Die Pflicht zur Krisenfrüherkennung

Neuregelung des Restrukturierungsrechts bringt Klarstellung

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Unternehmer müssen Krisen frühzeitig erkennen. Die Einführung eines Krisenfrüherkennungssystems ist nun für alle Unternehmen Pflicht. Dies soll dazu beitragen, frühzeitig Gegenmaßnahmen einzuleiten. Ohne ein Krisenfrüherkennungssystem droht die persönliche Haftung.

Das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) verpflichtet Unternehmen aller Größen und unabhängig von der Rechtsform, ein Krisenfrüherkennungssystem zu installieren und zu betreiben. Die Pflicht obliegt den Mitgliedern der Geschäftsführung. § 1 StaRUG verlangt, dass diese fortlaufend über Entwicklungen wachen, welche den Fortbestand der juristischen Person gefährden können. Erkennen sie solche Entwicklungen, müssen sie geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen. Zudem müssen sie den zur Überwachung der Geschäftsleitung berufenen Organen (zum Beispiel Aufsichtsrat) unverzüglich Bericht erstatten.

Der Hintergrund

Zum 1. Januar 2021 hat der Gesetzgeber die Möglichkeiten der Restrukturierung für Unternehmen erweitert. Neben der freien (stillen) Sanierung und der Sanierung durch Insolvenz (Insolvenzplanverfahren, Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren) wurde nun mit dem sogenannten Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen eine dritte Option eingeführt. Der Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen eröffnet drohend zahlungsunfähigen Unternehmen die Möglichkeit zur finanzwirtschaftlichen Sanierung. Damit wurde ein Rechtsrahmen für eine insolvenzabwendende Sanierung geschaffen, der es Unternehmen ermöglicht, sich auf der Grundlage eines von den Gläubigern mehrheitlich angenommenen Restrukturierungsplans zu sanieren. Zentrales Element ist der sogenannte Restrukturierungsplan, mit dem Unternehmen ihre Verbindlichkeiten neu ordnen können, wenn eine Mehrheit von 75% in jeder Gläubigergruppe zustimmt.

Denkbar sind unter anderem Tilgungsaussetzungen, Stundungen oder Forderungsverzichte. Damit scheitert eine finanzwirtschaftliche Restrukturierung nicht mehr an sogenannten Akkordstörern unter den Gläubigern, die durch eine Blockade Vorteile für sich erzwingen wollen. Gesellschaftsrechtliche Maßnahmen (unter anderem Kapitalschnitt oder Übertragung von Anteilen) sind ebenfalls möglich − teilweise auch gegen den Willen der Gesellschafter.

Der Gesetzgeber stärkt damit die Sanierung von Unternehmen. Dies ist zugleich getragen von der Absicht, die Unternehmen zu frühzeitigen Sanierungen anzuhalten: Denn immer noch beginnen Unternehmen mit den notwendigen Schritten zu spät. In vielen Fällen ist dann nur noch der Gang zum Insolvenzgericht möglich. Doch um rechtzeitig eine Sanierung einzuleiten, ob freie oder gerichtsförmige Sanierung, muss die Krise rechtzeitig erkannt werden. Dies verlangt eine strukturierte Kontrolle in Form eines Krisenfrüherkennungssystems.

Zwar mussten Geschäftsleiter bislang auch laufend im Blick behalten, ob eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit besteht oder in naher Zukunft droht. Zudem folgt aus der Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Geschäftsmannes, dass Vorstände und Geschäftsführer das Geschäftsmodell laufend und mit Weitblick auf den Prüfstand stellen müssen. Dazu zählt auch, bestandsgefährdende Risiken möglichst frühzeitig zu erkennen und abzuwehren.

Krisenfrüherkennung wird zum Pflichtprogramm

Aber jetzt stellt das Gesetz klar: Die Krisenfrüherkennung wird zur Pflicht für jedes Unternehmen. Geschäftsleiter müssen fortlaufend über Entwicklungen wachen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden könnten. Ohne ein funktionierendes Frühwarnsystem drohen ihnen persönliche Haftungsrisiken.

Die Ausgestaltung

Die Form des Krisenfrüherkennungssystems gibt der Gesetzgeber nicht vor. Fest steht, dass es nicht das eine System gibt, das auf jedes Unternehmen angewendet werden kann beziehungsweise muss. Der Umfang und die Ausgestaltung des Systems hängen von der Größe sowie der Art und dem Umfang des Geschäftsbetriebs ab. Auch Branche und Struktur des Unternehmens spielen eine Rolle. Klar ist auch: Kleine Unternehmen sollen mit den Anforderungen zur Risikoüberwachung nicht überfrachtet werden.

Gefordert wird ein Krisenfrühwarn- und -managementsystem, das mit dem rechtzeitigen Erkennen von Krisensignalen beginnt, in die Bewertung der Signale beziehungsweise Risiken übergeht und in der Erarbeitung von Gegenmaßnahmen endet.

Die Risiken und die Gegenmaßnahmen müssen in die Unternehmensplanung einfließen und laufend überwacht werden. Eine sachgerecht erstellte, integrierte Unternehmensplanung auf Basis plausibler Annahmen, in der bestehende und künftige Risiken sowie gegebenenfalls erforderliche Gegenmaßnahmen bewertet und eingepreist wurden, verbunden mit einem laufenden Soll-Ist-Vergleich, erfüllt die Anforderungen von § 1 StaRUG.

Der Rat des Praktikers

Jedem Unternehmen ist zu raten, die zukünftige Geschäftsentwicklung integriert zu planen. Das verlangt eine aus einer belastbaren Ertragsplanung abgeleitete Finanz- und Bilanzplanung. Der Planungszeitraum sollte rollierend die nächsten 24 Monate im Blick haben. Dies ist das Herz eines kennzahlenbasierten Krisenfrüherkennungssystems. Je nach Situation und Planbarkeit des zukünftigen Geschäfts bietet es sich an, die Planung durch Szenarioanalysen zu ergänzen. In jedem Fall sollten Risikokategorien erkannt, festgelegt und bewertet werden.

Bei Anzeichen einer Krise muss gehandelt werden. Die Geschäftsleiter müssen geeignete Gegenmaßnahmen ergreifen und den Überwachungsgremien wie Gesellschafterversammlung, Beirat oder Aufsichtsrat unverzüglich Bericht erstatten.

FAZIT

Ein Geschäftsleiter ist nicht dafür verantwortlich, wenn unerwartet Krisen auftauchen – aber er ist verantwortlich, wenn er es unterlässt, geeignete Gegenmaßnahmen einzuleiten. Durch die nun verpflichtende Einführung eines Krisenfrüherkennungssystems hat die Geschäftsleitung ein Kontroll- und Steuerungsinstrument an der Hand, um Krisen managen zu können.

 

Der Beitrag ist in der Unternehmeredition-Magazinausgabe 2/2023 erschienen.

Autorenprofil
Jan Hendrik Groß

Jan Hendrik Groß ist Rechtsanwalt und Partner bei Ebner Stolz in Köln. Der Experte für Restrukturierung und Insolvenzrecht berät Unternehmen in der Krise. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der gerichtlichen und außergerichtlichen Sanierung von Unternehmen. Er wird regelmäßig als Generalbevollmächtigter in Eigenverwaltungsverfahren bestellt.

www.ebnerstolz.de

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