„Deutschland trägt seinen Teil zur Stabilisierung der Euro-Zone bei”

Wird die Rolle Deutschlands in der Diskussion verkannt?

Man sollte sich in Europa durchaus fragen, was wohl passiert wäre, wenn sich Deutschland Mitte der neunziger Jahre entschieden hätte, nicht mehr auf industrielle Produktion, sondern z.B. auf Finanzdienstleistung zu setzen wie Großbritannien. Wo stünde die Euro-Zone dann?  Ich denke, das wäre eine Katastrophe. Deutschland finanziert heute über seine industrielle Produktion Teile der Krisenländer mit.

Spielen bei der Kritik auch politische Motive eine Rolle?

Sicherlich, denn – das muss man zugestehen – von den Krisenländern wird einiges abverlangt. Doch die Denkweise á la „Deutschlands Überschüsse sind unsere Defizite“ ist zu mechanistisch. Dieser Kritik werden wir uns aber stellen. Letztendlich ist es auch gut, dass wir in Europa über so etwas diskutieren können.

Andererseits werden die Vorschläge aber auch immer dreister, beispielsweise die Negativzinsen der EZB. Wo ist denn der Boden des Fasses erreicht und wie lange kann sich Deutschland verteidigen?

Diese Vorschläge gehen wirklich zu weit. Sie verkennen, dass wir die Probleme der Länder nachhaltig  lösen müssen und nicht nur bei ordnungspolitisch fragwürdigen Krisenmaßnahmen bleiben dürfen. Die Frage ist doch, warum Kredite in Krisenländern nicht an die Unternehmen weitergereicht werden. Wenn Banken voll von Staatsanleihen sind, die aus Sicht von Investoren nicht ihr Geld wert sind, dann liegt der Hase im Pfeffer bei den Staaten selbst. Man muss fragen, wie man die Banken Schritt für Schritt von diesen Papieren befreien kann, also eine ähnliche Diskussion wie um die toxischen Papiere nach der Finanzmarktkrise. Da die Konjunktur in den meisten Ländern zumindest den Boden erreicht hat, müssen wir nun weiterhin geduldig bleiben und dürfen nicht mit solchen Vorschlägen wie Negativzinsen eine neue Verunsicherung erzeugen.

Zu den bereits bekannten Sorgenkindern der EU-Zone gesellen sich auch immer neue hinzu, zuletzt Frankreich. Wie beurteilen Sie den momentan immer noch wichtigsten Außenhandelspartner von Deutschland?

Es ist zu hoffen, dass der Leidensdruck der Franzosen schon groß genug ist, so dass sie zu Veränderungen bereit sind. Auch hier wären dringend Strukturreformen z.B. beim Renteneintrittsalter, bei Steuern, aber auch eine Flexibilisierung des Arbeitsmarktes notwendig. In Frankreich gibt es viele große Unternehmen, die bislang erfolgreich waren, aber keine typisch mittelständisch geprägte Struktur. Gerade der Mittelstand braucht Reformen, um gedeihen zu können. Das Gute an Frankreich ist, dass die demografische Entwicklung besser ist als in Deutschland, dadurch ist der Druck auf die Rentensysteme nicht ganz so hoch. Auch die Konsumneigung ist relativ hoch –  aber auch die muss finanziert werden. Dazu braucht es Arbeitsplätze und die gibt es nur bei Wettbewerbsfähigkeit.

Wie sieht es mit Italien aus?

Vom Gesamtschuldenstand steht Italien zwar schlechter da als Frankreich, ist aber strukturell im Vorteil. Vor allem in Norditalien ist die Industrielandschaft sehr wettbewerbsfähig. Auch die Neuverschuldung ist gering: Wenn man die Zinsen für die aktuelle Schuldenlast vom Staatshaushalt abzieht, steht Italien fast schon wieder solide da. Hinzu kommt, dass Italiener eine hohe Sparneigung haben, so dass sie einen großen Teil ihrer Staatsschulden selbst tragen können und weniger auf Kapitalzuflüsse aus dem Ausland angewiesen sind. Italien muss es aber nun schaffen, politisch an einem Strang zu ziehen, um vor allem den Arbeitsmarkt zu reformieren. Auch hier ist Flexibilisierung das Stichwort.

Ein letztes Wort zum Koalitionsvertrag?

Das, was Deutschland mit der Agenda 2010 vorgemacht hat, würde auch Ländern wie Italien und Frankreich helfen. Wir konnten bislang punkten, weil wir als gutes Beispiel in Sachen flexibler Arbeitsmarkt und Sozialleistungen galten. Jetzt bleibt zu hoffen, dass nicht jede Maßnahmen die im Koalitionsvertrag stehen, 1:1 umgesetzt wird, insbesondere die Zugeständnisse im Rentenbereich. Sonst könnten wir diese Vorbildfunktion schnell verlieren und hätten auch auf europapolitischer Ebene einen schwereren Stand.

Hr. Dr. Treier, vielen Dank für das Gespräch.

Das Gespräch führte Verena Wenzelis.

Autorenprofil

Verena Wenzelis war bis Juli 2016 Redakteurin bei der Unternehmeredition.

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