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Digitalisierung braucht neue Finanzierung

In technologischen Umbruchzeiten wie der digitalen Revolution werden Investitionen für den Mittelstand noch wichtiger, aber auch riskanter. Deshalb muss ihre Finanzierung gerade dann besonders viel Flexibilität bieten.

Wenn Digitalisierung und Vernetzung immer stärker Einzug auch im deutschen Mittelstand halten und überall von der nächsten industriellen Revolution gesprochen wird, dann sind damit zunächst einmal für viele Unternehmen neue Wachstumschancen verbunden. Um dieses Wachstum zu realisieren, bedarf es erheblicher Investitionen, und die müssen finanziert werden. Was so banal klingt, ist diesmal aber vielschichtiger. So ist zum einen bei vielen Unternehmen die Liquiditätslage fast schon zu gut, und man fragt sich in Zeiten negativer Zinsen, wohin mit dieser Liquidität. Investitionen könnten häufig in weiten Teilen aus dem laufenden Cashflow finanziert werden, was ja auch passiert. Andererseits bringen technologische Umwälzungen große Unsicherheiten mit sich. Da möchte niemand auf das falsche Pferd und auf eine Technologie setzen, die sich dann vielleicht nicht durchsetzt. Und das gegenwärtige weltwirtschaftliche Umfeld erhöht das Investitionsrisiko zusätzlich.

Spielräume schaffen

Was deshalb umso mehr gefragt ist, ist Flexibilität. Die Finanzierungsmöglichkeiten werden auch wieder schwieriger werden, und es wird kaum eine bessere Zeit kommen, um seine Finanzstruktur zu optimieren. Was heißt das? Zunächst einmal hat alles seinen Preis, gerade auch Flexibilität. Liquidität bringt gegenwärtig keine Zinserträge, sondern eher Zinsaufwand. Aber wer Liquidität hat, ist flexibel. Und deshalb ist die vollständige Aufgabe von Liquidität zur Finanzierung von Investitionen keine ideale Lösung. Hinzu kommt, dass die klassische Alternative, der Investitionskredit, gegenwärtig auch besonders attraktive Konditionen hat. Und die Vergabebereitschaft der Genossenschaftsbanken und Sparkassen ist, trotz aller anders lautender einzelner Gegenbeispiele, insgesamt sehr hoch, gerade für die bonitätsstarken Unternehmen. Erhöhung der Flexibilität mit diesen bewährten Bankpartnern bedeutet hier zum einen, kein Refinanzierungsrisiko der Investitionskredite einzugehen, also eine laufzeitkongruente Refinanzierung zu wählen. Zum anderen bedeutet es, wie eigentlich immer, den Kontokorrent von dauerhaft in Anspruch genommenen Kreditanteilen zu befreien und diesen Teil durch langfristige Working-Capital-Finanzierungen umzuschulden. Das erhöht die Freiheitsgrade bei künftigen Kontokorrentbeanspruchungen.In technologischen Umbruchzeiten wie der digitalen Revolution werden Investitionen für den Mittelstand noch wichtiger, aber auch riskanter. Deshalb muss ihre Finanzierung gerade dann besonders viel Flexibilität bieten.

Alternative Quellen nutzen

So weit, so wenig Neues. Was nun aber zusätzlich zu bedenken ist, ist die Zukunftsfähigkeit der Kreditgeber. Regulierung, Negativzinsen und Digitalisierung stellen große Belastungen für Sparkassen und Volksbanken dar, die bereits in den aktuellen Jahresabschlüssen Spuren hinterlassen. Filialschließungen und die Weitergabe negativer Anlagezinsen sind sichtbare Konsequenzen. Eine geringere Profitabilität schwächt aber langfristig die Eigenkapitalbasis der Banken und damit ihre Kreditvergabepotenziale. Das bedeutet zwar keinesfalls, dass auf absehbare Sicht die dominante Position des Bankkredits in der Mittelstandsfinanzierung infrage zu stellen ist. Aber auch die Deutsche Bundesbank sieht große Vorteile für die Stabilität unseres Finanzsystems und damit auch die Finanzierung jedes einzelnen Unternehmens, wenn neue Finanzierungsquellen die Kapitalversorgung ergänzen. Eine Ergänzung der Finanzierungsquellen am langen Laufzeitende scheint gegenwärtig allerdings kritisch. Bei der gegenwärtigen Refinanzierungswelle für Mittelstandsanleihen können nach etlichen Insolvenzen die verbliebenen Emittenten nur unter deutlich schwierigeren Konditionen eine Refinanzierung erreichen, und die Zahl der Neuemissionen, die über eine Anleiheplatzierung am Kapitalmarkt Flexibilität in ihre Finanzierungsstruktur bringen wollen, ist überschaubar.

Marktplätze für Betriebsmittelkredite

Wenn mehr Unabhängigkeit von den Hausbanken am langen Laufzeitenende gegenwärtig nicht so gut möglich ist, sollte der Blick auf kurze Laufzeiten rücken. Denn hier treffen technologische Innovationen auf ein bei Banken immer zurückhaltender bedientes Segment, den Betriebsmittelkredit. Betriebsmittelkredite werden insbesondere zur Vorfinanzierung saisonaler Geschäftsmodelle benötigt und haben daher eine für den Kapitalmarkt ungeeignete kurze Laufzeit von meist sechs bis acht Monaten. Sie sind unbesichert und damit teuer für Banken, die diese mit Eigenkapital unterlegen müssen. Zudem brauchen die Firmen sie oft jährlich wiederkehrend. Diese Eigenschaften machen den Betriebsmittelkredit zum idealen Investmentprodukt für alternative Lösungen wie Peer-to-Peer-Kreditplattformen.In technologischen Umbruchzeiten wie der digitalen Revolution werden Investitionen für den Mittelstand noch wichtiger, aber auch riskanter. Deshalb muss ihre Finanzierung gerade dann besonders viel Flexibilität bieten.

Tatsächlich erwägen nach einer aktuellen Studie drei von vier Mittelständlern auch aus Flexibilitätsgründen, ihre Betriebsmittelkredite künftig über eine Online-Plattform abzuwickeln. Eine wesentliche Voraussetzung dabei ist natürlich, dass die neuen Anbieter günstiger und unkomplizierter arbeiten als traditionelle Banken und Kredite ohne Besicherung zur Finanzierung des laufenden Geschäfts ermöglichen. Ob sich das Interesse an einer Nutzung von Kreditvermittlungsplattformen tatsächlich in Finanzierungsversuche großen Stils umwandelt und ob die Plattformen in der Lage sind, für diese Kreditanfragen dann die Kapitalgeber zu vermitteln, ist noch völlig offen. Aber Unternehmen, die auf der Suche nach Flexibilität sind, haben gerade in der gegenwärtigen vergleichsweise entspannten Finanzierungssituation die Möglichkeit, die Qualität dieser neuen Anbieter für sich kritisch zu prüfen.

Wie Kreditplattformen arbeiten

Ein Marktplatz vermittelt endfällige Kredite mit einer begrenzten Laufzeit an mittelständische Firmen. Die Plattform prüft die Kreditrisiken in einem mehrstufigen Prozess. Sie holt eine Bewertung von externen Auskunfteien ein und führt eine eigene Kreditanalyse nach professionellen Standards durch. Zudem erhält der Investor eine qualitative Risikoeinschätzung.

Mit solchen alternativen Finanzierungslösungen eröffnen sich dem Mittelstand Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Kreditstruktur. Die so gewonnene Flexibilität wird aber auch dringend gebraucht, wenn die Wirtschaftslage sich weiter eintrübt und die Investitionserfordernisse der digitalen industriellen Revolution zu finanzieren sind.


Zur Person

(© privat)

Prof. Dr. Dirk Schiereck ist seit September 2008 Leiter des Fachgebiets Unternehmensfinanzierung an der Technischen Universität Darmstadt. Neben traditionellen Finanzierungsfragen beschäftigen ihn in seiner Forschung vor allem die Auswirkungen der Digitalisierung in der Finanzindustrie und die finanzielle Umsetzung der Energiewende. www.cofi.wi.tu-darmstadt.de

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