Angst im Job? – Warum Schweigen kostet

Wie eine Kultur der psychologischen Sicherheit Innovation, Zusammenarbeit und langfristigen Erfolg ermöglicht

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Viele Teams schöpfen ihr Potenzial nicht aus. Meistens fehlt es nicht an Fach- oder Methodenkompetenz, sondern die fehlende psychologische Sicherheit ist der Grund. Mitarbeitende bringen sich nicht aktiv ein und schweigen aus Angst, ihre Meinung, Vorschläge oder Fragen könnten für sie negative Folgen haben. Oder sie gehen davon aus, dass ihr Beitrag sowieso nicht gehört, untergraben oder nicht ernst genommen wird.

Dieses Schweigen hat Konsequenzen: Chancen zur Verbesserung bleiben ungenutzt, Fehler werden vertuscht, Kreativität und Innovation werden ausgebremst und die Unternehmenskultur leidet langfristig. Psychologische Sicherheit ist somit nicht einfach ein Wohlfühl-, sondern ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Sie zählt in einer modernen Arbeitswelt zu den wichtigsten Führungsaufgaben.

Psychologische Sicherheit: Mehr als ein Buzzword

In Zeiten von Fachkräftemangel, hybriden Arbeitsmodellen und steigendem Erwartungs- und Erfolgsdruck ist psychologische Sicherheit keine Soft Skill, sondern eine Notwendigkeit.

Amy Edmondson, Professorin an der Harvard Business School, definiert in ihrem Buch «The Fearless Organization» psychologische Sicherheit folgendermaßen: «Psychologische Sicherheit bedeutet, dass alle Gruppenmitglieder während der Arbeit die gemeinsame Überzeugung teilen, dass die Gruppe sicher ist, um zwischenmenschliche Risiken einzugehen.»

Das bedeutet: In einem psychologisch sicheren Umfeld trauen sich alle Teammitglieder, ihre Ideen, Meinungen aber auch potentielle oder begangene Fehler offen anzusprechen. Und das auch, wenn sie mit ihrer Position von der Mehrheitsmeinung abweichen. So entsteht eine Kultur der Offenheit und Reflexion, welche die Verbindung untereinander, die Innovation, Qualität und Zusammenarbeit nachhaltig stärkt.

Vertrauen, Respekt, Wertschätzung: Die Säulen der psychologischen Sicherheit

Vertrauen: Mitarbeitende müssen sich sicher sein, dass sie gehört werden – unabhängig ihrer Hierarchiestufe. Wer sich einbringt, soll sicher sein, dass das ohne Abwertung, Belächeln oder sogar Sanktionen geschieht.

Respekt: Teams, in denen psychologische Sicherheit besteht, achten bewusst auf ausgeglichene Redeanteile und respektieren unterschiedliche Perspektiven – auch wenn sie unbequem oder wenig populär sind.

Wertschätzung: Jedes Teammitglied bringt einzigartige Stärken, Erfahrungen und Talente ein. Dieser Aspekt wird nicht nur geduldet, sondern gezielt gefördert. Fehler werden als Chance für gemeinsames Lernen genutzt.

Wenn Schweigen gefährlich wird – Vier Beispiele aus der Praxis

Fehlt die psychologische Sicherheit wird das im Arbeitsalltag spürbar. Die folgenden Beispiele verdeutlichen, welche Risiken entstehen, wenn Mitarbeitende schweigen:

Ein IT-Administrator entdeckt eine mögliche Sicherheitslücke, meldet das aber nicht, da frühere Hinweise in der Vergangenheit ignoriert wurden. Die Lücke bleibt offen, ein Cyberangriff verursacht Kosten, stellt den Datenschutz auf die Probe, schlimmstenfalls kommen vertrauliche Daten in Umlauf. Die Folge ist ein Imageschaden für die Unternehmung, welcher das Kundenvertrauen massiv beschädigt.

Ein Speditionsmitarbeiter beschädigt Ware, meldet aus Angst vor einem Gehaltsabzug nicht. Die Reklamation des Kunden bleibt natürlich nicht aus. Die Ersatzlieferung verursacht zusätzliche Kosten, auch hier leiden Image und Kundenvertrauen. Hinzu kommt eine zunehmende Verschleierungskultur, weil das Melden von Fehlern bestraft wird und im Team nicht gemeinsam nach der Ursache und Verbesserungspotential gesucht wird.

Eine OP-Schwester erkennt, dass eine falsche Blutkonserve bereitliegt – sagt aber nichts, weil sie bereits erlebt hat, dass Hinweise als „inkompetente Besserwisserei“ abgetan wurden. In diesem Fall steht die Sicherheit der Patientinnen und Patienten auf dem Spiel. Zudem muss die Klinik mit rechtlichen Konsequenzen und Reputationsverlust rechnen.

Eine Mitarbeiterin in der Finanzabteilung hat Verbesserungsideen, welche erhebliches Einsparpotential bieten, hält sich aber zurück, weil sie in der Vergangenheit für Vorschläge belächelt wurde. Der Unternehmung entgeht nicht nur ein finanzieller Vorteil, sondern auch weiteres Optimierungspotential, weil Vorschläge gar nicht mehr platziert werden. Bei der Mitarbeiterin wächst verständlicherweise das Frustpotential. Im schlimmsten Fall sucht sie sich einen Arbeitgeber, der ihr mehr Wertschätzung entgegenbringt.

Die Angstzone, die Apathiezone, die Komfortzone und die Lernzone

Fehlt die psychologische Sicherheit, bewegen sich Mitarbeitende in der Angstzone, weil sie Angst vor negativen Konsequenzen haben. Fehler werden vertuscht, Probleme ignoriert, Verantwortung wird schon gar nicht übernommen.

Oder sie befinden sich in der Apathiezone. Sie haben resigniert, weil sie wissen, dass ihr Beitrag ohnehin nichts bewirkt. Das führt zu Frustration und einem Gefühl von Sinnlosigkeit. Im schlimmsten Fall zu innerer Kündigung,

Mitarbeitende in der Komfortzone haben sich ihr Dasein bestmöglich eingerichtet und machen Dienst nach Vorschrift. Mit ihrem Verhalten richten sie keinen Schaden an, bringen das Team aber auch nicht weiter. Innovation, Weiterentwicklung und Lernmomente finden nicht statt.

Mit einer hohen psychologischen Sicherheit erreichen Teams die sogenannte Lernzone. Alle bringen sich aktiv ein, kommunizieren auf Augenhöhe, diskutieren kontrovers. Fehler werden als Lernchance gesehen und es werden gemeinsam Lösungen entwickelt.

Psychologische Sicherheit ist eine Führungsaufgabe

Psychologische Sicherheit ist eine der wichtigsten Führungsverantwortlichkeiten. Vorgesetzte definieren mit dem Team die Rahmenbedingungen, schaffen eine Kultur der Offenheit, motivieren zu Feedback und prägen die Teamdynamik, indem sie über eigene Fehler sprechen, Fragen stellen und auch unbequeme Fragen zulassen.

Konkret heißt das:

Vorbild sein: Führungskräfte, die selbst offen mit Fehlern umgehen, Fragen stellen und Feedback aktiv einholen, schaffen Vertrauen und ein Klima der Wertschätzung.

Fehlerkultur entwickeln: Fehler als Lernchance begreifen und so Raum für ehrliche Kommunikation und kollektives Lernen schaffen.

Regelmäßige Team-Check-ups: Einmal definiert, muss die psychologische Sicherheit und das gemeinsame Ziel und Werteverständnis in regelmäßigen Team-Check-ups reflektiert und wenn nötig angepasst werden.

Psychologische Sicherheit beginnt beim Einzelnen

Ein Team setzt sich aus verschiedenen Persönlichkeiten zusammen. Jede dieser Persönlichkeiten sollte sich sicher fühlen und das gemeinsame Ziel- und Werteverständnis nicht nur verstehen, sondern aktiv teilen. Das setzt regelmäßige Selbstreflexion voraus, welche folgende Fragen beinhalten kann:

  • Kann ich mich mit meiner aktuellen Aufgabe identifizieren, zahlt sie auf meine Persönlichkeit, meine Wertvorstellungen und meine Prioritäten ein?
  • Entsprechen die Menschen, mit denen ich arbeite, meinen Wert- und Moralvorstellungen und erlebe ich ein offenes und ehrliches Miteinander, das auf Augenhöhe stattfindet?
  • Erkenne ich in der Unternehmenskultur meine Werte, Sinnhaftigkeit wieder und besteht eine gewisse Kongruenz zu meiner Persönlichkeit?

Better Together: In 8 Schritten zur psychologische Sicherheit im Team

Ein besonders wirksamer Ansatz, um psychologische Sicherheit gezielt im Team zu erarbeiten und zu verankern, ist der Better Together Workflow. Dieser auch als Beyond Leadership bekannte Ansatz führt Teams in einem strukturierten, iterativen Prozess von der individuellen Reflexion zum kollektiven Werteverständnis – und legt so die Grundlage für echte psychologische Sicherheit.

Die 8 Schritte des Workflows:

  1. Check-in: Jede Person teilt ihre aktuelle Stimmung und Erwartung.
  2. Connect: Die Teilnehmenden reflektieren ihre persönlichen Prioritäten, Werte, Ziele und Motivatoren
  3. Align: Hier werden die gemeinsamen Werte, Grundsätze und Überzeugungen, die von allen mitgetragen werden, ermittelt und festgehalten
  4. Imagine: Auf Basis der in Align gemeinsam identifizieren Prioritäten und Schwerpunkte, entstehen konkrete Antworten und Lösungen auf die Frage, wie die psychologische Sicherheit im Kollektiv nachhaltig gestärkt wird.
  5. Commit: Der persönliche Beitrag wird verbindlich gemacht.
  6. Act: Konkrete Maßnahmen, Verantwortlichkeiten und Termine werden gemeinsam festgelegt und erste Schritte werden direkt im Workshop umgesetzt.
  7. Debriefing: Was war gut? Was hätten wir besser machen können? Was haben wir gelernt? Was kann ich damit anfangen?
  8. Check-out: Abschließende Reflexion und gemeinsamer Abschluss.

Dieser Workflow lässt sich flexibel auf große und kleine Gruppen anwenden. Teams können das Modell auch im Nachgang weiter nutzen – als Tool für die die regelmäßige Reflexion und Weiterentwicklung. Oder wenn es darum geht, konkrete Fragen, Herausforderungen aus dem Arbeitsalltag zu lösen.

Fazit: Psychologische Sicherheit – der unterschätzte Wettbewerbsvorteil

Erfolg in einer komplexen, dynamischen Arbeitswelt hängt nicht nur von Strategie und Technologie ab, sondern vor allem von den Menschen, die sie gestalten. Psychologische Sicherheit entscheidet darüber, ob Mitarbeitende den Mut haben, Ideen einzubringen, Risiken einzugehen und Veränderungen aktiv mitzutragen.

Unternehmen, die eine Kultur schaffen, in der Vertrauen, Respekt und Wertschätzung nicht nur Schlagworte sind, profitieren doppelt: Sie binden Talente langfristig und erlauben Innovationskraft, die über den Markterfolg von morgen entscheidet.

Autorenprofil
Sacha Johann

Sacha Johann ist Experte für Arbeitskultur und berufliche Sinnhaftigkeit. Der Schweizer weiß, wovon er spricht: Seine Karriere als Führungskraft in der Finanzbranche war Mittel zum Zweck. Heute unterstützt er als Sparringspartner, Coach und Speaker Führungskräfte, Teams und Organisationen dabei, ihre berufliche Situation zu reflektieren und ein sinnerfülltes Arbeitsklima zu schaffen. Der Autor von “Arbeite mit Sinn! Auf dem Weg zum erfüllten Beruf” (Goldegg Verlag) ist gleichzeitig Inhaber und Geschäftsführer der Schweizer Kommunikations- und Eventagentur Premotion. Er lebt mit seiner Familie in Luzern und hat zwei Töchter.

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