Der Kugelschreiber der Marke Senator, das Geschirr der Marke Kahla – es sind Marken deutscher Industriekultur, die jeder unbewusst im täglichen Leben nutzt. Die Wurzeln der thüringischen Porzellanfabrik reichen bis 1844, bei Senator bis ins Jahr 1920. Die Firma Merz & Krell im hessischen Groß-Bieberau war der Ursprung des Schreibwarenherstellers, der in seinen besten Zeiten zwei Drittel aller Mehrwegkugelschreiber in Deutschland produzierte, zwischendrin auch mal Neuauflagen der legendären Pelikan-Füllfederhalter. Noch wechselvoller ist die Geschichte von Kahla Porzellan, über Enteignung und Neugründung im Westen und Neuaufbau als volkseigener Betrieb im Osten. Beiden Marken ist zu eigen, dass sie durch mehrere Krisen gehen mussten. Der Markt für Schreibwaren wurde von Billigfabriken aus Fernost überschwemmt. Auch die traditionsreiche deutsche Porzellanindustrie hatte mit den Herausforderungen der Globalisierung und Billigimporten aus China zu kämpfen. Porzellan, einst das Vorzeigeobjekt jedes gutbürgerlichen Haushalts, wurde zur Massenware. Meißner Porzellan, ältester Hersteller des „weißen Goldes“ in Deutschland, wird mit vielen Subventionen aus Steuermitteln des Freistaats Sachsen am Leben erhalten.
Kahla – Porzellan innovativ erhalten
Mit dem Niedergang der fränkischen Porzellanindustrie suchte auch der frühere Manager von Rosenthal, Günther Raithel, ein neues Betätigungsfeld im Osten. Im thüringischen Kahla übernahm er 1993 das dortige Porzellanwerk. Und zwar mit Erfolg: Mehr als 35 Mio. EUR sind seither in die Modernisierung des Werks, in den Maschinenpark, in Robotik, in Ressourcen und Umweltschutz geflossen, über 100 Preise für Design, Innovation und ökologisches Wirtschaften hat Kahla Porzellan seit dieser Zeit erhalten. Das Unternehmen boomte: „Wir haben die Genusskultur neu definiert“, erinnert sich Holger Raithel, Sohn von Günther Raithel, der 2005 geschäftsführender Gesellschafter der Porzellanmanufaktur Kahla/Thüringen GmbH wurde und die Familientradition gemeinsam mit seinen Eltern fortführte. Doch die Erfolgsgeschichte fand ein jähes Ende. In den Jahren 2017 und 2018 scheiterte ein internationales Großprojekt, in das die Porzellanfabrik mehrere Mio. EUR investiert hatte. Die nun folgenden finanziellen Schwierigkeiten führten im März 2020 zu einer Insolvenz in Eigenregie.
Großprojekte mit zu geringer Marge
Ein paar Jahre zuvor hatte sich auch der Kugelschreiberhersteller Senator, mittlerweile größter Hersteller von Werbekulis in Deutschland, an Großaufträgen verhoben. Der Finanzinvestor Perusa erwarb 2016 das Unternehmen von der Merz-Gruppe und beauftragte den damals 34-jährigen Restrukturierungsmanager Daniel Jeschonowski mit der Sanierung. Dieser stellte alles auf den Prüfstand und verabschiedete sich von den margenschwachen Großprojekten: „Das ist nichts anderes als Geld wechseln.“ Er stellte das Unternehmen auf eine breitere Kundenbasis: „Mir sind Kunden lieber, die für 300 oder 500 EUR bestellen. Mit den heutigen digitalen Möglichkeiten kann man auch diese Kunden in hoher Zahl bestens betreuen.“ 2018 bot sich Jeschonowski die Gelegenheit, Senator vom Finanzinvestor Perusa abzukaufen. „Es war der Moment im Leben, wo man sich fragt: Will man ewig angestellter Manager bleiben oder selbst Unternehmer werden?“ Gemeinsam mit seiner Frau übernahm er Senator, weitere Gesellschafter will er nicht ins Unternehmen nehmen: „Das verwässert nur die Führungs- und Entscheidungsstruktur.“ Bei der Übernahme behielt er die weiteren Sanierungsmaßnahmen stringent im Fokus. Etwa die Tassen und Kaffeebecher, die Senator inzwischen über eine chinesische Firma anfertigen und bedrucken ließ, kamen auf den Prüfstand. „Mein Ziel war, auch bei Alltagsprodukten wieder zurück nach Made in Germany zu kommen.“
Auf der größten Branchenmesse lernte er Holger Raithel kennen. „Hier ergab sich die Möglichkeit für eine gute Kooperation. Wir planten eine Zusammenarbeit. Kahla passte gut in das Konzept.“ Die heraufziehende Coronakrise unterbrach erst einmal jäh die Gespräche: Jeder musste sich erst mal um sein eigenes Unternehmen kümmern – bis dann die Insolvenz von Kahla-Porzellan offiziell wurde. Da zögerte Jeschonowski nicht lange: „Gemeinsam mit meiner Frau habe ich die Porzellanfabrik erworben.“
„Es sollte ein Familienunternehmen bleiben“
Interview mit Daniel Jeschonowski, geschäftsführender Gesellschafter, Porzellanmanufaktur Kahla/Thüringen GmbH
Unternehmeredition: Als Sie von der Insolvenz der Porzellanfabrik in Kahla erfuhren, haben Sie sich relativ schnell für den Kauf entschlossen. Was war der Grund dafür?
Daniel Jeschonowski: Ich habe die Synergien zwischen Senator und Kahla-Porzellan gesehen, auch vor allem, was die Restrukturierung der Porzellanfabrik betraf. Hier können viele Maßnahmen, die wir seinerzeit bei Senator ergriffen haben, ebenso für eine erfolgreiche Restrukturierung angewandt werden. Deshalb habe ich schnell zugegriffen. Auch sollte es ein Familienunternehmen bleiben.
Unternehmeredition: Weshalb konnte die Familie Raithel, die ja auch schon die Nachfolge geregelt hatte, das Unternehmen nicht weiterführen?
Jeschonowski: Durch die Insolvenz war das Standing der Familie Raithel bei den Banken angekratzt. Sie präferierten daher einen Käufer außerhalb der Familie.
Unternehmeredition: Wie haben Sie den Kaufpreis finanziert?
Jeschonowski: Relativ unspektakulär. Senator ist grundsätzlich profitabel, sodass wir investieren und uns dann sehr schnell an die Ausarbeitung eines Betriebskonzepts machen konnten, das alle überzeugt hat. Wir haben einen klassischen Assetdeal gemacht.
Kurzprofil Porzellanmanufaktur Kahla/Thüringen GmbH
Gründungsjahr: 1844
Branche: Konsumgüter
Unternehmenssitz: Kahla
Umsatz 2021(e): circa 12 Mio. EUR
Mitarbeiterzahl: 285
www.kahlaporzellan.com
Diese Fallstudie ist in der Unternehmeredition 1/2021 erschienen.
Torsten Holler ist Gastautor.