Aktuelle Daten und Untersuchungen zum Thema „Nachfolge im Mittelstand“ zeigen einen auffälligen Befund: Die Seniorgeneration auf Entscheiderebene verbleibt immer länger im Unternehmen bei fortschreitendem Durchschnittsalter. Und dies eher ungewollt: Eigentlich wäre es im Interesse dieser erfahrenen Generation der Babyboomer, sich aus der Verantwortung zurückzuziehen. Doch häufig fehlen geeignete Nachfolger, die das bestehende Unternehmen übernehmen möchten.
Das als „Nachfolgelücke“ bezeichnete Phänomen ist nicht neu − wer die Führungsrealität im gehobenen Mittelstand kennt, weiß: Längst kommt Fremdmanagement in der absoluten Mehrheit der größeren Familienunternehmen ohne aktive Familiengesellschafter auf C-Level zum Einsatz. Denn es setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die besten und geeignetsten Führungspersönlichkeiten das Unternehmen leiten sollen, um Wettbewerbsfähigkeit, Ertragskraft und Unternehmenswert ebenso wie Dividendenfähigkeit und Familienvermögen zu sichern und zu steigern.
Auch der Unternehmensverkauf als Nachfolgeoption ist längst aus der anrüchigen Ecke getreten. Statt scheinbarer Bankrotterklärung der bestehenden Unternehmergeneration ist er ins Zentrum strategischer Optionen gerückt, um die Fortführung des Lebenswerks zu sichern, wenn auch unter anderem Namen und/oder in anderen Händen.
Gleichzeitig bleibt es vielerorts das erklärte Wunschziel vieler Unternehmer, das Vermögens- und Gestaltungsobjekt Familienunternehmen in eigenen, sprich familiennahen Händen zu halten. Doch selbst wenn Nachkommen vorhanden sind, stellt sich wie in allen Nachfolgevarianten die Frage: Wie sieht ein sinnvoller Nachfolgefahrplan aus?
1. Wo stehen wir? Die Ausgangssituation objektiv beurteilen
In welchem Zustand befindet sich das Unternehmen hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Lage, seiner Markt- und Wettbewerbsposition, der Führungssituation und der Gesellschafterstrukturen? Wie groß sind die daraus resultierenden Herausforderungen und notwendigen Anpassungen beziehungsweise Weiterentwicklungen für den Nachfolger? Sind sich beide Seiten darüber bewusst, welche uneingeschränkte Unterstützung seitens aller Beteiligten erforderlich ist?
Diese Positionsbestimmung beurteilt die Gegenwart objektiv, entwirft ein realistisches Zukunftsszenario für das Unternehmen, definiert Sachzwänge und Handlungsspielraum. Denn: Auf die Erfolge der Vergangenheit kann man stolz sein – sie sind jedoch keine Garantie für die Zukunft.
2. Wo wollen wir hin? Persönliche und unternehmerische Ziele im Einklang
In vielen Fällen scheitert die Unternehmensübernahme an unterschiedlichen Vorstellungen über die Zukunft des Unternehmens. Die „Übergeber“ wollen häufig, dass ihr Lebenswerk ohne große Veränderungen weitergeführt, ihr Stil beibehalten und in keinem Fall durch notwendige Kurswechsel der Eindruck vermittelt wird, dass in der Vergangenheit falsche Weichenstellungen getroffen worden sind. In dieser Situation muss intensiv und fundiert an der zukünftigen Unternehmensstrategie gearbeitet werden: je konkreter, desto besser, aber eben häufig auch schmerzensreicher. Doch gegenseitige Schönung und falsches Harmonieverständnis führen nur zu einem schwelenden Konflikt und ständigem Reparaturbetrieb.
Wenn gemeinsame Überzeugungen geschaffen sind, weiß der Senior, wohin die Reise geht, denn er hat sie selbst mitgeplant. Entsprechend fällt ihm der Rückzug leichter. Gleichzeitig übernehmen die Nachfolger nicht aus einem moralingesäuerten Verantwortungsgefühl (Sollen, Müssen, Dürfen) heraus, sondern auf Basis volitionaler Motivation (Können und Wollen).
3. Wie organisieren wir das? Führungs- und Gesellschafterstruktur müssen unterstützen
Auch das „Wie“ muss entschieden werden. Mit welchem Führungsstil, mit welcher Mannschaft und mit welcher Organisation wird die Zukunft gestaltet? Man sollte dabei nicht versuchen, eine Revolte anzuzetteln, sondern vielmehr evolutionäre Schritte unternehmen. Die Balance zwischen Erfahrung und Neuem stellt die Führungsherausforderung für die Übernehmer dar. Das Umschalten von zentralistischen Führungsstrukturen auf dezentral unternehmerisch organisierte Einheiten führt zur Vitalisierung und Mobilisierung unternehmerischer Kräfte. Die Klärung des Anteils und Einflusses von Fremdmanagern, die nicht der Familie angehören, ist ebenso notwendig, schafft sie doch Stabilität und erweitert das Kompetenzspektrum. Eine noch größere Entscheidung ist mit der möglichen Neugestaltung des Gesellschafterkreises verbunden; sei es die eindeutige Führung durch Familienmitglieder mittels Kapitalmehrheit und/oder die Aufnahme von zusätzlichen Gesellschaftern bis hin zur mehrheitlichen Abgabe von Gesellschaftsanteilen.
Diese Entscheidungen sollten objektiv und professionell aus der unternehmerischen wie auch persönlichen Positions- und Zielbestimmung abgeleitet werden. Jeder der Beteiligten sollte sich klar sein, was er durch diese Entscheidung gewinnt und was er verliert – nur wer die Alternativen kennt, kann eine echte Entscheidung treffen.
Fazit
Viele Praxisfälle zeigen: Die erfolgreiche Unternehmernachfolge erfordert gerade innerhalb der Familie einen Unternehmer, der diesen Ansprüchen gerecht wird, eine eigene unternehmerische Vision hat und sich nicht damit begnügt, das Erworbene zu verwalten. Erkennen zudem Übergeber und Nachfolger die Chancen eines neuen strategischen Konzepts, einer veränderten Führung und einer Neustrukturierung des Gesellschafterkreises, kann durch die frühzeitige Qualifizierung der Junioren und einer professionellen Nachfolgeplanung die Zukunft des Unternehmens gesichert werden.
👉 Diese Fallstudie ist auch in der Unternehmeredition 1/2025 mit Schwerpunkt “Unternehmensnachfolge” erschienen.