Ein Chamäleon aus Waldenburg

Doch dann, inmitten des Wachstumsrausches, kommt der Schock. Die Auftragslage war stabil, das Geschäft brummte, dennoch war die Gesamtfirma defizitär. „Und das in Zeiten des Wirtschaftswunders, das geht ja eigentlich gar nicht“, meint Hans-Volker Stahl. Das Rechnungswesen befand sich noch im Aufbau, die Betriebsabrechnungen waren nicht verlässlich. Schwachpunkt war die Aufzugsparte. Schweren Herzens entschieden sich die Geschäftsführer 1970 zum Verkauf an die heutige Thyssen-Tochter Rheinstahl. „Als letzten Großauftrag statteten wir noch das Klinikum Großhadern in München mit Aufzügen aus“, erzählt Stahl. Als Umsatz wurde der aber nicht mehr verbucht.

Schalterbau für den Explosionsschutz
Schalterbau für den Explosionsschutz: Hier ein Großauftrag für Samsung.

Neuausrichtung im neuen Jahrtausend

Übrig blieben die Fördertechnik und der Schalterbau für den Explosionsschutz. Durch den Verkaufserlös kann sich die Firma ganz darauf konzentrieren. Der Explosionsschutz wird auch im Ausland immer mehr nachgefragt. 1979 wird dafür eine erste Tochtergesellschaft in den USA gegründet. 1998 ist die Firmengruppe mit den Beteiligungsgesellschaften im Ausland auf 28 Einzelunternehmen angewachsen, der Umsatz liegt bei 446 Mio. DM. Doch eine Krise gilt es noch zu überstehen.

2001, wenige Jahre nach dem Börsengang, kommt die letzte Schieflage. Diesmal ist die Fördertechnik nicht mehr profitabel. Sie wird neu ausgerichtet und restrukturiert, nach zwei Jahren ist das Unternehmen aus der Verlustzone. Doch eine weitere Quersubventionierung nimmt Hans-Volker Stahl nicht mehr hin. „Dass der Explosionsschutz die Fördertechnik dauerhaft stützt, konnte nicht Ziel des Geschäftsbereichs sein“, meint er rückblickend. 2005 verkauft er die Sparte schließlich an den finnischen Marktführer KCI KoneCranes, als letzten der traditionellen Unternehmensbereiche.

Offenheit als Stärke

„Natürlich tut es jedes Mal weh, sich zu trennen“, sagt Hans-Volker Stahl zu den häufigen Verkäufen in der Firmengeschichte. Doch im Zweifelsfall müsse man sich eben auf das konzentrieren, was rentabel ist. Nicht alle Familienunternehmen können so einfach über Teilverkäufe sprechen, schließlich haben sie Geschäftsbereiche oft jahrzehntelang aufgebaut und die Branche geprägt. Doch vielleicht ist bei der R. Stahl AG nichts so wie bei den meisten Familienunternehmen. Das zeigt sich auch daran, dass sie sich 1997 für einen Börsengang entschied – für die meisten Familienunternehmen ein Tabu.

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