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„Ein Unternehmen ist ein soziales Gebilde“

Klaus Eberhardt und Mark Goerke: Die beiden Unternehmer haben Anfang des Jahres 49 Prozent ihrer Anteile über eine Genossenschft an die Mitarbeiter übertragen.

Klaus Eberhardt und Mark Goerke: Die beiden Unternehmer haben Anfang des Jahres 49 Prozent ihrer Anteile über eine Genossenschft an die Mitarbeiter übertragen.

Die Gründer des Softwarespezialisten Iteratec haben sich dazu entschlossen, ihr Unternehmen schrittweise an eine Genossenschaft zu übertragen. Im Interview erklären Klaus Eberhardt und Mark Goerke, welche Idee sie mit dem Nachfolgemodell verfolgen und wie diese zur etablierten Unternehmenskultur passt.

Unternehmeredition: Herr Eberhardt, Herr Goerke, Sie haben im Dezember die Gründung der Genossenschaft bekannt gegeben. Mehr als 200 Beschäftigte haben Anteile gezeichnet. Hat das dem Unternehmen einen neuen Schub verliehen oder ist alles wie vorher?

Klaus Eberhardt: Der eigentliche Schub war vorher schon da. Die Kollegen wissen seit März letzten Jahres Bescheid. Als wir den Plan präsentiert haben, sind die Leute aufgestanden und haben applaudiert. Seitdem haben wir in Teamarbeit die Satzung erarbeitet. Die Mitarbeiter haben erkannt, dass ihnen Iteratec zukünftig gehören wird, und das ist schon spürbar.

Wie spüren Sie das im Alltag?

Eberhardt: Die Leute fragen mehr strategisch nach: Bringt uns dieses Projekt weiter? Ist der Kunde langfristig für uns interessant? Solche Fragen kommen jetzt häufiger. Diese Kurve wird noch weiter steigen in den nächsten Jahren.

Mark Goerke: Wir bezwecken mit dem Modell mehr Selbstorganisation – noch viel stärker, als wir es im Unternehmen sowieso etabliert haben. Wir hätten bei der Gründungsveranstaltung nie damit gerechnet, dass über 200 Kolleginnen und Kollegen die Satzung unterschreiben. Nun wollen wir bis Ende März den eigentlichen Zweck der Genossenschaft vollziehen, indem wir die erste Tranche, nämlich 49 Prozent der GmbH-Anteile, an die Genossenschaft verkaufen.

Welchen Wert haben Sie für diese Tranche angesetzt – 49 Prozent eines möglichen Verkaufspreises?

Goerke: Wir haben eine typische Berechnungsformel benutzt und vom ermittelten Wert einfach die Hälfte genommen. Wir verzichten also auf die Hälfte des Kaufpreises, den wir am Markt erzielen würden. Das notwendige Kapital wird teilweise über Bankdarlehen finanziert, teilweise auch über ein Verkäuferdarlehen. Über die Gewinnausschüttungen der nächsten Jahre werden die Darlehen getilgt. Das heißt, das Modell finanziert sich selbst.

Eberhardt: Dazu muss man wissen: Die Iteratec war, ist und wird hoffentlich nie zahlenorientiert sein. Es ist uns einfach nicht so wichtig, das Maximale aus dem Unternehmen rauszuholen. Wir wollen den Teamgeist und das Miteinander auch in Zukunft fördern. Es geht darum, dass dieses Unternehmen ein gutes Fundament hat, auf dem es sich entwickeln kann, die Kolleginnen und Kollegen diese Entwicklung gleichberechtigt mitgestalten können und sie Spaß bei der Arbeit haben.

Der Blick auf den Profit kann aber auch helfen, höhere Gehälter als der Wettbewerb anzubieten. Gehen Beschäftigte zu anderen Unternehmen, weil sie dort mehr verdienen können?

Eberhardt: Das passiert auch, aber weniger innerhalb des Wettbewerbs, sondern eher bei Unternehmen wie Automobilherstellern, Banken, Versicherern. Die kalkulieren ihre Gehälter ganz anders, weil sie Produkte verkaufen. Wir verkaufen nur unsere Arbeitsleistung.

Goerke: Die Fluktuation liegt bei uns bei etwa acht Prozent, was knapp unter dem Branchendurchschnitt liegt. Das ist aber insofern völlig normal, als wir viele Kolleginnen und Kollegen direkt nach der Uni einstellen. Die wollen nach ein paar Jahren auch mal was Anderes sehen.

Die Gründer des Softwarespezialisten Iteratec haben sich dazu entschlossen, ihr Unternehmen schrittweise an eine Genossenschaft zu übertragen. Im Interview erklären Klaus Eberhardt und Mark Goerke, welche Idee sie mit dem Nachfolgemodell verfolgen und wie diese zur etablierten Unternehmenskultur passt.

In Ihrem Geschäftsbericht verwenden Sie für die Belegschaft häufig das Wort Kompetenzdichte. Welche Idee steckt dahinter?

Eberhardt: Wir stellen nicht nach Skills ein, sondern nach Potenzialen. Für uns ist es wichtig, dass wir zwar gut ausgebildete, aber vor allem schnell lernende Leute haben. Die Kompetenzdichte berechnen wir im Prinzip so, wie man in der Physik die Dichte eines Stoffes berechnet: das Verhältnis aus allen Kompetenzen geteilt durch die Summe der Köpfe. Für uns ist also nicht die Größe des Unternehmens entscheidend, sondern eben die Kompetenzdichte, weil wir damit gegenüber dem Wettbewerb die bessere Software bauen und ein nachhaltigeres Wachstum erreichen.

Goerke: Das ist für uns schlicht eine Notwendigkeit. Wenn wir keine höhere Kompetenz beziehungsweise Innovationskraft haben, dann stellen wir keinen Mehrwert für unsere Kunden da. Und dafür brauchen Sie die besten Leute, fachlich wie menschlich. Da haben wir nie Kompromisse gemacht. Selbst in den Zeiten des Booms, als man jeden hätte einstellen können, wollten wir nur in dem Maße wachsen, wie es unseren Ansprüchen entspricht. Darauf basiert das gesamte Unternehmensmodell.

Klaus Eberhardt (oben links) und Mark Goerke beim Interview am Iteratec-Hauptstandort in München: “Die Mitarbeiter haben erkannt, dass ihnen Iteratec zukünftig gehören wird, und das ist schon spürbar.”

Sie sind die Gründer von Iteratec und stolz auf Ihre Unabhängigkeit. Kam Ihnen nie der Gedanke, das Unternehmen wie bei klassischen Familienunternehmen an Ihre Kinder weiterzugeben?

Eberhardt: Das spielt für mich keine Rolle. Es gibt viele Beispiele, wo das gut funktioniert. Aber wir machen ein sehr spezielles Geschäft, und jemanden zu finden, der das richtig gut kann und auch mag, ist nicht einfach. Wenn das von vornherein die Kinder sein sollen – da wäre für mich schlichtweg zu viel Zufall dabei.

Goerke: Ich glaube, wenn Sie Ihre Kinder dazu erziehen, ein selbstständiges Leben zu führen, so kann etwas wie Familiennachfolge eine Bürde sein. Ein Unternehmen kann man nicht so einfach weitergeben. Es ist ein soziales Gebilde, hinter dem Menschen stehen. Das betrifft auch den Eigentumsbegriff: Unser Rechtsverständnis hinkt hier einem gesellschaftlichen Verständnis hinterher. Man kann kein Eigentum an Menschen haben.

Der Rechtsstaat definiert nicht nur das Eigentum, sondern erhebt darauf auch Steuern, beispielsweise bei der Nachfolge. Wie stehen Sie zur Erbschaft- und Schenkungsteuer?

Eberhardt: Die Erbschaftsteuer ist sicher berechtigt, wenn die Nachfolgergeneration ein Unternehmen veräußert. Sollte das Unternehmen aber in Familienbesitz bleiben, wird der Wert nicht nutzbar.

Goerke: Wir zahlen aber auch jetzt circa 30 Prozent Kapitalertragsteuer auf die Veräußerung an die Genossenschaft. Der Staat verdient gut daran.

Die Gründer des Softwarespezialisten Iteratec haben sich dazu entschlossen, ihr Unternehmen schrittweise an eine Genossenschaft zu übertragen. Im Interview erklären Klaus Eberhardt und Mark Goerke, welche Idee sie mit dem Nachfolgemodell verfolgen und wie diese zur etablierten Unternehmenskultur passt.

Meeting-Raum in Orange am neuen Standort: 2017 zog Iteratec von Unterhaching in den Münchner Osten.

In einem Porträt im Handelsblatt haben Sie betont, wie wichtig die Mitarbeiter sind, nämlich wichtiger als die Kunden. Was meinen Sie genau damit?

Goerke: Von Beginn an war unser Unternehmen von dem Geist beseelt, Menschen zusammenzubringen, die kollaborativ und partizipativ an einer Sache arbeiten. Wir wollten eine Heimat schaffen für jene, die in ihrer Arbeit einen Sinn suchen. Deshalb waren wir schon immer sehr mitarbeiterorientiert.

Eberhardt: Wenn wir so nicht denken und handeln würden, dann würden wir auch nicht so viel Fokus auf die Auswahl der Mitarbeiter legen. Aber nur die besten Mitarbeiter erzielen die besten Ergebnisse, um dann den Kunden zufriedenzustellen. Und dabei geht es vor allem um die intrinsische Motivation. Wir haben deshalb auch die variablen Gehaltsanteile abgeschafft, die auf der persönlichen Leistung eines Einzelnen basieren. Wenn du so hoch springst, bekommst du etwas – diesen Satz braucht hier keiner.

Wie sieht es denn generell bei Ihnen mit den Gehältern aus – streben Sie Transparenz und Homogenität an oder ist das doch ein zu sensibles Thema?

Eberhardt: Selbst fortschrittliche Leute warnen davor, die Gehälter offenzulegen. Die Menschen sind eben untereinander oft sehr neidisch. Unternehmen, bei denen die Mitarbeiter ihre Gehälter selbst festlegen durften, haben das meistens wieder zurückgenommen. Wir propagieren ein Ranking, in dem jeder Mitarbeiter anhand seines Beitrags zum Unternehmenserfolg im Sinne von Verantwortung, Kompetenz et cetera gelistet wird. Diese Liste ist aber nicht öffentlich.

Dafür gewähren Sie den Angestellten viele Freiräume, über Arbeitstage ohne Leistungsnachweis oder regelmäßige Workshops zur Unternehmenskultur. Welche Philosophie steckt dahinter?

Goerke: Wir orientieren uns ein bisschen an den Grundsätzen von Reinhard K. Sprenger in seinem Buch Radikal führen. Die Workshops führen wir vier bis fünf Mal im Jahr mit unterschiedlichen Mannschaften durch und diskutieren grundsätzlich darüber, wie wir das Unternehmen gestalten wollen. Dahinter steckt die Aufforderung: Gestaltet das Unternehmen so, wie ihr glaubt, dass es für euch richtig ist. Ähnliches gilt für die Innovationskultur. Statt einen Innovationsprozess aufzusetzen, lassen wir den Mitarbeitern an unseren Innovation Frei-Days freie Hand, eigene Ideen zu entwickeln. Wir wollen dabei nicht steuern, sondern ermutigen, indem wir Freiräume schaffen.

Ihr Unternehmensname leitet sich von iterativ ab, in der heutigen Zeit spricht man auch von der sogenannten Lean Start-up-Methode. Wie passt das zur eben beschriebenen Unternehmenskultur?

Goerke: Wenn aus diesen Freiräumen ein Projekt entsteht, verfolgen wir das ganz klar nach der Lean Start-up-Methode. Das heißt: Macht etwas, aber macht es nicht im stillen Kämmerlein, sondern verprobt es nach außen bei potenziellen Kunden.

Die Gründer des Softwarespezialisten Iteratec haben sich dazu entschlossen, ihr Unternehmen schrittweise an eine Genossenschaft zu übertragen. Im Interview erklären Klaus Eberhardt und Mark Goerke, welche Idee sie mit dem Nachfolgemodell verfolgen und wie diese zur etablierten Unternehmenskultur passt.

Eine Ecke für Videospieler: Neben der Arbeit ist Zeit für Zerstreuung.

Über 40 Prozent dieser Kunden kommen aus dem industriellen Automotive-Sektor. Künftig wollen Sie sich stärker diversifizieren und mehr im Mittelstand präsent sein. Wie wollen Sie Ihre Kundenbasis breiter aufstellen?

Eberhardt: Da geht es weniger um Industrie versus Mittelsand, sondern eher um das Geschäftsmodell. Es gibt immer mehr Unternehmen wie etwa Fintechs, die es ohne Software gar nicht geben würde. Diese Firmen mit Technologiekompetenz zu unterstützen ist unser primäres Ziel. Wir bedienen aber auch traditionelle etablierte Unternehmen, die noch nicht stark digitalisiert sind.

Goerke: Wir unterliegen einem gewissen Luxusproblem. Unsere großen Kunden geben uns gerne Folgeprojekte. Das schwächt aber den Druck, neue Kunden zu akquirieren. Deshalb sensibilisieren wir die Kolleginnen und Kollegen, dass wir mehr neue Kunden aus anderen Branchen brauchen. Sonst wird man zu bequem.

Inwieweit spielen Ihnen dabei aktuelle Trends wie die Plattformökonomie in die Karten?

Goerke: Wir haben ja vorhin über unsere Gründungsidee gesprochen: Unser iterativer Ansatz basiert auf Kollaboration und Partizipation. Dieser Stil betrifft nicht mehr nur das Software Engineering, sondern auch die Art und Weise, wie Unternehmen heute zusammenarbeiten. Entwicklungen wie die Blockchain-Technologie oder die Plattformökonomie passen dazu. Aber auch die Shared Economy funktioniert ohne Software nicht effizient. Software ist ein massiver Treiber, und wir wollen den Kunden dabei helfen, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln.


Zum Unternehmen

Der IT-Dienstleister Iteratec ist seit 1996 am Markt. Zu ihr gehört auch das Beratungsunternehmen kobaltblau Management Consultants. Der Firmenname Iteratec leitet sich von einer iterativen Programmiermethode ab, die sich kollaborativ mit den Kunden in wiederholten Schritten der besten Lösung annähert. Die Kunden kommen mit aktuell über 40 Prozent Umsatzanteil vor allem aus der Automobilbranche, gefolgt von Finanzen, Versicherungen, Logistik, Energie und Handel. Projekte mit der Rüstungsindustrie lehnt Iteratec aus Prinzip ab. Der Umsatz in 2018 betrug rund 43 Mio. Euro, bei einem Wachstum von circa 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr. An sieben Standorten in Deutschland, Österreich und neuerdings Polen arbeiten gut 300 Mitarbeiter. Anfang 2019 gehen 49 Prozent des Unternehmens in eine Genossenschaft über, an der etwa zwei Drittel der Beschäftigten beteiligt sind.

www.Iteratec.de

Zu den Personen

Mark Goerke ist Diplom-Mathematiker, Klaus Eberhardt hat einen Abschluss in Informatik. Die beiden lernten sich beim IT-Unternehmen sd&m AG kennen, das heute zur weltweit tätigen Capgemini-Gruppe gehört. Im Jahr 1996 gründeten sie mit Iteratec ihr eigenes Unternehmen. Seit Februar 2017 ist Michael Schulz dritter Geschäftsführer.

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