan

Bis 1998 war Kai Jordan stellvertretender Leiter des Aktienhandels der Commerzbank Frankfurt und später Abteilungsdirektor Equity Capital Markets. Dann wechselte er in den Sektor der Wertpapierfirmen zu einem Frankfurter Finanzdienstleister und begleitete die Entwicklung zu einer erfolgreichen und diversifizierten Wertpapierhandelsbank. 2007 wurde er dort in den Vorstand berufen. Seit August 2016 zeichnet Jordan bei der mwb als Vorstand für den Bereich Corporates & Markets verantwortlich.

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