Die wirtschaftliche Lage Mitte 2025 stellt den deutschen Mittelstand vor enorme Herausforderungen – Unternehmensinsolvenzen nehmen zu. In diesem Umfeld wird Distressed M&A zur entscheidenden strategischen Option. Ein gezielter Unternehmensverkauf kann Werte retten und Arbeitsplätze sichern.
Hohe Zinsen, restriktivere Kreditvergabe der Banken und Zurückhaltung bei Private-Equity- und Mezzaninegebern verschärfen aktuell die Liquiditätslage vieler Unternehmen. Zu diesem zurückhaltenden Investorenumfeld kommen geopolitische Spannungen in Osteuropa und Asien, volatile Energiepreise und neue handelspolitische Eingriffe wie Schutzzölle oder der CO₂-Grenzausgleich CBAM. Diese Entwicklungen führen zu spürbarer Unsicherheit in wertschöpfungsintensiven Branchen wie Maschinenbau, Automobilzulieferindustrie und Bauwirtschaft. Die Folge: Laut Statistischem Bundesamt stieg die Zahl der Unternehmensinsolvenzen im ersten Halbjahr 2025 im Vergleich zum Vorjahr um rund 18 %. Besonders betroffen sind mittelständische Familienunternehmen mit engen Margen und hoher Abhängigkeit von internationalen Lieferketten.
Ein gezielter Unternehmensverkauf – meist als Asset Deal oder Share Deal, im Insolvenzverfahren über einen Insolvenzplan – kann Werte retten und Arbeitsplätze sichern. Für vorläufige Insolvenzverwalter oder Eigenverwalter ist ein professioneller Investorenprozess längst zentraler Bestandteil moderner Sanierung. Diese Erfahrungen werden mittlerweile auch immer stärker bereits vorinsolvenzlich genutzt, um Werte zu erhalten, beispielsweise durch vor- oder außerinsolvenzliche Sanierungsmethoden.
Aber auch ohne erkennbare Insolvenznähe können Distressed-M&A-Transaktionen strategisch sinnvoll sein. Durch gezielte Übernahmen inländischer ebenso wie ausländischer Unternehmen lässt sich Technologie-Know-how sichern, skalieren und langfristig in Deutschland halten. Distressed M&A wird damit zunehmend zum Treiber technologischen Fortschritts, wirtschaftlicher Konsolidierung und strategischer Neuausrichtung von Unternehmen, die andernfalls keine nachhaltige Perspektive hätten.
Distressed M&A bei inhabergeführten Unternehmen
Bei inhabergeführten Unternehmen prägen häufig Emotionalität und Entscheidungsdynamik den Prozess. „Loslassen“ stellt für viele Inhaber eine Hürde dar, die professionell begleitet werden muss. Ein vertrauensvoller Dialog, geprägt von individueller und zielgerichteter Kommunikation, ist die Grundlage dafür, die strategische Ausrichtung des Geschäftsmodells objektiv zu überprüfen. Dadurch können Unternehmen bereits frühzeitig, noch vor einer offenen Marktansprache, wichtige vorbereitende Maßnahmen für einen möglichen Verkauf ergreifen, wie etwa die Erhöhung der Datenqualität oder die Analyse potenzieller Carve-out-Szenarien für künftig irrelevante Geschäftsbereiche.
Zu einer fundierten Begleitung auf der Sell-Side gehören:
- Machbarkeitsanalysen zur Prüfung des Investoreninteresses und möglicher Dealstrukturen,
- Vertrauensaufbau bei Investoren durch belastbare Planungen, eine nachvollziehbare Equity Story und die Anpassung des Geschäftsmodells,
- Erstellung von Fortführungskonzepten als Basis für Investorengespräche und Entscheidungsvorbereitungen für alle Beteiligten an etwaigen Sanierungs- oder Umstrukturierungsmaßnahmen sowie
- Durchführung des Investorenprozesses mit Identifikation und Ansprache potenzieller Käufer, Datenraumorganisation und Koordination der Due Diligence.
Da für diese Prozesse häufig nur wenige Wochen Zeit besteht, sind eine verlässliche Datenbasis, Erfahrung, Geschwindigkeit und belastbare Netzwerke entscheidend. Parallel zum laufenden Geschäft müssen Investoren gewonnen, Angebote geprüft und Entscheidungen vorbereitet werden.
Die Investorenlandschaft ist dabei vielfältig. Neben klassischen strategischen Käufern treten zunehmend Private-Equity-Investoren sowie Interessenten aus China, Indien und den USA auf. Rechtliche und steuerliche Themen wie Betriebsübergang (§ 613a BGB), Pensionszusagen, Investitionsprüfung und Kaufpreisregelungen (Earn-out, Locked Box) spielen dabei eine zentrale Rolle. Erfolgsfaktoren sind eine frühzeitige, professionelle Vorbereitung sowie ein hohes Maß an Transparenz – sowohl in Bezug auf die Datenbasis als auch auf die Kommunikation.
Ebenso entscheidend ist die Beratung aus einer Hand, die insbesondere bei Gesellschafterstrukturen mit familiärem Hintergrund gewährleistet, dass im weiteren Prozessverlauf notwendige Entscheidungen zu Angeboten schnell und fundiert getroffen werden können. Darüber hinaus spielen die umfassende Kenntnis sämtlicher denkbarer Dealstrukturen und die damit verbundene Flexibilität eine zentrale Rolle. Gleiches gilt für das Verständnis gängiger wie auch unkonventioneller Finanzierungsstrukturen, deren Beurteilung nicht selten ausschlaggebend für das Gelingen oder Scheitern einer Transaktion ist.
Case Study: Coburger Kartonagenfabrik
Die Coburger Kartonagenfabrik GmbH & Co. KG, ein traditionsreiches Unternehmen der deutschen Papier- und Verpackungsindustrie mit rund 210 Mitarbeitern, musste Ende 2024 vorläufige Insolvenz beantragen. Ursache waren steigende Rohstoffpreise, hohe Energiekosten und die wachsende Konkurrenz durch Importe. Dr. Wieselhuber & Partner übernahm im Auftrag des Insolvenzverwalters die Aufgabe, in kurzer Zeit einen belastbaren Investorenprozess aufzusetzen. Dazu konsolidierte das Team zunächst Finanz- und Leistungsdaten und übertrug diese in einen mehrstufigen virtuellen Datenraum (VDR), um potenziellen Käufern Transparenz und Entscheidungssicherheit zu verleihen. Parallel entstand ein Fortführungskonzept mit Fokus auf Vertrieb und Pricing, das Restrukturierungsmaßnahmen, Effizienzpotenziale und realistische Ertragsszenarien darstellte und mit Investoren herausgefordert werden konnte.
Im weiteren Verlauf galt es, zusammen mit der Insolvenzverwaltung die Interessen der Geschäftsführung, welche noch stark durch die enge Bindung zur Inhaberfamilie geprägt waren, mit den Anforderungen potenzieller Investoren zu koordinieren. Für die Investorenseite stand die Bewertung möglicher Synergien und Skalierbarkeit im Mittelpunkt, da der Markt von Überkapazitäten geprägt war. Der strukturierte Prozess schuf die notwendige Klarheit und baute Vertrauen auf. Innerhalb von sechs Monaten konnte ein branchenerfahrener Käufer gefunden werden, der Standort und Arbeitsplätze erhält. Der Fall verdeutlicht, wie stark Datenqualität, stringente Prozessführung und aktives Stakeholder-Management den Erfolg von Distressed M&A bestimmen.
FAZIT & AUSBLICK
Distressed M&A ist kein Notverkauf, sondern ein zentrales Instrument moderner Sanierungsverfahren. Gerade im aktuellen Marktumfeld sichert ein gut strukturierter Investorenprozess Werte, Arbeitsplätze, Technologien – und eröffnet Perspektiven über die Krise hinaus. Der Fall Coburger Kartonagen zeigt exemplarisch, wie durch analytisches Vorgehen und konsequente Prozesssteuerung unter Einbeziehen aller Stakeholder selbst in schwieriger Marktlage nachhaltige Lösungen gefunden werden können.
👉 Dieser Beitrag ist auch in der Magazinausgabe der Unternehmeredition 3/2025 erschienen.




